ROMA: "Die Gesellschaft ist stark genug, zu integrieren"

Der Umgang mit neu zuwandernden Roma in Berlin wandelt sich, glaubt Bosiljka Schedlich vom Verein Südost Europa Kultur.

Roma, Sinti und Anwohner feiern bei einem Fest des Roma-Hilfsvereins Amaro Drom in Neukölln im April. Bild: DPA

taz: Frau Schedlich, auf einer Tagung über Roma in Berlin haben Sie von einem Umdenken im Umgang mit dieser Minderheit gesprochen. Worin besteht dieses Umdenken?

Bosiljka Schedlich: In der Entscheidung der politisch Verantwortlichen und in der Bereitschaft der Verwaltung, Projekte zu fördern, die den Menschen aus der Gruppe der Roma helfen, Anschluss an die Mitte der Gesellschaft zu bekommen. Diese Chance hatten sie bisher nicht, weil die Ausgrenzung der Roma von einer Generation auf die andere übertragen wird. Trotzdem leben viele Roma unauffällig, sie haben eine Ausbildung und Arbeit. Uns geht es um die Familien, in denen seit Generationen niemand solche Chancen hatte. Und die Berliner Politiker und die Verwaltung haben sich entschlossen, ihnen diese Chancen zu geben.

Wie kam es zu diesem Umdenken? Vor drei Jahren zahlte der Senat neu zugewanderten Roma noch Geld, damit sie Berlin schleunigst verlassen.

Vielleicht kam es dazu, weil die Verantwortlichen in den letzten drei Jahren Gelegenheit hatten, diese Menschen kennenzulernen und sich so von den Vorurteilen zu entfernen, die wir alle haben, wenn das Wort Roma fällt. Das Bewusstsein über die eigenen Vorurteile wurde gemeinsam mit den Roma verdrängt. Aber in dem Moment, in dem wir es mit den Menschen zu tun haben, erkennen wir, dass wir nicht anders sind als sie. Dass wir nur Glück, andere Chancen hatten. Außerdem kann man diese Menschen nicht mehr in Busse stecken und wegschicken. Auch sie sind Bürger der Europäischen Union.

Was folgt daraus?

Deutschland profitiert sehr von der Öffnung der Märkte in der Europäischen Union. EU bedeutet aber auch, dass die Grenzen sich öffnen und nicht nur die Fachkräfte kommen, die Deutschland für die eigene Wirtschaft sucht. Es kommen auch andere Menschen. Aber auch sie haben viel Kraft und Courage in sich. Mit Kindern dort hinzugehen, wo sie weder die Sprache verstehen noch etwas über das Land wissen, das erfordert Courage. Es sind Menschen, die vor schlimmer Ausgrenzung und körperlichen Angriffen in ihren Herkunftsländern geflüchtet sind und hier neu anfangen wollen. Wenn man mit ihnen spricht, erfährt man, wie glücklich sie sind, wenn sie jetzt hier langsam das Vertrauen entwickeln können, nicht mehr ausgegrenzt zu werden. Das ist auch eine Chance für einen sozialen Ausgleich in Europa.

Zeigt das Umdenken im Hinblick auf die Roma, dass sich unsere Gesellschaft verändert hat?

Es hat sich einiges verändert, und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Diese Gesellschaft wird zahmer und zivilisierter mit der zeitlichen Entfernung von dem Krieg, dem sie ausgesetzt war. Ich sehe, dass die Gesellschaft hier durch die Ruhe und auch durch den Wohlstand zur Vernunft kommt und dass sie sich stark genug fühlt, auch die Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, zu integrieren. Ich hoffe, dass dieser Prozess weitergeht und dass in den Genuss dieser Entwicklung alle Menschen kommen, die am Rande der Gesellschaft leben. Denn wir haben auch eine deutsche Schicht, die am Rande der Gesellschaft lebt und eine besondere Unterstützung braucht, um zu lernen, besser zu leben. Das geht verloren, wenn man über Generationen keine Chance dazu bekommt.

Wenn man an die Sarrazin-Debatte zurückdenkt, fällt es schwer, an die wachsende Zivilisiertheit dieser Gesellschaft zu glauben.

Die Sarrazin-Debatte war eine Möglichkeit, viele negative Stimmen herauszulassen. Das, was Menschen privat dachten, konnte plötzlich öffentlich ausgesprochen werden. Aber damit ist auch die Chance einer Auseinandersetzung entstanden. Es sind Menschen wach geworden, die anders denken, die mit anderen Argumenten in die öffentliche Debatte gegangen sind. Vielleicht ist die Haltung, die jetzt in Berlin das Roma-Modellprojekt ermöglicht, auch eine Folge dieser Debatte.

Inwiefern?

Weil man begriffen hat, dass man die Menschen nicht sich selbst überlassen darf, sondern dass der Prozess der Zivilisierung ein gemeinsamer ist. Und dass man jeden Tag daran arbeiten muss. Denn Zivilisation ist der Weg, den wir gehen, kein Ziel, dass wir jemals erreichen werden. Wir alle tragen in uns nicht nur die Fähigkeit, gut und kultiviert zu sein, sondern auch böse und gewalttätig. An der Stimmung der Gesellschaft gegenüber ihren Randgruppen beweist sich, inwieweit die Menschen ihre Gefühle mit der eigenen Vernunft in Verbindung bringen. Und es ist gut, dass das in Berlin geht.

Werden von den Erfahrungen, die mit dem Modellprojekt gesammelt werden, irgendwann auch andere Neuzuwanderer profitieren?

Das hoffe ich. Der Umgang mit Minderheiten ist auch ein Weg, zu lernen, dass potenziell jeder an den Rand der Gesellschaft geraten, abfallen kann in einer Krisensituation. Und dass der Einsatz für diejenigen am Rande der Gesellschaft damit auch ein Einsatz für die Gesellschaft insgesamt ist. Und es geht hier auch um die Überwindung der eigenen Ängste gegenüber einer Gruppe. Die Nachbarn in den Häusern, in denen die Roma wohnen, die Lehrer, die Sozialarbeiter, die Mitarbeiter in den Jobcentern: Sie müssen alle lernen, mit diesen neuen Zuwanderern umzugehen. Denn diese Menschen werden bleiben, ihre Kinder und Enkelkinder werden Deutsche sein. Und je mehr wir nun in sie investieren, je mehr wir uns um sie kümmern, umso schneller ist dieser Prozess abgeschlossen

(Bosiljka Schedlich, 63, leitet den Verein Südost Europa Kultur. Er ist Träger des Projekts „Maßnahmen zur Stärkung der Roma-Community in Berlin“.)

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