Prozessauftakt gegen 16-jährige Safia S.: Öffentlichkeit ausgeschlossen

Die minderjährige Safia S. verletzte einen Polizisten lebensgefährlich. Ihr Anwalt bezweifelt einen Kontakt der Jugendlichen zum „Islamischen Staat“.

Polizisten stehen am OLG Celle

Polizisten stehen am OLG Celle Foto: dpa

CELLE taz | „Wie wollen wir es machen mit der Anrede?“, fragt Richter Frank Rosenow und lächelt freundlich in Richtung Anklagebank. „Sie oder Safia und du?“ Die Angeklagte spricht kurz mit ihrem Anwalt, der neben ihr sitzt. „Safia und du reicht“, sagt sie dann mit leiser Stimme.

Safia S., beigefarbenes Kopftuch, große Brille, lange Strickjacke, ist 16 Jahre alt. Jetzt sitzt sie in Saal 94 des Oberlandesgericht Celle vor dem Strafschutzsenat. Safia S. ist wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Sie soll, so steht es in der Anklageschrift, an einem Freitagnachmittag Ende Februar zwei Bundespolizisten am Hauptbahnhof in Hannover gefolgt sein, bis diese sie kontrollierten. Dann zog sie, für die Beamten völlig unerwartet, ein Gemüsemesser und stach oberhalb der Schutzweste gezielt auf den Hals des einen Polizisten ein und verletzte ihn dabei lebensgefährlich. Damals war Safia 15.

Der andere Beamte überwältigte das Mädchen und nahm es fest. Safia S. sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Der Bundesanwalt geht davon aus, dass sie im Auftrag des IS gehandelt hat. Trifft dies zu, wäre die Deutsch-Marokkanerin nicht nur die jüngste islamistische Attentäterin, die es in Deutschland bislang gab. Sie wäre auch die erste, die im Auftrag des IS hierzulande einen Anschlag in verübt hat. Dafür drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft.

Der Prozess läuft noch keine halbe Stunde, da verkündet Richter Rosenow den ersten Beschluss. Weil die Angeklagte minderjährig ist, schließt er zu ihrem Schutz die Öffentlichkeit für das ganze Verfahren aus – auch der Verlesung der Anklage und der Urteilsverkündung dürfen Journalisten und andere Zuschauer nicht beiwohnen. Es gelte, Safia S. vor Bloßstellung und Stigmatisierung zu schützen.

Mit Pierre Vogel auf Youtube

Safia S. ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter, die während des Prozesses neben ihr sitzt, ist eine strenggläubige Muslima, sie stammt aus Marokko. Safias Vater, ein Deutscher, reiste in den 80er Jahren viel und konvertierte zum Islam. Die Eltern trennten sich, als die Kinder noch klein waren. Safia und ihre beiden älteren Brüder blieben bei der Mutter. Sie nahm die Geschwister, schon als diese noch klein waren, in den „Deutschsprachigen Islamkreis“ mit, eine salafistische Moschee in der Hannoveraner Nordstadt, die seit Längerem vom Verfassungsschutz beobachtet wird. „Sie wurden viel gezwungen, den Koran zu lernen“, sagte der Vater, Mohammed Robin S., dem NDR in einem Interview, und macht die Mutter dafür verantwortlich. „Freizeit und Spielen war nicht so drin.“

Im Internet findet man Videos, die Safia S. im Gespräch mit Salafistenprediger Pierre Vogel zeigen, sieben oder acht Jahre alt ist das Mädchen da. In einem der Filme blickt sie verschmitzt unter ihrem fliederfarbenen Kopftuch zu Vogel hoch. Mit heller Stimme rezitiert sie auf dessen Anweisung aus dem Koran und verrät ihm in Gespräch, dass sie bald auch in der Schule das Kopftuch tragen will.

Und doch gibt es auch andere Bilder von Safia, die aufs Gymnasium ging und eine gute Schülerin war, wie ihr Vater sagt. Auf Facebook postete sie noch vor zwei Jahren Fotos, wie es Teenies hierzulande millionenfach tun: Selfies vor dem Spiegel, gemeinsam mit Freundinnen, Fotos von Katzen, beim Eislaufen oder von einer Reise nach Paris. Sie klickte bei „Allah is great“ auf „Gefällt mir“, tat das aber auch bei Leonardo DiCaprio und Mark Zuckerberg, Angela Merkel und Justin Bieber.

Ihr Bruder wollte nach Syrien

Heimisch aber, das ergaben die Ermittlungen, wurden Safia und ihr älterer Bruder Saleh in der Salafistenszene. In einem Chat soll Safia den Tag der Pariser Anschläge am 13. November 2015 als ihren „Lieblingstag“ bezeichnet haben, die Attentäter beschrieb sie als „unsere Löwen, die gestern in Paris im Einsatz waren“. Ihr Bruder, der heute 18 ist, verteilte den Koran in der Fußgängerzone, Anfang des Jahres brach er zum IS nach Syrien auf. Saleh kam nur bis in die Türkei. Dort griff ihn die Polizei auf und steckte ihn in Haft. Inzwischen ist er zurück in Deutschland und in der Psychiatrie untergebracht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Mordes gegen ihn, er soll kurz vor seiner Ausreise Molotowcocktails auf ein Einkaufszentrum in Hannover geworfen haben.

