Punk-Fanzine „Trust“ feiert 200. Ausgabe: Schnauze voll von der Szene

Das Bremer Hardcore- und Punk-Fanzine „Trust“ will sich den Spaß an Musik und Politik nicht verderben lassen. Nun feiert es seine 200. Ausgabe.

Fünf Männer mit Masken und weißen Hemden waten durch einen Kanal.

Gut, aber außerhalb der Szene kaum bekannt: die zum Fest aufspielende Düsseldorfer Band Joseph Boys Foto: Andreas Endermann

BREMEN taz | Hat sich was mit „guter alter Zeit“, auch wenn man zu einem 200. Geburtstag schon auf solche Ideen kommen könnte. Beim Trust aber, dem dienstältesten „Fanzine für Hardcore, Punk und Underground“, hatte man schon 199 Ausgaben früher die Schnauze voll von der Szene. Bereits im Editorial der ersten Ausgabe vom Juli 1986 stand der Aufruf, sich hier zukünftig über Sachen auszulassen, die einen an der Szene ankotzen. Auf den Folgeseiten geht’s um sexistisches Mackertum, um dumme Sauflieder und um andere vermeintliche Selbstverständlichkeiten, über die sich bis heute energisch streiten lässt, bis hin zur heute wieder brandaktuellen Frage, wo eigentlich die Grenzen der Satire lägen.

Die Position des Trust ist gar nicht so leicht zu fassen, was bereits in dem doppelten Anspruch steckt, sich den Spaß nicht verderben zu lassen, und es sich zugleich aber auch nicht zu einfach zu machen mit der Politik in der Musik. „Ich habe keine Lust mich an irgendwelche vorgefertigten Doktrinen und Dogmas zu halten und meine Gedankengänge danach auszulegen“, schreibt einer im ersten Heft und demonstriert damit mehr Haltung als Ausdrucksvermögen. Ist ja auch wichtiger und das Trust hat wohl niemand von wegen Poesie.

Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, auch wenn das Layout schicker ist und handschriftliche Band-Anzeigen inzwischen Seltenheitswert haben. Es ist überhaupt erstaunlich, dass es dieses Heft heute noch gibt. Der Plan war, alle zwei Monate ein Heft herauszubringen, stand in der Erstausgabe, „was natürlich nicht versprochen werden kann, aber wir versuchen unser bestes zu geben.“ Seit mehr als 30 Jahren klappt das inzwischen, obwohl nicht nur die musikalischen Subkulturen ihre identitätsstiftende Kraft verloren haben, sondern bekanntlich auch der Printmarkt in Gänze in einer handfesten Krise steckt.

Es gibt jedenfalls mehr als genug Gründe, das 200. Trust am Wochenende zu feiern. Zum Fest im Bremer Schlachthof spielen Joseph Boys, Postford und Lügen auf, über die sich sagen lässt, dass sie allesamt außerordentlich gut und wichtig sind – und dass sie außerhalb der Szene trotzdem keine*r kennt. Sie sind jedenfalls deutlich weniger bekannt als das Trust-Magazin, das heute im Bahnhofskiosk zu haben ist. Mit seinem Blick ins internationale Musikgeschehen war das Trust dem Mainstream schon immer weit voraus: Nirvana waren früh drin, ebenso Fugazi oder At The Drive-In.

Sa, 8. 2., 20 Uhr, Bremen, Schlachthof; Infos: www.trust-zine.de

Auf Punk- und Hardcorekonzerte geht der ewige Trust-Herausgeber Dolf Hermannstädter noch immer. Er hat nur nicht mehr so viel Lust, drüber zu schreiben. Seine fünfstellig bestückte Plattensammlung reicht ihm, als Schreiber hat er sich dann vor allem auf seine Kolumnen verlegt, die gesellschaftliche und mitunter ausgesprochen persönliche Ansichten verbreiten. Manchmal ist das tiefsinnig, manchmal wütend – und manchmal vergaloppiert er sich auch. Es ist die Sprache eines Einzelgängers, eines radikalen Konsumkritikers, eines streitlustigen Idealisten. „Authentisch“ müsste man wohl dazu sagen, würde das im selbstkritischen Teil der Szene inzwischen nicht als vergiftetes Lob aufgefasst.

Hermannstädter mag keine Lieder über Bier, obwohl er selbst gern welches trinkt, ist seit mehr als 20 Jahren Vegetarier und auch mal schwer zu erreichen, weil er sein Handy zu Hause lässt. Ob das hier wichtig ist? Keine Ahnung. Aber er schreibt es auf und es wird gelesen. Längst nicht mehr nur im Heft: Hermannstädters zwischen 1986 und 2007 entstandene Kolumnen sind 2012 unterm Titel „Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf“ bei Mox und Maritz erschienen (295 S., 15,80 Euro). Die späteren bringt im Frühjahr der Ventil-Verlag als „Warum dauert es so lange, bis es besser wird?“(240 S., 16 Euro) heraus.

Um Musik kümmert sich derweil der Rest der seit Ende der 1990er-Jahre in Bremen ansässigen Redaktion. Dass heute auch die subkulturellen Sparten der Musikindustrie anders ticken als früher, kommentiert das Trust mit angemessener Patzigkeit neben den Rezensionen: MP3s und Streams werden nicht besprochen, Promopressungen auch nicht, Verbundanzeigen gibt’s schon gar nicht. Ach ja, und bitte nicht nerven, wann der Text kommt: „Wir haben für solche Anfragen keine Zeit.“ Klar, dass die Platten trotzdem kommen.

Die über hundert Reviews pro Ausgabe sind nach wie vor ein wichtiges Standbein des Magazins, meistens hart und flapsig. „Trust hat’s schon besprochen“, hören Musikjournalist*innen regelmäßig von ihren vermeintlich neu entdeckten Bands – mit Stolz, auch wenn man nicht sonderlich gut weggekommen ist. Kurz gesagt: Das Trust weiß treffsicher, was wichtig ist, und kommt dabei gar nicht erst auf die Idee, irgendwo falschen Respekt walten zu lassen. Durchweg international übrigens: „Mehr Deutsches“ wurde schon in frühen Leserbriefen immer wieder gewünscht – geholfen hat’s erfreulicherweise nichts.

Traurig ist, dass die Besprechungen benachbarter Fanzines heute notgedrungen kürzer ausfallen. Vorbei ist es mit der Abteilung „Millions of Zines“, wo früher die Kolleg*innen warben und gegenseitig ihre Hefte besprachen. Keine Ahnung, was aus Die letzte Hoffnung aus Oberhausen geworden ist oder Kabeljau aus Norderstedt – in den faksimilierten Trust-Rezensionen aus den 80ern klingen sie jedenfalls lesenswert. Dass es damals sogar Metaprojekte wie Das Fanzine der Fanzinemacher gab, ist Ausweis einer außerordentlich aktiven und selbstkritischen Kultur. Dass es wahnsinnig viel davon lebendig rüber ins Internet geschafft hat, darf mindestens bezweifelt werden. Obwohl es da inzwischen auch ein bisschen Trust gibt.

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