Queerbeauftragte Sophie Koch: „Ich will mich da nicht verkämpfen“
Sophie Koch, Queerbeauftragte der Bundesregierung, setzt auf leise Diplomatie statt auf laute Symbolpolitik. Auf ein Gespräch mit Merz wartet sie seit Juli.
taz: Frau Koch, Sie sind Queerbeauftragte der Bundesregierung. Das Wort „queer“ kommt im gesamten Koalitionsvertrag nur ein einziges Mal vor. Welche Rolle kann Queerpolitik in dieser Legislaturperiode überhaupt spielen?
Sophie Koch: Die Anzahl der Wörter sagt nicht viel darüber aus, was in den nächsten Jahren passieren wird. Ich bin ja auch Mitglied des Sächsischen Landtags, und im dortigen Koalitionsvertrag kommt das Wort gar nicht vor. Trotzdem passiert auf Landesebene einiges, es gibt zum Beispiel einen Aktionsplan zur Akzeptanz vielfältiger Lebensentwürfe. Das können und sollten wir auch von der Bundesregierung erwarten: Projekte umzusetzen, die die Situation queerer Menschen verbessern.
taz: Auf Bundesebene müssen Sie die Projekte in den nächsten Jahren selbst anschieben, oder?
Koch: Einiges ist doch vorgegeben. Die Evaluation des Selbstbestimmungsgesetzes kann Positives bringen. Aber natürlich gibt es auch Projekte, für die ich in der Bundesregierung werben will – zum Beispiel dafür, das Abstammungsrecht so zu reformieren, dass queere Familien endlich in Gänze als Familien gelten und rechtlich gleichgestellt sind.
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taz: Sie arbeiten die Versäumnisse der Vorgängerregierung auf?
Koch: Na ja, was heißt Versäumnisse. In den vergangenen Jahren ist einiges im Bereich der Gleichstellung erreicht worden, der nationale Aktionsplan „Queer leben“, die Reform zur Hasskriminalität. Dann scheiterte die Ampel. Im Abstammungsrecht wird nun allerdings auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwartet. Ich gehe davon aus, dass ein solches Urteil Rückenwind für das Reformvorhaben geben wird. Sehr wichtig ist mir daneben die Anpassung des Artikels 3 im Grundgesetz.
taz: Der garantiert die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Was wollen Sie daran ändern?
Koch: Auch das steht nicht explizit im Koalitionsvertrag. Aber es gibt seit Jahren Gespräche dazu in allen demokratischen Parteien. Jetzt hat der Bundesrat eine parteiübergreifende Initiative dazu gestartet. Die Bundesländer fordern, dass der Bundestag Artikel 3 um den Schutz der sexuellen Identität ergänzt. Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans, inter und weitere queere Menschen wurden von den Nazis und darüber hinaus verfolgt, tauchen in Artikel 3 aber bisher nicht auf. Diese Lücke muss geschlossen werden.
taz: Es ist bemerkenswert, dass die Initiative auch von unionsgeführten Ländern kommt. Trotzdem ist eine Grundgesetzänderung mit Zweidrittelmehrheit kaum vorstellbar, solange die Union am Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken festhält. Halten Sie es für realistisch, dass der ausgerechnet für den Schutz der sexuellen Identität gekippt wird?
Koch: Ich halte das nicht für aussichtslos. Natürlich geht das nicht nächste Woche durch den Bundestag, wir müssen schon noch einige Menschen überzeugen. Aber das liegt nicht nur am Thema der sexuellen Identität, sondern vor allem daran, dass es für viele Parlamentarier*innen zu Recht eine Hürde ist, das Grundgesetz zu ändern. Es könnte hilfreich sein, wenn neben Artikel 3 noch andere Änderungen debattiert würden.
taz: Sie meinen, es ist wahrscheinlicher, das Grundgesetz zu ändern, wenn es mehrere Anlässe dafür gibt?
Koch: Wenn zum Beispiel nochmal Änderungen an der Schuldenbremse beschlossen würden, wäre ich zuversichtlich, dass es bei Artikel 3 nicht an inhaltlichen Fragen scheitern würde.
taz: Sie arbeiten als SPDlerin unter einer Unionsministerin. Eine der ersten Amtshandlungen von Karin Prien war, das Gendern in ihrem Haus – in dem auch Sie sitzen – weitgehend einzuschränken. Wie ist Ihr Verhältnis?
Koch: Gut und vertrauensvoll. Je nach Kontext nutze ich geschlechtergerechte Sprache weiter. Wenn ich mit Menschen spreche, die sofort zumachen, wenn ich geschlechtergerechte Sprache verwende, finde ich es manchmal sogar sinnvoll, darauf zu verzichten. Aber selbstverständlich adressiere ich in meiner Kommunikation als Beauftragte alle Geschlechter.
taz: Sie schreiben und sprechen geschlechtersensibel, wenn der Kontext es erlaubt. Aber hängen mehr Rechte queerer Personen nicht generell mit einer respektvollen Ansprache zusammen?
Koch: Natürlich wäre es schöner, wenn auch die Bundesregierung gendersensibel kommunizieren und beim Christopher Street Day (CSD) die Regenbogenflagge hissen würde. Aber ich erwarte vom Bundeskanzler nicht, dass er Flagge schwenkend voran läuft. Ich will mich da nicht verkämpfen und stecke meine Kraft lieber in konkrete gesetzliche Verbesserungen bei der Gleichstellung und der Sicherheit queerer Menschen. Für mich ist die Debatte ums Gendern aber auch ein Beispiel für eine, die von den eigentlichen Problemen ablenkt. Deshalb versuche ich, sie nicht zu befeuern.
taz: Anders die Union. Neben Karin Prien wirbt auch Kulturstaatsminister Wolfram Weimer für Genderverbote in öffentlichen Einrichtungen.
