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Racial Profiling vor VerwaltungsgerichtEinblick in die Blackbox Polizei

Ein Schwarzer Sozialarbeiter kommt in eine Polizeikontrolle, seine Kol­le­g*in­nen nicht. Der Prozess in Bremen sät Zweifel an den Aussagen der Polizei.

Verstärkung schnell bei der Hand: Po­li­zis­t:in­nen auf dem Bremer Bahnhofsvorplatz (Symbolbild) Foto: Sina Schuldt/dpa

Elf So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen machen am Bremer Hauptbahnhof ihre Arbeit. Einen von ihnen kontrolliert die Polizei. Wer ist es? Es fehlt ein bisschen was an Information, um diese Rätselfrage aus dem echten Leben zu klären, aber vielleicht hilft ja dieses Detail: Einer von ihnen ist Schwarz.

Am Montag hat vor dem Verwaltungsgericht Bremen ein Prozess wegen Racial Profiling gegen die Polizei Bremen begonnen. Nach dem ersten Prozesstag ergibt sich folgendes Bild: Am 14. Mai macht die Ambulante Suchthilfe Bremen eine große Hepatitis-C-Aktion vor dem Tivoli-Hochhaus – Kli­en­t*in­nen aus der Drogenszene können sich gleich vor Ort testen lassen. Die Polizei soll informiert gewesen sein über die Aktion. Aber irgendwie kommt die Information nicht an: Zwei Streifenpolizisten interpretieren das Reichen von Tee und Snacks als Drogendeals und rufen Verstärkung.

Fünf Be­am­t*in­nen sind kurz danach vor Ort. Sie versuchen, die verdächtige Gruppe einzukesseln und zu kontrollieren. Die Sozialarbeiter, für den Aktionstag zu elft vor Ort, lassen sie in Ruhe – bis auf S. Warum er die Kontrolle für einen Fall von Racial Profiling hält, fragt der Richter. „Alle anderen waren Weiß. Ich war der Einzige, der Schwarz war, und der Einzige, der kontrolliert wurde. Von daher gehe ich davon aus“, so S. in seiner Aussage.

Und: Er habe seinen Dienstausweis vorzeigen wollen, doch die Polizistin habe das nicht akzeptiert. Selbst als er ihn am Ende doch noch herausholen durfte, habe die Beamtin zusätzlich auf den Personalausweis bestanden. „Ich stand da wie ein Krimineller“, sagt S. Mehrfach hat er an diesem Prozesstag Tränen in den Augen.

Maßnahmen zum Schutz vor Kontrollen bringen nichts

Für S. war es nicht die erste Kontrolle im Dienst. Das sei schon oft passiert, erzählt er im Gericht. Aber sein Arbeitgeber, die ambulante Drogenhilfe, hatte in enger Absprache mit der Polizei längst Maßnahmen ergriffen, um Kontrollen für die Zukunft zu vermeiden: Erst wurden die Dienstausweise mit Fotos versehen, dann auch noch alle Streetworker mit orangefarbenen Bändchen versehen. „Ich habe mich schuldig gefühlt, dass alle Kollegen die tragen müssen“, sagt S. später draußen. „Jetzt hat es nicht einmal etwas gebracht.“

Dieses Mal wollte S. die Kontrolle nicht mehr hinnehmen: Gegen die Polizei Bremen hat er Anzeige erstattet, wegen Racial Profiling. Der Migrationsanwalt Jan Sürig vertritt ihn vor Gericht.

Die Wahrheitsfindung ist kompliziert. Insgesamt zehn Zeu­g*in­nen sind geladen, neben S. selbst. Das Bild, das sich ergibt, ist widersprüchlich: Die fünf geladenen Streetworker unterstützen mehr oder weniger die Sicht von S. – und ergänzen sie: Auch sie hätten der Polizei gleich gesagt, dass er Streetworker sei. Doch die Polizistin habe das mehrere Minuten lang einfach ignoriert. „Das ist jetzt gerade egal“ oder etwas sehr Ähnliches soll sie gesagt haben, erinnern sich zwei Zeug*innen.

Die Polizistin D. erzählt eine andere Geschichte. S. sei ihr bei der Kontrolle schlicht am nächsten gewesen, das sei der einzige Grund gewesen, gerade ihn zu kontrollieren. Aufgebracht, ja aggressiv habe er reagiert. Dass er Streetworker sei, das habe er gar nicht gesagt, nur: „Ich gehöre nicht zu dieser Gruppe.“ D. sagt: „So etwas höre ich jeden Tag.“

Als die anderen Streetworker dazugekommen seien und sie aufgeklärt hätten, habe sich die Lage sofort entspannt. Lediglich Daten aus dem Dienstausweis habe sie noch aufgeschrieben, einen Personalausweis habe sie nicht eingesehen.

Am Ende des ersten Prozesstages steht so Aussage gegen Aussage. Ob das reicht für eine Verurteilung? Ob damit zweifelsfrei bewiesen werden kann, dass genau bei dieser Kontrolle Racial Profiling stattfand und kein anderes Motiv als die Hautfarbe von S. ausschlaggebend war?

Wortgleiche Stellungnahmen der Po­li­zis­t:in­nen

Klägervertreter Jan Sürig versucht Zweifel an der Glaubwürdigkeit der polizeilichen Zeu­g*in­nen stark zu machen. Die Klage von S. richtet sich nicht gegen die kontrollierende Polizistin, sondern gegen die Polizei Bremen – und so ist Sürigs Strategie, zu zeigen, wie das System Polizei gegen den Vorwurf vorgeht und zusammenhält.

