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Queeres Metalfestival in WienBangen bis der Arzt kommt

Für Elfen gibt es Spieltische. Am Wochenende fand das queere Metalfestival „Loud and Proud“ erstmals im Wiener Club Flucc statt. Mit vollem Erfolg.

Live auf der Bühne: Takiaya Reed von der Band Divide & Dissolve in Kopenhagen, Dänemark, am 7. Mai 2022 Foto: Christian Hjorth/Gonzales Photo/imago

Im Musikvideo zu ihrem Song „Resistance“ besprühen die beiden Mitglieder des australischen Doom-Metal-Duos Divide & Dissolve Denkmäler von prominenten Figuren der britischen Kolonialzeit mit Urin. Am vergangenen Wochenende sind Divide & Dissolve Headliner des Festivals „Loud and Proud“, das zum ersten Mal überhaupt in Wien stattfindet.

Organisiert vom Kollektiv „Heavy Lezzers“, legt die zweitägige Veranstaltung im Club Flucc ihren Fokus auf Vielfalt: Eingeladen sind vor allem jene, die sich im Metalgenre als Zu­schaue­r:In­nen bislang noch nicht zu Hause gefühlt haben. Auf der Bühne stehen queere Metalbands mit ungewöhnlicher Besetzung und unkonventionellen Perspektiven im Mittelpunkt.

Divide & Dissolve etwa thematisieren immer wieder die zum Teil unaufgearbeitete Kolonialgeschichte. „Das gibt es im Mainstream-Metal fast gar nicht“, sagt Corinna, Teil des Veranstaltungsteams. Sie gründete das Kollektiv „Heavy Lezzers“ im Jahr 2017, um mehr Berührungspunkten zwischen der queeren Community und der Metalszene zu schaffen: „Es gibt schon genug Heavy Metal, der von Cis-Männern dominiert ist.“

Wunsch nach Eskapismus

Dabei gibt es zwischen queerer Szene und Heavy-Metal-Künstler:Innen zahlreiche Überschneidungen: politische Haltung, lautes Auftreten, der Wunsch nach Eskapismus und ein Ausdruck von individueller Identität. Bei der Auswahl der Bands für das Festival war Corinna besonders wichtig, dass die Eingeladenen ihre Plattform nutzen: Heavy Metal als Genre habe „extrem viel Potenzial, um zu empowern“, erklärt die junge Frau.

Foto: Heavy Lezzers

Und nennt klassische Songs wie „Never Surrender“ von Saxon und „Breaking the Law“ von Judas Priest, die viele kennen. Trotzdem werde Heavy Metal oft einseitig als düster, pessimistisch und sogar gefährlich wahrgenommen. Klar, in Teilen der Hard- und Heavy-Szene gibt es leider Fans, die die Musik als Vehikel für homophobes, antisemitisches und rechtsextremes Gedankengut nutzen, beim Festival „Loud and Proud“ gibt es das hingegen nicht.

Es hat deshalb bewusst Bands eingeladen, die sich gegen totalitäre Weltanschauungen positionieren. Alle auftretenden Künst­le­r:In­nen stellen zwar Härte dar, tun dies aber abseits hegemonialer Strukturen. Wie das wirkt? In Wien lebt das etwa die Bassistin der norwegischen Band Witch Club Satan vor: Sie war bis vor Kurzem hochschwanger, hat Zwillinge zur Welt gebracht und tourt und headbangt bereits wieder auf der Bühne. „So stelle ich mir hart und heavy vor“, sagt Corinna.

Ein Leuchtfeuer befreiter Identität

Erklimmt man die Stufen von der Bühne in den ersten Stock des Clubs, taucht man in eine Dragszenerie ein. Crossdressing gibt es in der Metal-Community seit jeher. Ob Dragshow oder Metalkonzert: Inszenierung und Styling stehen bei beiden im Vordergrund. Egal, ob ein „Wizard“ oder „Dragon“ aus einem Heavy-Metal-Songtext oder eben ein Leuchtfeuer befreiter Gender-Identität.

„Man kann einfach alles sein“, erklärt Susie Flowers, Gründerin des Wiener „Hauses of Rausch“. Das queere Kollektiv zeichnet für die Dragshows am „Loud and Proud“-Festival verantwortlich. Seine Zusammenstellung der Performances sei ein Best-off der Wiener Dragszene: „Und die kann sich echt sehen lassen“, heißt es.

Apropos Zauberer und Mystik: Zusätzlich zu Konzerten und Dragshows wird in einer eigenen Game-Area auch das Rollenspiel „Dungeons & Dragons“ gespielt. Fantasy-Fans schlüpfen in die Rollen von Elfen, Halb-Orks und Zwergen. Neben den Spieltischen laden Rückzugsorte zum Plausch ein.

Entertainment und Erbauung

Unterhaltung und Erbauung, beim Festival „Loud and Proud“ findet alles gleichzeitig statt, nach dem Vorbild des „Muskelrock“-Festivals in Schweden. Die „Heavy Lezzers“ vernetzen nun auch in Wien Angehörige der Queer-Community mit geistesverwandten Freaks und Metalfans aller Jackengruppen und Generationen.

Der Wunsch nach so einem visionären Ort spiegelt sich auch in der Nachfrage. Kurz vor Beginn des Festivals ist es bereits restlos ausverkauft, die Veranstalterinnen bekommen zahlreiche weitere Anfragen für Tickets. Kein Wunder: Das internationale Line-up ist mit Expertise zusammengestellt, die Stimmung dementsprechend ausgelassen. Die Veranstalterinnen erklären voller Stolz: „Wir sind es allen, die auf dieses Festival gewartet haben, schuldig.“

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