Räumungsklage in Berlin-Neukölln: Mein Bedarf, du bedürftig

Eine Klage auf Eigenbedarf hat in erster Instanz Erfolg – ein Beispiel, wie niedrig die Hürden für Vermieter bisweilen sein können.

Kleiner Gerichtssaal mit Pulten

In solchen Sitzungssälen im Amtsgericht Neukölln wird über Schicksale entschieden Foto: imago/Rolf Kremming

BERLIN taz | „Haben Sie Sorgen?“ Ein Justiz­angestellter schaut zur Tür hinein in den kleinen Sitzungssaal des Amtsgerichts Neukölln. Die Vorsitzende Richterin verneint. Auf den Bänken vor ihr sitzt ein gutes Dutzend UnterstützerInnen der Mieterin Anna S., die meisten aus dem Umfeld der Initiative „Solidarische Aktion Neukölln“. Sie alle sind an diesem Dienstag zur Urteilsverkündung gekommen. Die Vermieterin von S. hatte Eigenbedarf für die kleine, unsanierte Wohnung mit Duschkabine in der Küche angemeldet, in der Anna S. seit acht Jahren lebt, und klagt nun auf Räumung.

Vor drei Wochen dauerte die Beweisaufnahme in dem Verfahren noch mehrere Stunden. Seinen Abschluss findet es schnell. Die Richterin verkündet knapp, dass die Vermieterin und ihr Ehemann ihren Eigenbedarf glaubhaft gemacht hätten. Die Wohnung sei bis Ende November zu räumen. Anna S. zeigt sich nach der Verhandlung überrascht von dem Urteil: „Ich frage mich, an welcher Stelle die Erzählung der Eigentümerin glaubwürdig gewesen sein soll.“

Die Eigentümerin mit Hauptwohnsitz im Berliner Umland macht geltend, dass sie zumindest im Winter ihren täglichen Arbeitsweg zu einer Anwaltskanzlei in Mitte verkürzen wolle. Die Wohnung nahe dem Tempelhofer Feld wolle sie deshalb mit ihrem Mann, einem Immobilienkaufmann, als Zweitwohnung beziehen.

Während der Beweisaufnahme wurde deutlich, dass das Ehepaar die Wohnung nie gesehen hat. Sie ist Teil eines ehemaligen Mietshauses, das von der Vermieterin und einem weiteren Gesellschafter erst vor Kurzem in 26 Eigentumswohnungen aufgeteilt wurde. Diese kleine Wohnung in schlechtem Zustand müsse es sein, da sie die billigste Wohneinheit sei und die Eigentümerin Angst vor Altersarmut habe. Der Eigenbedarf war angemeldet worden, nachdem die Mieterin mit Bezug auf die Mietpreisbremse einen niedrigeren Mietzins reklamiert hatte. „Ich liebe meine Bruchbude, und jetzt ist einfach mal entschieden worden, dass ich mein Zuhause verlieren soll“, sagt Anna S.

Anna S., Mieterin

„Ich liebe meine Bruchbude“

Erkennbar wird hier zumindest auf einer Seite, was Carsten Brückner „das Aufeinanderprallen zweier Schicksale“ nennt, wenn er ganz allgemein über Eigenbedarfsklagen spricht. Brückner ist Rechtsanwalt und Vorsitzender des Eigentümerverbandes Haus und Grund. Er ist der Überzeugung, dass die Gerichte sich die Entscheidungen in diesen Fällen nicht leicht machen. Grundsätzlich sei das Mietrecht eher auf Seiten der MieterInnen. „Wird aber ein Eigenbedarf als berechtigtes Inter­esse nachvollziehbar begründet, ist die Erfahrung aus meiner Praxis, dass die Gerichte da kaum eine andere Möglichkeit haben, als diesen anzuerkennen“, so Brückner.

Die Erfahrung von Mieterverbänden und -anwälten jedoch ist, dass genau diese nachvollziehbare Begründung recht weit gefasst sein kann. Sie schätzen ­Eigenbedarfsfeststellungen deshalb als besonders anfällig für Missbrauch ein. Der nachträgliche Beweis eines vorgetäuschten Eigenbedarfs ist dazu außerordentlich schwierig. Er führt selbst bei Erfolg vor Gericht in aller Regel lediglich zu finanziellen Entschädigungen. Der Wiedereinzug in eine geräumte Wohnung ist meistens nicht mehr möglich.

Weiterer Rechtsweg wahrscheinlich

Allein deshalb nutzen Mieter wie Vermieter bei Eigenbedarfsklagen nicht selten alle Rechtsmittel aus. „Da ist aller Erfahrung nach der Weg durch die Instanzen von beiden Seiten mit eingepreist“, bestätigt Carsten Brückner.

Nachdem sich der erste Schock gelegt hat, ist sich auch Anna S. sicher: „Da ist der letzte Drops noch nicht gelutscht.“ Beistand wird sie auch künftig vom Unterstützerkreis bekommen. Die Solidarische Aktion sagte der taz, dass sie den Fall selbstverständlich weiter begleiten werde.

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