Immer wieder konfrontiert der Anwalt die befragte Polizistin D.: Hat sie ihren Bericht wirklich selbst verfasst? „Ja.“ Gab es Absprachen? „Nein.“ Lag ihr die Stellungnahme eines Kollegen für ihren eigenen Tätigkeitsbericht vor? „Nein.“

Und dann holt Sürig aus und wird zu einer Art Plagiatsjäger. Der Anwalt liest zunächst aus der Stellungnahme eines Kollegen vom Tag nach der Kontrolle vor: „D. traf dabei auf eine Person, die sich augenscheinlich ebenfalls bei der Personengruppe befunden hatte und sich bei unserem Aussteigen selbständig wegbewegte“, heißt es dort. Dann nimmt er D.s Bericht, sechs Wochen später erschienen: „Ich traf dabei auf eine männliche Person, die sich augenscheinlich ebenfalls bei der Personengruppe befunden hatte und sich bei unserem Aussteigen aus dem Streifenwagen wegbewegte.“

Die Polizisten draußen tauschen sich über das Verfahren aus und lauschen an der Tür.

Zuschauerin im Gerichtssaal

Es bleibt nicht die einzige Textstelle, die Sürig zitiert. Drei Mal meldet er sich und liest jeweils zwei fast wortgleiche Passagen aus den unterschiedlichen Berichten vor. „Wollen Sie mir wirklich sagen, dass das nur Zufall war?“, fragt er D. „Sie haben den Bericht Ihres Kollegen nicht gelesen?“ Es bleibt beim Nein.

Auf eine mögliche Einflussnahme durch Diensthöhere zielt auch ein anderer Fragenkomplex: Warum, will Sürig wissen, hat D. sich entschieden, in Uniform und mit Schusswaffe vor Gericht zu erscheinen? „Es gab da eine Dienstanweisung“, sagt die 23-Jährige, „per Mail.“

Auch der nächste Zeuge kommt in Uniform und mit Waffe; Sürigs Frage, warum alle fünf polizeilichen Stellungnahmen zur Kontrolle am 14. Mai genau zeitgleich am 23. Juni fertig wurden, die kann er nicht beantworten. Doch bei der Frage nach der Uniform kommt Sürig bei diesem jungen Polizisten nicht weiter. Er selbst habe das entschieden, dabei bleibt der junge Beamte. Von Dienstanweisungen ist nicht mehr die Rede.

Dann wird es ein bisschen spektakulär: Während der Befragung meldet sich eine Zuschauerin im Publikum. Das Gericht will sie erst abwimmeln – Zuschauer haben zum Prozess nichts beizutragen –, aber sie sagt es dann doch: „Die Polizisten draußen tauschen sich über das Verfahren aus. Und sie lauschen an der Tür.“

Der Betroffene hat seit der Kontrolle Panikattacken

Hinten im Raum sitzt noch ein weiterer Polizist, hochgewachsen, in Zivil, offenbar ein Freund der anderen, die als Zeugen geladen sind. Sürig bringt D. dazu, ihn während der Verhandlung zu identifizieren. Zwischendrin, da tippt er auf seinem Handy.

Das Gericht unterbricht die Verhandlung – aber, nun ja, viel Zeit bleibt ohnehin nicht mehr an diesem Prozesstag. Es ist fast 17 Uhr, gut sieben Stunden wurde verhandelt, mit nur 15 Minuten Pause. Ob nun wirklich gelauscht wurde, das lässt sich nicht mehr recht beweisen. Am kommenden Freitag werden die letzten drei Zeu­g*in­nen gehört, alle Polizist*innen.

S. hätte sich gewünscht, erzählt er später draußen, dass durch einen Sieg vor Gericht die Kontrollen aufhören mögen. Mittlerweile ist das für ihn fast egal: Seit der Kontrolle im Mai leidet er unter Panikattacken. Er ist seit Monaten krankgeschrieben. „In manchen Wochen schaffe ich nichts, außer zweimal zur Therapie zu gehen“, erzählt er. Demnächst läuft sein aktueller Arbeitsvertrag aus. „Ich glaube, ich habe sehr vielen Menschen helfen können“, sagt S. „Ich war gerne Streetworker. Dass ich es nicht mehr sein kann, macht mich fertig.“

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1 Kommentar

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  • Der Verdacht wird täglich stärker, dass es in unserem Polizeiapparat sehr wohl strukturellen Rassismus und rechtslastige Tendenzen gibt. Es scheint immer klarer, dass es Einzelfälle nicht mehr sein können. Es wird allerhöchste Zeit, dass endlich das Innenministerium und die Landesbehörden gemeinsam eine wissenschaftliche Studie bestellen, die möglichst neutral herausarbeitet, was denn der Sachstand ist. Doch bei den selbst oft stark rechtslastigen Ministern dürfte diese Idee nicht gut ankommen, die haben seit Seehofer genau das verhindert. Und genau das entlarvt die Scheinheiligkeit etwa eines Herrn Dobrindt: Es macht Rechtsextremismus und Rassismus immer weiter hoffähig. Die AgD braucht in der kommenden Koalition nur noch zu übernehmen....