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Prozess gegen Maja T. verzögert sichMehr Druck auf das System Orbán

Maja T. werden Angriffe auf Neonazis in Budapest vorgeworfen, das Urteil verzögert sich. Abgeordnete fordern eine Staatenbeschwerde gegen Ungarn.

Am Mittwoch wurde nochmal verhandelt, nun ist Pause bis Januar: Maja T. im Gericht in Budapest Foto: Daniel Alfoldi, dpa

Berlin taz | Erst diese Woche stand Maja T. wieder in Budapest vor Gericht. Wegen des Vorwurfs, vor zwei Jahren mit anderen Linken mehrere Rechtsextreme in Budapest schwer attackiert zu haben. Das Gericht lehnte am Mittwoch erneut einen Antrag der nonbinären Thüringer An­ti­fa­schis­t*in ab, die Untersuchungshaft im Hausarrest zu verbringen. Nun ist der Prozess gegen Maja T. bis Januar nächsten Jahres unterbrochen. Dann soll das Urteil fallen, wohl am 22. Januar.

Den Antrag auf Hausarrest hatte Maja T. nicht zum ersten Mal gestellt, dies zwischenzeitlich auch mit einem Hungerstreik eingefordert. Das Gericht lehnte diesen aber erneut wegen einer Fluchtgefahr ab, und weil die Gefahr bestehe, dass T. weitere Straftaten begehe. Angeführt wurden dafür auch Unterstützer*innen. Diese zeigten, dass eine Vereinigung um Maja T. angeblich weiter bestehe.

Wolfram Jarosch, der Vater von Maja T., kritisierte, dass in dem Budapester Verfahren „die Unschuldsvermutung ausgehebelt“ werde. Er warf Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán vor, öffentlichen Druck auszuüben, um sein Kind hart zu bestrafen. „Das hat mit einem rechtsstaatlichen Verfahren nichts mehr zu tun.“ Sein Kind sitze nun schon seit 15 Monaten in Isolationshaft, dies sei „psychische Folter“, so Jarosch. Jetzt setze sich diese Haft bis zum Urteil mindestens drei weitere Monate fort.

Den Prozesstag am Mittwoch hatte auch der Linken-Europaabgeordnete Martin Schirdewan besucht. Auch er sprach von einem fortgesetzten „deutsch-ungarischen Justizskandal“. Die Verweigerung des Hausarrests und die weitere Isolationshaft für Maja T. sei „ein Skandal“. Schirdewan forderte den deutschen Außenminister Johann Wadephul (CDU) auf, „endlich zu handeln und für die sofortige Rückkehr von Maja T. nach Deutschland zu sorgen“. Auch Grünen- und SPD-Abgeordnete hatten zuletzt eine Rückholung gefordert.

Anwalt fordert Sanktionen gegen Ungarn

Auch der Anwalt von Maja T., Sven Richwin, fordert mehr Druck Deutschlands. „Es fehlt mittlerweile nicht mehr an Feststellungen zur mangelnden Rechtsstaatlichkeit in Ungarn, allerdings an Courage, daraus auch Konsequenzen zu ziehen“, sagte Richwin der taz. „Neben Sanktionierungen und Klagen auf EU-Ebene, muss die Zuarbeit deutscher Sicherheitsbehörden an Orbáns System sofort gestoppt werden.“

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Luke Hoß bringt ein weiteres Druckmittel ins Spiel: eine Staatenbeschwerde Deutschlands gegen Ungarn, wegen Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention im Fall Maja T. „Die Bundesregierung muss jetzt Informationen über das Ausmaß der Rechtsverletzungen in ungarischen Gefängnissen einholen, um eine Staatenbeschwerde vorzubereiten“, sagte Hoß der taz. „Deutschland hat die Pflicht, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Deutsche Behörden haben durch die rechtswidrige Auslieferung diese Haftbedingungen ermöglicht.“ Maja T. war im Juni 2024 von Deutschland nach Ungarn ausgeliefert worden – das Bundesverfassungsgericht hatte dies nachträglich für rechtswidrig erklärt.

Ein Gutachten des wissenschaftlichen Diensts des Bundestags, das Hoß in Auftrag gegeben hat und der taz vorliegt, zeigt die Möglichkeit einer Staatenbeschwerde in diesem Fall auf. Die Beschwerde können alle Vertragsstaaten vor dem Gerichtshof einlegen, wenn sie Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention feststellen. Deutschland und Ungarn sind Vertragsstaaten. Zu solchen Verstößen zählen auch Folter für Inhaftierte oder anderweitig unmenschliche Behandlungen und Strafen.

Das Bundestagsgutachten macht hier keine Aussagen über Erfolgsaussichten im Fall Maja T., weist aber darauf hin, dass Deutschland eine Staatenbeschwerde mit Verweis auf den „diplomatischen Schutz“ für eigene Staatsangehörige einlegen könnte. In der Vergangenheit hatte das etwa Dänemark bei einem in der Türkei inhaftierten Staatsbürger gemacht, mit dem Vorwurf, dass Aussagen von ihm unter Folter eingeholt wurden. Möglich sei zudem eine Beschwerde gegen die „allgemeine Verwaltungspraxis“ in einem anderen Land oder zum „kollektiven Schutz von Menschenrechten als gemeinsames Interesse aller Vertragsstaaten“, wegen systemischen Mängeln, wozu auch Haftbedingungen, Rechtstaatlichkeitsdefizite oder breite Menschenrechtsverletzungen gelten könnten.

Das Gutachten betont aber, dass vor einer Staatenbeschwerde in den meisten Fällen vorerst der „innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft“ sein müsse und es am Ende immer eine Einzelfallentscheidung sei. Der rechtliche Ausgang sei daher „ungewiss“. Zudem sei auch die politische Dimension einer Staatenbeschwerde „nicht zu unterschätzen“, da diese die Beziehungen zwischen den betroffenen Ländern belaste.

Das Auswärtige Amt wollte sich auf taz-Anfrage nicht äußern, welche diplomatischen Bemühungen aktuell für Maja T. unternommen werden – und ob hierbei auch eine Staatenbeschwerde denkbar ist. Außenminister Wadephul hatte zuletzt aber erklärt, man setze sich dafür ein, Maja T. nach Deutschland zu holen. T. hatte bei einem Haftbesuch der taz in Ungarn dagegen beklagt, davon nichts zu merken.

Europaparlament stellt sich vor weitere Beschuldigte

Erst am Dienstag hatte das Europa-Parlament derweil die von Ungarn beantragte Aufhebung der Immunität der italienischen Linken-Abgeordneten Ilaria Salis verweigert. Salis wird ebenfalls vorgeworfen, an den Angriffen in Budapest beteiligt gewesen zu sein. Zuvor hatte bereits der Rechtsausschuss des Parlaments die Ablehnung der Immunitätsaufhebung empfohlen. Das Votum im Plenum fiel indes denkbar knapp – mit nur einer Stimme Vorsprung in geheimer Abstimmung. Auch die ebenso von Ungarn beantragte Aufhebung der Immunität zweier ungarischer Oppositionspolitiker, Peter Magyar und Klara Dobrev, wurde abgelehnt.

Ungarns Präsident Orbán nannte die Entscheidung eine „Schande“. Brüssel schütze Kriminelle und Mitglieder terroristischer Gruppen. Martin Schirdewan, Vorsitzender der Linksfraktion im Europaparlament, lobte dagegen das Votum, das Salis vor einem politisch motivierten Verfahren in Ungarn schütze.

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