Prozess gegen Neonazi-Gruppe „Aryans“: Haft für Angriff auf Gegendemo

Mit Autos machten sie Jagd auf Linke und prügelten auf Unbeteiligte ein. Nun wurden zwei Neonazis zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt.

In Halle läuft ein Mann mit einem rassistischen Spruch auf dem Hemd zwischen Polizisten

Am 1. Mai 2017 griffen die „Aryans“ in Halle Gegendemonstranten und Unbeteiligte an Foto: dpa

HALLE AN DER SAALE taz | Spätestens jetzt gibt es keinen Zweifel mehr: Am 1. Mai 2017 haben Angehörige der Neonazi-Kameradschaft „Aryans“ Jagd auf Andersdenkende und Jugendliche gemacht, einige verprügelt und noch schwerere Verletzungen in Kauf genommen. Die beiden Angeklagten, er mit kahlgeschorenem Kopf, sie mit blondiertem Haar, verziehen keine Miene, als die Richterin am Freitagvormittag in Saal 187 des Landgerichts Halle das Urteil verkündet.

Drei Jahre und sechs Monate Gefängnis wegen schwerer Körperverletzung und einfacher Körperverletzung in einem weiteren Fall für Carsten M. Seine Lebensgefährtin Marina H. bekommt deshalb wegen schwerer Körperverletzung ein Jahr und zwei Wochen auf Bewährung. Sie kaut hektisch Kaugummi, ansonsten ist ihr nichts anzumerken. Das Gericht folgt mit seinem Urteil beinahe der Empfehlung der Staatsanwaltschaft, die für beide Angeklagten nur zwei Monate länger gefordert hatte.

Richterin Sabine Staron lässt in der Urteilsbegründung keinen Raum für Interpretationen. „Stattgefunden hat eine Jagd auf Gegendemonstranten.“ Aus Frust, weil linke Gegendemonstranten die Mai-Demo der Nazis in Halle blockiert hatten. Gleich am Morgen hatte Carsten M. eine Sektflasche an den Kopf bekommen – die zum Motiv für den Angriff wurde, so die Meinung des Gerichts: M. war auf Rache aus. Die Aussage der Angeklagten und einiger rechter Zeugen, sie hätten aus Notwehr gehandelt, ist nach Ansicht des Gerichts eindeutig widerlegt.

Eigentlich hatten sich Carsten M. und Martina H. mit weiteren Neonazis zur Demo am Hauptbahnhof in Halle verabredet, alle gekleidet in die gleichen, schwarzen „Aryans“-Pullis. Doch Gegendemonstranten blockierten die Route. Schon am Hauptbahnhof kam es zum Handgemenge, dann verfolgten Carsten M. und seine Mitinsassen mit dem Auto drei Radfahrer, von denen zwei flüchten konnten, bevor Martina H. von der Beifahrerseite einen Stein nach dem dritten Radfahrer warf.

Zeugen hatten gehört, wie aus dem Auto gerufen wurde: „Da ist die Sau. Jetzt geht’s los, ihr Dreckszecken!“. Das ist die erste Tat des Tages, das Gericht urteilte über beide: gefährliche Körperverletzung. Das Paar hatte durch die Verfolgung und den Steinwurf lebensgefährliche Verletzungen des Radfahrers in Kauf genommen. Die Vorstellung, die Radfahrer hätten ihrerseits das Auto angegriffen, wie einige Rechte vor Gericht behauptet hatten, nannte Richterin Staron „abenteuerlich“.

Gefestigt nationalsozialistisch eingestellt

Der nächste Angriff fand kurz darauf drei Kilometer entfernt statt. Auf dem Holzplatz war gerade eine Wandergruppe von Jugendlichen unterwegs, die bewusst die Demoroute hatte meiden wollen. Sie liefen gerade an einem abgeschlagenen Infostand der Gegendemo vorbei, als die Autos mit quietschenden Reifen vor ihnen hielten und Carsten M. heraussprang. Was dann passierte, zeigen Fotos: Carsten M. mit wutverzerrtem Gesicht, schwarzem Pullover mit der Aufschrift „Aryans“ – und einem Stromkabel in der erhobenen Hand, wie er auf die Menschengruppe vor ihm losrennt. Er prügelt auf die Gruppe ein, zwei von ihnen werden später im Prozess als Nebenkläger auftauchen. Diese Tat bedeutet das zweite Urteil für M., die zweite Körperverletzung an diesem Tag.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sind Carsten M. und Martina H. gefestigt nationalsozialistisch eingestellt. Auch die Zeugen, die mit in den Autos saßen und vor Gericht für das angeklagte Paar aussagten, gaben sich als stramme Neonazis zu erkennen. Selbst angeklagt sind sie noch nicht. Einer von ihnen, mit Gesichtstattoo und kahlgeschorenem Kopf, sagte am vierten Prozesstag aus, er halte den Spruch „Support your Race“ für seine Pflicht. Der Schriftzug hatte auf der Rückseite der T-Shirts gestanden, die alle an der Tat beteiligten Neonazis am 1. Mai getragen hatten. Auf der Vorderseite stand „Aryans“, Arier, in Frakturschrift.

