Queerer Zank um CSD: Phantasma des Barrikadenkampfes

Berlins Homoszene hadert – es geht um eine Parade, die den einen gefällt, anderen nicht. Die wahre Frage lautet: Wozu brauchen wir Massenparaden mit Bierlizenz?

Gewohntes Bild aus dem Berliner Partykalender: Regenbogenflagge vor der Siegessäule zum CSD Bild: dpa

Einzelheiten des Streits korrekt zu benennen, würde hier in die Irre führen: Nur Nerds und Homopolitikhobbysammler verstehen, worum es etwa am Dienstagabend im Schwuz – dem queeren Veranstaltungszentrum im Berliner Bezirk Neukölln – geht: „Quo vadis CSD?“ lautet die Fragestellung.

Auf Deutsch: Was braucht Berlin noch eine Christopher-Street-Parade, die jeden Frühsommer (meist) zur Siegessäule führt und beansprucht, der Massenaufzug von Lesben und Trans und Schwulen und Inter* zu sein, der der Öffentlichkeit signalisiert, dass man die Performance jenseits von Verstecken und Undergrounds sucht.

Ein CSD – das war stets auch ein Zeichen, um der hauptstädtischen Politik zu signalisieren, man wünsche mittels einer Massenparade Gehör zu bekommen. Der Trägerverein der Demonstration, der CSD e. V., will allerdings nur durch seine Mitglieder bestimmen lassen, wie und mit welchen Parolen paradiert wird.

Alternativ gab es jedoch bis vor Kurzem den sogenannten Transgenialen CSD im Bezirk Kreuzberg, der sich ausdrücklich politisch verstand – dessen Politisches sich aber überwiegend aus links Subalternem rekrutierte und miteinander auch nicht klarkam, weil einige der MitschlurferInnen sich darüber mokierten, dass die Idee der PalästinenserInnenfreundlichkeit allzu stark ausgeprägt war.

Verheddert in Debatten

Unter anderem kam diese über das Verbrennen einer Israelfahne und Pöbeleien gegen jüdische Teile zur Sichtbarkeit. Obendrein verhedderte man sich in nicht enden wollenden Debatten um Unterstriche, Geschlechtsidentitäten und Queerpolitisches – ich-fokussiert, bis die schönen und schlanken Vokabeln „schwul“ und „lesbisch“ getilgt waren.

Kurzum: In Berlin gibt es einen Verein, der als politverantwortlich nur sich selbst von der Mitsprache her anerkannte und so über sehr viele Jahre tatsächlich politischer agierte als die Kreuzberger Variante. Als aber dieser Verein das ganze CSD-Projekt in „Stonewall“ umbenennen wollte, machten viele Organisationen aus dem Homospektrum nicht mehr mit: Der neue Name nämlich ist der jener Bar in New York City, aus der heraus 1969 Tunten und Transen sich militant gegen Schikanen der korrupten Polizei zur Wehr setzten.

Der politische Mythos der queeren Szenen besagt: Im „Stonewall“ sei die moderne Schwulenbewegung geboren und ein neues Credo geschaffen worden – nicht mehr um Toleranz betteln, sondern das Menschenrechtliche erkämpfen. Aber wen kümmert’s noch? In Deutschland ist das Phantasma des Barrikadenkampfes hinfällig geworden. Wozu dann also noch demonstrieren, zumal unter der inzwischen verblassten Chiffre „Stonewall“? Weshalb überhaupt noch in einem Modus der Masse mitlaufen, wenn doch alle weitgehend mit dem Dasein von Lesben und Schwulen einverstanden sind – wenn auch oft nicht mit deren Gleichberechtigung?

Fest statt Latscherei

Wäre es nicht besser, die zur Kulissenschieberei entwertete Demolatscherei einzustellen? Und statt dessen eine Art queeres Volksfest zu schaffen? Ein Wochenende im Berliner Tiergarten – mit Debatten, Vorträgen, Performances, mit Gastronomischem, das sich nicht in Chinapfannen, Döner und Biercocktailschwemmen erschöpft?

Eine Art Freiluft-Lunapark des Wissens und der Vergewisserung? Queer, familiär, mainstreamig und transgenial in einem? Heteros wären, natürlich, willkommen. Das hätte Sexiness, nicht den Appeal des Gestrigen.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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