Koch: Ich halte das für falsch. Aber will ich deshalb wochenlange Debatten führen? Nein.
Sophie Koch, 32, ist stellvertretende Landesvorsitzende der SPD Sachsen und Mitglied des Sächsischen Landtags. Nach Sven Lehmann (Grüne) ist sie seit Mai 2025 die zweite Beauftragte der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Sie pendelt zwischen Dresden und Berlin und identifiziert sich selbst als queer.
taz: Nach dem Verbot der Regenbogenflagge am CSD über dem Bundestag im Juli sagte Merz, der Bundestag sei „kein Zirkuszelt“. Sie haben damals das Gespräch mit ihm angekündigt. Haben Sie gesprochen?
Koch: Leider noch nicht. Ich kann verstehen, dass er sehr beschäftigt ist. Aber ich hatte ein Gespräch mit Thorsten Frei, dem Chef des Kanzleramts. Das ist ein erster Schritt. Ich bleibe dran.
taz: Was haben Sie Frei gesagt, was wollen Sie Merz sagen?
Koch: Ich habe erklärt, warum es wichtig ist, dass es mein Amt gibt – weil Queerfeindlichkeit zunimmt, weil wir einen weltweiten Rollback queerer Rechte erleben und sich Ungleichheiten verschärfen. Ich erkläre, dass ich Sprachrohr und Brückenbauerin zwischen der Community und der Bundesregierung sein will. Und ich bringe konkrete Anliegen wie Artikel 3 an.
taz: Immer wieder gibt es Angriffe von Rechts auf die queere Community. Aussagen wie die über das „Zirkuszelt“ werden von vielen als Legitimation für queerfeindliches Handeln gelesen. Gibt es in der Union ein Verständnis dafür, welcher Bedrohung CSDs und die queere Community ausgesetzt sind?
Koch: Die Innenministerkonferenz hat einen Arbeitskreis einberufen, der sich mit Queerfeindlichkeit befasst. Das Innenministerium macht sich Gedanken, wie die An- und Abreise von Teilnehmenden mit Hilfe der Bundespolizei künftig sicherer gestaltet werden kann. Merz selbst sagte im Bundestag, er werde alles dafür tun, dass queere Menschen in Sicherheit leben können. Das glaube ich ihm.
taz: Die Praxis zeigt anderes. Das unionsgeführte Familienministerium hat angekündigt, Gelder im Bundesprogramm „Demokratie leben“ zu streichen, das sich für Vielfalt stark macht, und teilnehmende NGOs einer „anlassbezogenen Prüfung“ zu unterziehen.
Koch: Solche Prüfungen wurden zu Recht schon einmal abgeschafft. Ein Kürzen der Mittel halte ich in Zeiten, in denen die extreme Rechte gerade unter jungen Menschen zulegt, für falsch. Im aktuellen Haushalt wurden die Gelder allerdings erst einmal aufgestockt, das war ein gutes Zeichen. Ich plädiere zudem gern dafür, die Union in ihrer vollen Komplexität wahrzunehmen. Es gibt nicht die eine Perspektive auf Fragen von Zivilgesellschaft und den Rechten queerer Menschen. Karin Prien steht zu zivilgesellschaftlichem Engagement.
taz: Widerspricht die angekündigte Kürzung der Mittel dem nicht?
Koch: Nein. Wir sind uns nur nicht immer einig, was die Lösungen betrifft. Ich finde, es braucht ein Zusammenspiel aus Prävention und Konsequenz. Klar müssen junge Rechtsradikale, die auf einem CSD Menschen angreifen, mit polizeilichen Maßnahmen rechnen. Aber im besten Fall haben sie vorher schon gelernt, warum Vielfalt wichtig ist und was demokratische Werte sind. Ich werde mich in meinem Amt für „Demokratie leben“ starkmachen und mich in all meinen Gesprächen vor die Zivilgesellschaft stellen.
taz: Sehen Sie die Gefahr, dass der Kampf gegen queere Personen hierzulande ähnlich feindliche Züge tragen könnte wie zum Beispiel in den USA, wo etwa die Rechte von trans Personen massiv eingeschränkt werden?
Koch: Antifeminismus und queerfeindliche Strömungen sind leider weltweit auf dem Vormarsch. Natürlich gibt es auch in Deutschland das Potenzial, dass die extreme Rechte das weiter vorantreibt. Mein Eindruck ist zwar, dass die Mehrheit der Menschen aktuell fest hinter den Rechten der queeren Community steht. Aber Kampagnen können politische Stimmungen sehr schnell beeinflussen.
taz: Sie meinen gegen Frauke Brosius-Gersdorf, die Bundesverfassungsrichterin hätte werden sollen?
Koch: Ja, oder auch gegen das Selbstbestimmungsgesetz, gegen das in den vergangenen Jahren massiv Stimmung aus ähnlichen Kreisen gemacht wurde. Wann immer wir dem Raum geben, besteht die Gefahr, dass es die gesellschaftliche Stimmung drehen kann. Gleichzeitig will ich erreichen, dass wir mehr machen, als nur Abwehrkämpfe zu führen. Wir müssen mit Haltung, Empathie und Wissen für queere Menschen eintreten. Wenn wir Verantwortlichen einen klaren Kompass haben, lassen wir uns nicht so leicht von Kampagnen verunsichern.
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