Queere Jugendpolitik: „Berlin ist Nachzügler“

Sebastian Walter, queerpolitischer Sprecher der Grünen, zum Koalitionsantrag auf ein queeres Jugendzentrum, der Donnerstag im Abgeordnetenhaus beschlossen wird.

CSD geht in Berlin auch im Regen. Aber ein queeres Jugendzentrum geht bislang nicht Foto: Andreas Hergeth

taz: Herr Walter, das Abgeordne­tenhaus stimmt am Donnerstag, dem 19. Oktober, über den Antrag von Rot-Rot-Grün ab, ein queeres Jugendzentrum einzurichten. Was unterscheidet ein Zentrum für queere Jugendliche von einem für jugendliche Heteros?

Sebastian Walter: Das neue Zentrum soll ein Ort der Stärkung und des Empowerments für queere Jugendliche sein. Sie sollen dort ohne Diskriminierung und ohne Angst zusammenkommen, voneinander lernen und sich austauschen können– eine Art „Schutzraum“ also.

Wie soll der aussehen?

Was wir brauchen, ist ein Ort, der sowohl Freizeitangebote macht, etwa Filmabende oder ein Café, wie auch ausreichend Betreuung bietet. Entscheidend ist, dass dort eine ungezwungene Atmosphäre herrscht, in welcher man sich austauschen und feststellen kann: Ich bin völlig „normal“.

Welchen Arten von Diskriminierung sind queere Jugendliche in einer weltoffenen Stadt wie Berlin denn ausgesetzt?

Das Coming-out ist schwierig für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Jugendliche – das war schon so, als ich vor 20 Jahren mein Coming-out hatte, und das hat sich bis heute leider nicht geändert. Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts München erfahren queere Jugendliche nach wie vor Diskriminierung im Alltag, etwa beim Sport oder in der Schule, oftmals auch in der Familie. Allein das Suizidrisiko ist auf das Vier- bis Sechsfache erhöht.

geboren 1979 in Karlsruhe, ist seit 2016 stellvertretender Vorsitzender sowie Sprecher für Haushalts-, Queer- und Antidiskriminierungspolitik der Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus.

Haben Sie einen bestimmten Stadtteil im Auge, wo das Jugendzentrum entstehen soll?

Wir haben keine Präferenz für einen bestimmten Stadtteil. Zen­tral und gut erreichbar sollte es aber schon sein. Mit dem Antrag wird die Verwaltung beauftragt, bis Ende des Jahres ein konkretes Konzept zu entwickeln, wie ein solches Jugendzentrum aussehen soll. Dann erst wird über den Ort entschieden.

Wie groß soll das Zentrum sein?

Ich fände es großartig, wenn es ein eigenes Haus wäre. Doch wir kennen die momentane Situation auf dem Gewerbemietmarkt und die finanziellen Spielräume des Landeshaushalts. Also wird es erst einmal eine normale Mietfläche sein.

Wie sieht es mit der Finanzierung aus?

Die ist gesichert: Im Haushalt stehen für das Jugendzentrum 2018 und 2019 je 175.000 Euro zur Verfügung.

Welche Altersgruppe soll angesprochen werden?

Generell gesagt: Jugendliche bis 26 Jahre. Wir müssen allerdings berücksichtigen, dass die Jugendlichen immer früher über ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität Bescheid wissen, teilweise schon mit elf oder zwölf Jahren. Das heißt, dass diese Altersgruppe dann auch noch mal ganz besondere Bedürfnisse hat und einen anderen Zugang braucht, ein anderes Angebot und andere Unterstützung als ältere Jugendliche.

Dafür werden geschulte Pädagoginnen und Pädagogen benötigt. Wie werden diese vorbereitet?

Bei der Umsetzung des erarbeiteten Konzepts wird es ein Verfahren geben, in dem sich geeignete Träger bewerben können. Sie werden das pädagogische Personal aussuchen, nach Fachstandards und nach Qualitätskriterien, wie das im Sozial- und Jugendbereich üblich ist. Bewährt hat sich zudem der sogenannte Peer-to-Peer-Ansatz.

Erklären Sie das bitte genauer.

Das heißt, Jugendliche, die ein bisschen älter sind und schon ihr Coming-out hatten, werden pä­da­go­gisch fortgebildet, sodass sie selbst geschulte Ansprechpartner für andere Jugendliche werden. Wissenschaftliche Untersuchungen beweisen, dass es besonders wirkungsvoll ist, wenn Jugendliche selbst Jugendliche beraten und ihnen Erfahrung mitgeben.

Soll die Einrichtung auch für nichtqueere Jugendliche geöffnet werden?

Es wird nicht an der Tür gefragt werden: „Bist du lesbisch oder schwul?“ Es wird darauf hingewiesen werden, was das für ein Ort ist – und dann werden die Jugendlichen schon selbst entscheiden, ob das der richtige Ort für sie ist oder nicht. Zielgruppenspezifisch ist es natürlich auf die Bedürfnisse von LSBTIQ*-Jugendlichen ausgerichtet.

Aber wenn nun Interessierte kommen, die keine queeren Jugendlichen sind, würden Sie die dennoch einlassen?

Auf jeden Fall. Wenn queere Jugendliche Freund*innen mitbringen, die nicht queer sind, dürfen die natürlich auch rein. Das ist wichtig und richtig.

Reicht ein einziges Zentrum aus?

Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, dass es mindestens ein queeres Jugendzentrum für Berlin geben soll. Das wollen wir nun auf den Weg bringen. Ich hoffe aber, es bleibt nicht nur bei diesem einen.

Welche Angebote für LSBTIQ*-Jugendliche existieren bisher?

Es gibt bereits tolle queere Jugendarbeit, etwa durch das Jugendnetzwerk Lambda oder den Verein AB Queer. Wir wollen aber, dass sich die Stadt im Jugendbereich insgesamt stärker öffnet für gesellschaftliche Vielfalt und diese vor Diskriminierung schützt. Da geht es nicht nur um LSBTIQ*-Jugendliche, sondern auch um Jugendliche of Color oder mit Behinderung.

Gibt es Vorbilder für ein solches Zentrum?

Berlin ist hier ein Nachzügler. Städte wie Köln und Frankfurt sind schon weiter. Von ihnen können wir lernen.

Befürchten Sie, dass es zu Übergriffen auf das Zentrum kommen könnte?

Gegenüber LSBTIQ* kommt es derzeit wieder verstärkt zu Drohungen und Gewalt. Auch da müssen und werden wir handeln. Einrichtungen der queeren Community wurden glücklicherweise bislang verschont. Ich hoffe daher, dass wir ohne besondere Schutzmaßnahmen auskommen.

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