Am 22. Januar bestieg auch Safia in Hannover-Langenhagen ein Flugzeug nach Istanbul. Ihr Ziel laut Bundesanwaltschaft: der IS in Syrien. In Istanbul nahm das Mädchen laut Anklage Kontakt zu Mitgliedern der Terrorgruppe auf, sie sollten ihr bei der Weiterreise behilflich sein. In Hannover meldete die Mutter Safia erst bei der Polizei als vermisst, dann reiste sie selbst an den Bosporus, um ihre Tochter zurückzuholen. Noch in Istanbul erhielt Safia S. laut Anklage von IS-Mitgliedern den Auftrag, eine „Märtyrertat“ in Deutschland durchzuführen. Einem Freund ihres Bruders, dem Mitangeklagten Mohamed Hasan K., erzählte sie davon im Chat. Sie habe mit hohen Angestellten der IS-Regierung gesprochen, schrieb sie ihm auf WhatsApp.

„Leyla“ schickte Instruktionen

Schon vier Tage später war Safia zurück in Hannover, noch am Flughafen wurde sie von der Polizei befragt. Den Beamten erzählte sie, sie habe in Istanbul Urlaub machen wollen. Die Beamten kassierten ihr Handy ein und werteten es aus, die arabischen Chats aber übersetzen sie erst Anfang März – nach der Tat am Hauptbahnhof.

In Hannover soll Safia aus Sicht der Ermittler über einen Messengerdienst Kontakt zu den IS-Mitglieder aufgenommen und um Hilfe bei der Planung ihrer Tat gebeten haben. Eine Instrukteurin soll sich gemeldet und als „Leyla“ vorgestellt haben. Sie gab Safia, das berichtete die Süddeutsche, klare Anweisungen. Das Mädchen solle einen Polizeibeamten unter einem Vorwand in eine Ecke des Bahnhofs locken, zustechen, ihm seine Pistole entwenden und dann schießen. Safia wandte ein, sie könne nicht mit einer Pistole umgehen, „Leyla“ versprach Hilfe. Einen Tag vor der Tat verschickte Safia ein Bekennervideo, das sie selbst gemacht hatte. Der IS hat es bislang nicht veröffentlicht. Dann zog Safia S. mit einem Steak- und einem Gemüsemesser bewaffnet, zum Hauptbahnhof.

In dem Prozess wird es auch darum gehen, warum die Behörden nicht auf Hinweise reagierten, dass sich das Mädchen radikalisiert habe. Die Mutter ging zur Polizei, als Safia ausreiste, auch die Großmutter und die Schule wandten sich an die Sicherheitsbehörden. Doch die unterschätzten offenbar die Gefahr. Die Pannen bei den Behörden im Fall Safia S. sind inzwischen Thema eines Untersuchungsausschusses im niedersächischen Landtag.

Hasan K. versuchte zu flüchten

Im Gerichtssaal sitzt Mohamed Hasan K. hinter Safia S. zwischen seinen Anwälten. Der 19-jährige Schüler soll von ihren Plänen durch die Chats gewusst, S. aber nicht angezeigt haben. Gegen den Schüler ermittelt die Bundesanwaltschaft auch in Zusammenhang mit dem abgesagten Fußball-Länderspiel am 17. November vergangenen Jahres, dem eine offenbar falsche Terrormeldung vorausgegangen war. K. soll im Internet ein Video hochgeladen haben, das in dem geräumten Stadion einen jungen Mann in Ordnerweste zeigt, zu hören sind die Worte: „Pray for Rakka“. Rakka gilt als Hauptstadt des IS. Sein Platz im Gerichtssaal wäre fast leer geblieben. Er versuchte, sich abzusetzen und saß in Griechenland in Haft. Am Dienstagabend wurde er nach Deutschland ausgeliefert.

Aus der Haft, sagt Mutlu Günal, Anwalt der Safia S., seine Mandantin S. habe dem verletzten Polizisten einen Brief geschrieben. Es tue ihr leid, heißt es darin, sie wünsche sich, die Tat ungeschehen machen zu können. Im Prozess, sagt Günal, als schon am späten Vormittag der erste Verhandlungstag vorüber ist, wolle sie sich noch einmal persönlich entschuldigen.

Der Anwalt beurteilt, wie zu erwarten ist, das Geschehene gänzlich anders als die Bundesanwaltschaft. „Der Vorfall ist klar“, sagt er, „aber der terroristische Hintergrund ist nicht gegeben“. Eine 15-Jährige könne doch nicht zur IS-Regierung Kontakt aufnehmen. „Das ist lächerlich. Da hat sich eine auf WhatsApp größer gemacht, als sie ist.“ Soll heißen: Die Chatprotokolle reichen als Beweis nicht aus. Auch sei bislang völlig unbekannt, wer „Leyla“ sei und ob sie wirklich zum IS gehöre. „Die kann auch irgendwo in Köln sitzen.“

Zudem, argumentiert der Anwalt, habe Safia S. ihre Tat wohl nicht wirklich übersehen können. Ein psychologisches Gutachten bescheinige dem Mädchen eine Reifeverzögerung. „Die Frage ist, ob sie nicht einer 13-Jährigen gleichzustellen ist“, sagt Günal. „Sie ist ein Kind.“ Das aber hieße: nicht strafmündig.

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