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Räumung von besetzten Haus in BochumDer Traum ist längst nicht aus

In Bochum ist die „Villa Kunterbunt“ nach fast 45 Jahren geräumt worden. Doch die Be­woh­ne­r:in­nen geben nicht auf.

Der Traum ist aus in Bochum: Mahnwache vor der Villa Kunterbunt, denn auch Punks brauchen ein Zuhause Foto: Svenja Hanusch/imago

Aus Bochum

Andreas Wyputta

„Es tut einfach nur weh“, sagt die Punkerin, die sich „Schnaps“ nennt. Am Freitagnachmittag steht die 27-Jährige vor der „Villa Kunterbunt“ auf der Grenze der Bochumer Stadtteile Werne und Langendreer. 44 Jahre lang war die seit 1981 besetzte ehemalige Direktorenvilla der Westfälischen Drahtwerke Schutz-, Sehnsuchts- und Rückzugsort für viele, die von einem alternativen Leben träumten. Jetzt treiben Arbeiter lange Nägel in die Fenster des denkmalgeschützten Hauses: Die Stadtverwaltung lässt sämtliche Öffnungen mit Sperrholzplatten vernageln.

Die Polizei hatte am Donnerstag Dutzende Einsatzfahrzeuge und mehr als hundert Be­am­t:in­nen aufgeboten, um die zuletzt etwa 15 Be­woh­ne­r:in­nen aus dem wohl am längsten besetzten Haus der Republik zu werfen – darunter auch ein mit einem regulären Mietvertrag ausgestattetes altes Ehepaar, das schon seit Mitte der Siebziger in einer Hälfte des Hauses lebte. Nötig war das massive Polizeiaufgebot nicht: Die Be­set­ze­r:in­nen verließen die „Villa Kunterbunt“ völlig friedlich.

„Wegen Verstößen gegen brandschutzrechtliche Vorschriften“, fehlender Fluchtwege und Schimmelbildung hatte die Stadt Bochum die 1898 gebaute Villa zuvor für unbewohnbar erklärt und am 27. Oktober gefordert, das Haus müsse innerhalb nur einer Woche verlassen werden. Zwar haben die Haus­be­set­ze­r:in­nen versucht, mit zwei Demos und juristisch um ihr Projekt zu kämpfen. Doch am 11. Dezember hatte das Oberverwaltungsgericht Münster in zweiter Instanz die Räumungsverfügung in einem unanfechtbaren Beschluss bestätigt.

Verstehen können die Un­ter­stüt­ze­r:in­nen der Villa das nicht. „Innen gibt es ein ganz normales Treppenhaus aus Holz – wie in vielen anderen Altbauten auch“, sagt ein 50-Jähriger, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will und der sich deshalb einfach „ein Freund der Villa“ nennt.

Bei Obdachlosigkeit haben hier viele Menschen Hilfe bekommen.

Ein Freund der Villa

Aufgeben wollen sie nicht

„Wir haben rund um das Haus Pflanzen gerodet und Fluchtwege angelegt“, klagt eine andere Bewohnerin. Dabei sei die Stadt selbst für den Verfall des Hauses verantwortlich: Als Eigentümerin habe sie über Jahrzehnte selbst im vermieteten Teil „so gut wie nichts“ für den Erhalt des Hauses getan – und Arbeiten, die im besetzten Teil geleistet wurden, seien als „nicht denkmalgerecht“ kritisiert worden. „Dabei sind unter unseren Un­ter­stüt­ze­r:in­nen Fachleute wie Dachdecker, Elektriker, sogar ein Architekt.“ In Bochum vermuten deshalb einige, die Stadt wolle das Haus weiter verfallen lassen, um das Grundstück später gewinnbringend vermarkten zu können.

Dabei hat das Projekt Bedeutung weit über die linke Szene Bochums hinaus: „In den letzten vier Jahrzehnten haben hier hunderte Menschen solidarisch zusammengelebt. Auch bei Obdachlosigkeit oder in psychischen Belastungssituationen haben viele Hilfe bekommen“, erklärt der Freund der Villa. „Und jetzt werden wir auseinandergetrieben und verstreut“, sagt Punkerin Schnaps. Die Stadt Bochum habe zwar angeboten, die Be­woh­ne­r:in­nen in „Schlichtwohnungen oder Wohncontainern“ unterzubringen. Doch viele seien bei Freun­d:in­nen untergeschlüpft – oder leben noch in einer Mahnwache vor dem Haus.

Aufgeben wollen sie trotzdem nicht – und träumen davon, die Villa Kunterbunt zu kaufen: „Ein Unterstützer:innen-Verein kann reaktiviert werden“, sagt Arne Strey, der die Proteste gegen die Räumung für die Linkspartei begleitet und der auch die beiden Demos angemeldet hat. „Wir werden weiter friedlich um die Villa Kunterbunt kämpfen“, so der 46-Jährige. Er hofft dabei auch auf die Unterstützung der Grünen.

Ein erstes Kaufangebot aber lehnen die Unterstützerinnen als inakzeptabel ab. Zwar will die Stadt ihnen die Villa für den symbolischen Preis von einem Euro überlassen. „Zur Sicherstellung der erforderlichen Sanierungsmaßnahmen“ fordert Stadtbaurat Markus Bradtke aber „eine Finanzierungszusage über mindestens eine Million Euro“ von einer europäischen Bank. Dabei seien Haus und Grundstück zusammen nur etwa eine Viertelmillion Euro wert, hält der Anwalt der Bewohner:innen, Erich Eisel, dagegen. Das erste Angebot der Stadtverwaltung sei deshalb schlicht „sittenwidrig und unwirksam“.

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