Haufenweise dieser T-Shirts wurden dann bei einer Hausdurchsuchung im vergangenen September bei Martina H. und Carsten M. im hessischen Main-Kinzig-Kreis gefunden. Selbst ein Shirt für Babys fanden die Ermittler. Außerdem Messer, illegale Schusswaffen, wegen denen M. vor diesem Prozess verurteilt wurde, Pyrotechnik, Aufkleber unter anderem für die neonazistische Kameradschaft „Division Braune Wölfe“, der M. und weitere Aryans zuletzt angehörten. Daneben stellten die Ermittler SS- und Hakenkreuzfahnen sowie Nazi-Devotionalien sicher.

Zweifelhafte Handlungen der Staatsanwältin

Die außerordentliche Brutalität des Angriffs und die Tatsache, dass es diesmal Unbeteiligte getroffen hatte, hat auch die Strafkammer des Landgerichts bewogen, den Prozess „wegen seiner außerordentlichen Bedeutung“ vor dem eigenen Gericht stattfinden zu lassen. Die zuvor zuständige Staatsanwältin hatte die Anklage nur vor dem Amtsgericht erhoben, der untersten Instanz, mit der Begründung, diese Auseinandersetzungen seien „typisches Alltagsgeschäft“.

Mit dem hohen Strafmaß für das Neonazi-Paar wird die Bedeutung der Entscheidung des Landgerichts deutlich, den Prozess hier zu verhandeln, erklärt Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer nach der Verhandlung. „Am Amtsgericht wäre das maximale Strafmaß zwei Jahre gewesen.“ Sein Versuch, wegen Landfriedensbruchs gegen die Neonazis zu klagen – ein häufiges Urteil gegenüber linken Demonstranten – scheiterte.

Die Aufgaben im Prozess übernahm dann ein anderer Vertreter der Staatsanwaltschaft Halle. Doch im Verlauf wurden weitere Details bekannt, die ein zweifelhaftes Licht auf die zuvor zuständige Staatsanwältin wirft – aber auch auf einzelne Polizeibeamte. Fünf Handys wurden bei der Hausdurchsuchung gefunden, doch nur zwei wurden ausgewertet.

Dabei fanden die Ermittler einen Chat zwischen Martina H. und einem Bekannten bei der hessischen Polizei, worin sie ihn mehrfach um Informationen aus den Strafregistern ihres Lebensgefährten einer weiteren Person bat. Der Beamte kam der Bitte teilweise nach und gab ihr Daten zu Carsten M. weiter. Später hieß es, er habe sie nur vor ihm schützen wollen. Gegen den Polizisten läuft nun ein Disziplinarverfahren in Niedersachsen, das für die Dauer des Prozesses ruht.

Die Nebenklage plant weitere Anzeigen

Merkwürdig ist, dass die Staatsanwältin die Auswertung nach zwei Handys stoppte – das sagte der dafür zuständige Polizeibeamte am vierten Prozesstag aus. Nach Ansicht von Nebenklageanwalt Scharmer wusste die Staatsanwältin zu diesem Zeitpunkt schon von der Verbindung zwischen H. und dem hessischen Polizisten. An den Namen des zweiten Neonazis, aus dessen Strafregister H. Informationen haben wollte, konnte sich der zuständige Ermittler auch bei erneuter Vorladung am Donnerstag nicht erinnern. Scharmer plant daher weitere Anzeigen – er will sich nicht mit den zwei ausgewerteten Handys zufriedengeben. Die Informationen könnten auch wichtig für ein anderes Verfahren werden, das den Aryans derzeit droht.

Ende Januar, als der Prozess in Halle schon lief, wurde bekannt, dass die Bundesanwaltschaft seit vergangenem Jahr gegen die Aryans wegen Verdachts auf Rechtsterror ermittelt. Damit ist die Gruppe eine von bundesweit vier, bei der die Bundesanwaltschaft diesem Verdacht nachgeht, neben Revolution Chemnitz, Nordadler und der Oldschool Society.

Einen Einfluss auf das Gerichtsverfahren hätten die Ermittlung jedoch nicht, erklärte im Laufe des Prozesses der Gerichtssprecher und Vorsitzende Richter am Landgericht, Wolfgang Ehm, der taz: „Wie die Organisationsstruktur der Angeklagten aussieht, ist für die Schwere der Schuld nicht erheblich“, dies sei im gesonderten Verfahren festzustellen.

Man könne das in einem Prozess am Landgericht, das die Staatsanwältin zudem ja erst am Amtsgericht angesiedelt hatte, „nicht nachermitteln bis zum Urschleim“. Auch die Richterin verwies im Prozess mehrfach darauf, dass es im Verfahren um den Vorwurf schwerer Körperverletzung ging – nicht um die politische Gesinnung der Angeklagten.

Dieser Text wurde am 08.02.2019, 15:30 Uhr aktualisiert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.