Prozess gegen Ultra Valentin S.: Klatschen gegen das System

Gegen den Ultra Valentin S. und zwei Mitangeklagte hat am Donnerstag vor dem Bremer Landgericht der Prozess begonnen – unter strengen Sicherheitsvorkehrungen.

Prozessauftakt: der 21-jährige Ultra Valentin S. vor dem Bremer Landgericht Foto: Jean-Philipp Baeck

BREMEN taz | Ein ganz gewöhnlicher Prozess würde es nicht werden: Das war schon klar, bevor am Donnerstag das Verfahren gegen den Ultra Valentin S. und zwei Mitangeklagte eröffnet wurde. Podiumsdiskussionen, Erklärungen, Gespräche beim Innensenator, Angriffe auf Polizisten, Demonstrationen und internationale Solidaritäts-Bekundungen der linken Ultra-Szene waren dem Prozessauftakt in den letzten Monaten vorangegangen.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem heute 21-jährigen Valentin S. vor, in 2014 und 2015 insgesamt sieben schwere Körperverletzungen begangen zu haben – darunter ein Steinwurf auf einen Journalisten während des Protests gegen eine Neonazi-Kundgebung in Rostock, sowie die Schlägerei am Rande des Fußballspiels von Werder Bremen gegen den HSV am 19. April 2015.

An dem Tag war es zu Auseinandersetzungen zwischen linken Bremer Ultras und rechten Hooligans gekommen, Valentin S. soll mit anderen einen der Hooligans geschlagen und getreten haben, wobei dem Geschädigten auch ein Blumenkübel auf den Kopf geworfen worden sein soll. An drei der sieben Anklagepunkte sollen die 21 und 23 Jahre alten Mitangeklagten beteiligt gewesen zu sein – nicht aber an dem Vorfall am „Verdener Eck“.

Vor allem aber jene Schlägerei machte den Fall Valentin S. und seine Inhaftierung zum Politikum – ob der langen Geschichte an Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Fans in Bremen. Entsprechend hoch waren am Donnerstag das öffentliche Interesse – und auch die Sicherheitsbedenken. Die Polizei war mit mehreren Mannschaftswagen vor Ort, die Zuschauer mussten durch eine Sicherheitsschleuse. Nicht alle bekamen Platz, der Saal war voll besetzt, überwiegend mit Unterstützern aus der linken Bremer Ultra-Szene. Per Sicherheitsverfügung hatte der Vorsitzende Richter Manfred Kelle bereits im Vorfeld versucht, für „Ordnung“ zu sorgen und untersagt, im Gerichtssaal Kleidung zu tragen, aus denen sich eine „Solidaritätsbekundung für die Angeklagten“ ableiten könne.

Jan Sürig, Verteidiger eines der Mitangeklagten von Valentin S., hielt dem gleich zu Beginn der Verhandlung entgegen: Das Recht auf freie Meinungsäußerung werde beschnitten, zudem nur die Unterstützung und nicht etwa die Gegnerschaft gegen die Mandanten als unzulässig benannt.

Im April 2015 soll der Ultra Valentin S. bei einer Schlägerei linker und rechter Werder-Fans einen Mann schwer verletzt haben.

Seit Anfang Juli sitz S. wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft.

Vorgeworfen werden ihm sieben Körperverletzungen.

Im November 2015 kommt S.unter Auflagen frei.

Mitte Dezember muss S. wieder in U-Haft – auf Beschluss des Oberlandesgerichts, nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft.

Bei einer spontanen Demo anlässlich der erneuten Inhaftierung wird Mitte Dezember ein Streifenwagen mit Steinen angegriffen.

Richter Kelle zeigte sich unbeeindruckt, offen bleibt, ob er künftig auch rechte Kleidungsmarken im Prozess verbieten wird.

Lea Voigt, Verteidigerin des zweiten Mitangeklagten, zweifelte daran, dass ihr Mandant überhaupt hätte angeklagt werden dürfen: Drei der sieben Anklagepunkte basieren auf der Aussage eines Belastungszeugen, der seit einiger Zeit nicht aufzufinden sei und selbst von der Polizei gesucht werde.

Dass das Verfahren nicht fair zugehe, erklärte Horst Wesemann, der Verteidiger von Valentin S. – und forderte es ganz einzustellen. In einer langen Begründung erhob er schwere Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft und die Polizei. Sein Mandant sei schikaniert worden, unter anderem, in dem er über den Jahreswechsel ins ostdeutsche Bützow verlegt wurde, wo er statt in U-Haft im normalen Strafvollzug untergebracht wurde – inmitten zahlreicher Neonazis.

Vor allem rügte Wesemann, dass einseitig ermittelt worden sei. Aufrufe zu Selbstjustiz gegen Valentin S. durch bekannte Neonazis habe die Staatsanwaltschaft nicht eigenständig verfolgt. Im Bezug auf die Schlägerei während des Nordderbys sei ein Zeuge von der Polizei nicht vernommen worden, der wohl zugunsten seines Mandanten hätte aussagen können: Er soll gesehen und sogar gefilmt haben, dass der Hooligan, der später von Valentin S. verprügelt wurde, zuvor einem der linken Ultras mit einer Bierkiste an den Kopf gehauen hat.

Eine Aussage, die die Ausführungen Valentins S.s zur Vorgeschichte der Schlägerei stützen würde. Er hatte seine Beteiligung daran bereits zum Haftprüfungstermin im November in einem Teil-Geständnis eingeräumt.

Auf Wesemanns Ausführungen, dass er sich frage, ob die Justiz auf dem rechten Auge blind sei, reagierte das Publikum im Saal mit Klatschen, was, bis auf einen Zwischenruf, das einzige Mal war, dass es aus der Reihe tanzte. Richter Kelle gab Wesemanns Antrag erwartungsgemäß nicht statt, lehnte ihn aber auch nicht sofort ab, sondern stellte eine Befassung in dieser Sache zurück.

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