Prozess im Mordfall von Kandel beginnt: Unklarheit über Abdul D.s Alter

Eine Jugendkammer verhandelt den Mord an Mia, weil der Angeklagte sein Alter mit 15 angab. Wäre er älter, würde ihm lebenslänglich drohen.

Kerzen und Blumen, dazwischen eine Kondolenzkarte

Gedenken an Mia in Kandel Foto: dpa

LANDAU taz | Eine Straße neben dem Gerichtspalast in Landau ist seit dem frühen Morgen gesperrt. Vor dem Gebäude stehen Polizeiwagen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt das Landgericht Landau seit Montag den Mordfall, der den Streit um die Flüchtlingspolitik und das Asylrecht befeuert hat wie kein anderer. Auf der Anklagebank sitzt Abdul D., ein abgelehnter Asylbewerber, der mutmaßlich aus Afghanistan stammt. Der junge Mann soll am 27. Dezember letzten Jahres in einem Drogeriemarkt in Kandel seine frühere Freundin, die 15jährige Mia, mit sieben Messerstichen getötet haben. Mit dem heutigen sind 13 Prozesstage bis zum 29. August terminiert. Ob es bis dahin schon eine Urteil gibt, ist unklar.

Es war „Heimtücke“ sagt die Staatsanwaltschaft, weil der Angriff für Abduls Ex-Freundin so überraschend gekommen sei, dass sie sich nicht habe wehren können. Die Anklage geht deshalb von einem Mord aus, wegen „übersteigerter Eifersucht“. Dafür sieht das Strafgesetzbuch lebenslange Haft vor, ohne Wenn und Aber, allerdings nur für Erwachsene.

Deshalb ist die von Anfang strittige Diskussion über das Lebensalter des jungen Mannes eine Kernfrage dieses Prozesses. War Abdul bei der Tat älter als 21 Jahre, müsste er lebenslang ins Gefängnis. War er zur Tatzeit jünger als 18 Jahre, gilt Jugendstrafrecht und eine Höchststrafe von 10 Jahren Jugendhaft. Ist der Angeklagter ein Heranwachsender, also zwischen 18 und 21 Jahre alt, muss das Gericht ein angemessenes Strafmaß finden.

Abdul's Alter war nach seiner Einreise 2016 in Frankfurt am Main amtlich festgelegt worden. Danach wäre er zur Tatzeit 15 Jahre alt gewesen. Zweifel an dieser Altersfeststellung waren bereits unmittelbar nach der Tat aufgekommen.

Wahrscheinliches Alter 20 Jahre

Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat inzwischen die Regeln für die Altersfeststellung präzisiert und Städte und Landkreise aufgefordert, die Erstaufnahme von unbegleiteten Flüchtlingen an Kompetenzzentren abzugeben, weil dort besonders qualifizierte Fachleute deren Alter und ihren Hintergrund besser einschätzen könnten. In einigen Bundesländern werden inzwischen für die Altersfeststellung vermehrt ärztliche Gutachten herangezogen, wie jetzt auch vor dem Landauer Prozess.

In einem ersten Beschluss hat das Gericht zu Gunsten des Angeklagten entschieden. Es könne nicht völlig ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Jugendlichen handele, also jemanden der zur Tatzeit noch unter 18 Jahre alt war, erkannte das Gericht. Deshalb der Ausschluss der Öffentlichkeit.

Dem Gericht liegt ein medizinisches Gutachten vor, nach dem Abdul zur Tatzeit? mindestens 17,5 und höchstens 21 Jahre alt ist. Als wahrscheinliches Alter nennt das Gutachten 20 Jahre. Das Gericht hat ein Ergänzungsgutachten in Auftrag gegeben, so wichtig ist diese Frage.

Selbst „seriöse“ Medien veröffentlichen Fotos

Während der Prozess im Gerichtsgebäude beginnt – Abduls Verteidiger verlangt den Austausch des seiner Meinung nach unzulänglichen Dolmetschers – versucht in einem anderen Gebäude, im Haus am Westbahnhof, der Pressesprecher des Gerichts Robert Schelp auf einer Pressekonferenz die schwierige Rechtslage zu erläutern. Denn seitdem die Tat in Kandel und an anderen Orten Demonstrationen gegen die Asylpolitik ausgelöst hat, polemisieren Kritiker*innen im Netz auch gegen den vermeintlich laxen Umgang des Gerichts mit dem mutmaßlichen Gewalttäter. Schelp erinnert daran, dass Bilder des Angeklagten, gegen den nach Jugendrecht verhandelt wird, nicht veröffentlicht werden dürfen. Doch selbst „seriöse“ Medien verstoßen im Internet gegen diesen Rechtsgrundsatz.

Die Eltern der getöteten Mia nehmen an dem Verfahren als Nebenkläger teil. Sie, der Angeklagte und auch die jugendlichen Zeugen aus dem Umkreis von Mia und Abdul werden vor der Öffentlichkeit abgeschirmt.

Abdul D. will sich umfassend äußern

Der Angeklagte bereue die Tat und werde sich zu seiner Person und den Hintergründen der Tat äußern, ließ sein Verteidiger wissen.

Zwei Wochen vor der Tat war er auf dem Schulhof in eine Schlägerei verwickelt gewesen, eine gute Woche vor der Tat hatten zunächst Mia und später auch ihre Eltern Abdul angezeigt, weil er Mia gedroht hatte. Unmittelbar nach der Tat hatten Polizei und das zuständige Jugendamt widersprüchliche Angaben darüber gemacht, ob und wann die Information über eine mögliche Gewaltbereitschaft des späteren Täters an das zuständige Jugendamt weitergegeben wurden.

Der Streit zwischen Polizei und Jugendamt werde nicht Gegenstand des Verfahren sein, gab Pressesprecher des Landgerichts am Montag zu Protokoll. Es geht im Strafverfahren um die Verantwortung des Angeklagten.

Die Bürger*innen von Kandel, die seit Monaten immer wieder Demonstrationen von Asylgegnern ertragen mussten und sich unter dem Motto „Wir sind Kandel – vielfältig, tolerant und offen“ mehrfach zu Gegendemonstrationen versammelt hatten, verfolgen den Prozess mit großem Interesse. „Für die Kandeler ist es wichtig, dass dieser Prozess jetzt stattfindet und die Sache damit endlich abgeschlossen wird,“ sagte Stadtbürgermeister Günther Tielebörger dem SWR.

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