Racial Profiling in Berlin: Alexanderplatz abschaffen

Die Polizei darf an „kriminalitätsbelasteten Orten“ verdachtsunabhängig kontrollieren. Ein Rechtsgutachten hält das für unrechtmäßig.

Zwei Polizeistreifen gegen in Richtung des Bahnhofs Alexanderplatz

Dürfen hier verdachtsunabhängig kontrollieren: Polizist*innen am Alex Foto: dpa

BERLIN taz | Die Abschaffung von Sonderrechtszonen für die Polizei fordert die Berliner Kampagne „Ban! Racial Profiling“. Ein am Montag veröffentlichtes Rechtsgutachten der zivilgesellschaftlichen Initiative kommt zu dem Schluss, dass die polizeiliche Definition und Ausweisung sogenannter kriminalitätsbelasteter Orte rechtlich auf wackligen Füßen stehen. Laut Gutachten bestehen „ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit“ der entsprechenden Abschnitte des Berliner Polizeigesetzes (ASOG). Die Regelung verletze unter anderem die informationelle Selbstbestimmung, also das Recht, selbst über persönliche Informationen zu bestimmen, und das Diskriminierungsverbot.

In Berlin darf die Polizei an selbst definierten „kriminalitätsbelasteten Orten“ wie Alexanderplatz, Kottbusser Damm oder Görlitzer Park bisher anlasslos und verdachtsunabhängig Personen kontrollieren. Die Regelung zieht aus Sicht des Bündnisses zwangsläufig Racial Profiling, also rassistische Polizeiarbeit, nach sich.

Im Koalitionsvertrag hat Rot-Rot-Grün zwar vereinbart, rassistische Kontrollen einzudämmen und bestimmte Paragrafen zu streichen – passiert ist seither allerdings noch nichts. Die Grünen sind gegen verdachtsunabhängige Kontrollen und haben kürzlich vorgeschlagen, eine Art Ticketsystem einzuführen, mit dem Betroffene übermäßige Kontrollen nachweisen können sollen. Die Linke ist sogar ganz für die Abschaffung der Sonderrechtszonen und bemängelt, dass entsprechende Forderungen der SPD in Verhandlungen um das neue Polizeigesetz gebremst würden. Die SPD sprach sich gegenüber der taz allerdings für die Beibehaltung der verdachtsunabhängigen Polizeibefugnisse an „kriminalitätsbelasteten Orten“ aus.

Unterdessen „berichten Schwarze und Menschen mit Migrationshintergrund von häufigen Kontrollen an diesen Orten aufgrund rassistischer Zuschreiben“, sagt Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt. Man habe das Gutachten beauftragt, weil es noch immer weder Dokumentation von Identitätsfeststellungen noch einen Klageweg gegen Racial Profiling gebe. Finanziert hat das Gutachten die sich als ethisches Unternehmen vermarktende Kosmetikfirma Lush.

Rassismus gesetzlich festgeschrieben

Die Knackpunkte liegen laut Gutachten im Paragraf 21 des Berliner Polizeigesetzes (ASOG). Problematisch, so Rechtsanwältin Maren Burkhardt und Rechtswissenschaftler Cengiz Barskanmaz vom Max-Planck-Institut, seien insbesondere eine intransparente Definition der „kriminalitätsbelasteten Orte“ und dass die Polizei laut ASOG dafür auch aufenthaltsrechtliche Kriterien heranziehen könne – damit seien Kontrollen anhand äußerlicher Merkmale gesetzlich festgeschrieben.

„Die anlasslose Kontrolle ist ein juristischer Fremdkörper, deren faktischer Nutzen wenig erwiesen ist“, sagt Burkhardt, die angibt, als im Strafrecht tätige Rechtsanwältin sehr häufig mit Racial Profiling in Kontakt gekommen zu sein. Nur wenige Betroffene gingen gegen konkrete Maßnahmen vor, weil anlasslose Kontrollen nicht dokumentiert würden und Racial Profiling häufig vor Gericht schwer beweisbar sei – zumal der Rechtsweg teuer sei.

Besonders problematisch ist aus ihrer Sicht, dass Betroffene von Racial Profiling nicht grundsätzlich gegen eine Einstufung von kriminalitätsbelasteten Orten klagen können. Die Sonderrechtszonen der Polizei verstießen somit gegen das verfassungsrechtliche Gebot des Gesetzesvorbehalts. Zwar wurden verdachtsunabhängige Kontrollen in Polizeigesetzen seit Anfang der 90er Jahre länderübergreifend eingeführt und sind anerkannt, dennoch sei juristisch völlig unklar, wer eigentlich zum Ausweisen einer solchen bürgerrechtsfreien Zone befugt sei. Die Ausweisung dieser Zonen sei ein intransparentes und rein internes polizeibehördliches Verfahren, so Burkhardt.

GdP: Berliner Polizei betreibt kein Racial Profiling

Tatsächlich definiert die Polizei sich ihre Sonderrechtszonen selbst. Die zuständige Direktion bewertet die Lage im eigenen Verantwortungsbereich, bevor sie mit LKA, Justitiariat und der Polizeipräsidentin eine Entscheidung über eine Einstufung trifft. „Viele schwere Straftaten“ sind laut Polizei dafür maßgeblich, wobei die Grenzen sich an der aktuellen Kriminalitätslage ausrichteten. „Kriminalitäsbelastete Orte“ könnten zudem „bei Bedarf“ vergrößert oder auch verkleinert werden.

Tatsächlich definiert die Polizei sich ihre Sonderrechtszonen selbst

Aus Sicht des Rechtswissenschaftlers Cengiz Barskanmaz verstößt das Berliner Polizeigesetz zudem gegen das grundgesetzlich festgeschriebene Diskriminierungsverbot. Besonders deutlich werde dies, weil die Polizei explizit jene Plätze zu kriminalitätsbelasteten Orten machen kann, wo es den Verdacht gebe, dass „sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen“ (ASOG). Dies wiederum machten Polizist*innen am Aussehen fest. Das habe eine stigmatisierende Wirkung, so Barskanmaz. Entsprechend würden hauptsächlich Nichtweiße kontrolliert – entgegen etwa der Behauptung der Gewerkschaft der Polizei (GdP), dass die Polizei Racial Profiling in Berlin nicht betreibe, hält der Grünen-nahe Lobby-Verein Polizei Grün vor allem den Aufenthaltsrechts-Passus für „einen Freibrief für Racial Profiling“.

Während die generelle Abschaffung von kriminalitätsbelasteten Orten derzeit unwahrscheinlich ist, dürfte letzterer Passus in Kürze abgeschafft werden. Zumindest das ist wohl in den Verhandlungen um das neue Polizeigesetz unstrittig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.