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Rassismus bei der EMVerbrauchte Geste

Englands Jessica Carter wird im Netz rassistisch beleidigt. Das Team zeigt sich solidarisch und stößt eine Debatte über Gewalt auf Social Media an.

Langer Anlauf im Kampf gegen Rassismus: Jessica Carter trainiert für das Halbfinale gegen Italien Foto: Martin Meissner/ ap

Berlin taz | Alle sollen sehen, dass da etwas passiert ist. Eine Geste, an die man sich bei den Spielen Englands gewöhnt hat, wird nicht zu sehen sein, bevor das Halbfinale der englischen Auswahl gegen Italien am Dienstag in Genf (21 Uhr, ARD) angepfiffen wird. Keine Engländerin wird auf die Knie gehen, so wie es die Spielerinnen bei den vergangenen Turnieren und auch bei dieser EM immer getan haben, bevor die Partien begonnen haben. Dieser an die Aktionen der US-Football-Profis Colin Kaepernick angelehnte Geste, mit der er gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen People of Colour protestiert hat, war von den englischen Auswahlteams übernommen worden. Auch sie wollten ein Zeichen gegen Rassismus setzen.

Damit ist jetzt Schluss bei dieser EM. Das Team hat sich dazu entschieden, vor dem Anpfiff nicht mehr auf die Knie zu gehen. Nicht weil sich das Problem mit dem Rassismus verflüchtigt hätte. Im Gegenteil. Nach den rassistischen Beleidigungen, die in sozialen Medien über Verteidigerin Jessica Carter ausgekübelt worden sind, habe sich das Team darauf verständigt, das mit dem Knien nun bleibenzulassen, erklärte Kapitänin Lucy Bronze auf einer Pressekonferenz des englischen Teams.

Die Geste sei nicht mehr so stark, wie sie einmal gewesen sei, meinte sie. Im Team habe man sich gefragt, ob sie überhaupt noch jemanden wirklich berühre? Wohl kaum, „wenn unseren Spielerinnen derartige Dinge widerfahren, während sie bei den größten Turnieren ihres Lebens spielen“, beantwortete sie die Frage selbst.

Kurz zuvor hatte sich Jessica Carter auf Instagram mit „einer Nachricht an die Fans“ die verbalen Übergriffe öffentlich gemacht und sich von Social Media verabschiedet. „Seit Beginn des Turniers habe ich viel rassistische Anfeindungen erlebt. Ich finde, dass jeder Fan das Recht auf eine Meinung zu Leistung und Ergebnis hat, aber es ist nicht richtig oder akzeptabel, jemanden wegen seines Aussehens oder seiner Herkunft anzugehen“, heißt es da. Die Verteidigerin, die wie ihre Lebensgefährtin Ann-Katrin Berger bei Gotham in der US-Liga NWSL spielt, kündigte an, ihren Account an Berater zu übergeben. Sie selbst will sich fernhalten von den Plattformen, über die so viel Müll über sie ausgekippt worden ist.

Im englischen Fußballverband FA hat man Verständnis für die Entscheidung des Teams, auf die Kniegeste zu verzichten. Mark Bullingham der Vorstandschef der FA teilte mit, umgehend die Polizei in England eingeschaltet zu haben, „um sicherzustellen, dass alle, die für diese Hassverbrechen verantwortlich sind, vor Gericht gebracht werden“. Auch Gianni Infantino, der Präsident des internationalen Fußballverbands, der sonst keine Probleme damit hat, mit US-Präsident Donald Trump abzuhängen, mahnte zum Fall Carter an, dass kein Mensch aus welchem Grund auch immer diskriminiert werden dürfe.

Im englischen Team machen sich derweil etliche Spielerinnen Gedanken um die Zukunft ihrer Präsenz auf Social-Media-Kanälen. Kapitänin Bronze sagte: „Wir lieben es zu spielen, wir lieben den Kontakt zu unseren Fans. Social-Media-Kanäle liefern dafür großartige Möglichkeiten, aber wir brauchen sie nicht wirklich.“ Jetzt gehe es darum, als Team gemeinsam gegen Rassismus zusammenzustehen. Ausdrücklich betonte sie die Solidarität mit Lauren James, Michelle Agyemang und Khiara Kheating, den anderen Schwarzen Spielerinnen im Team. „Ich denke, wir alle wissen, dass alle Spielerinnen of Colour, die für England gespielt haben, Rassismuserfahrungen haben. Das ist eine traurige Tatsache im Hier und Heute.“

Derweil hat eine weitere englische Spielerin ihre Social-Media-Aktivitäten eingestellt – Verteidigerin Lotte Wubben-Moy. „Ein weiteres Turnier, bei dem wir rassistische Exzesse erleben, läuft“, erklärte sie in einem Statement. „Es ist ein Thema, das über den Sport hinausgeht. Aber was kann man tun auf den Plattformen, auf denen das stattfindet? Ich werde jedenfalls nicht weiter genau die Plattformen füttern, die diesen Missbrauch ohne jede Konsequenzen ermöglichen.“

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4 Kommentare

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  • Ich finde die Reaktion der englischen Spielerinnen absolut richtig. Leider scheint das Abknien, das mich schon jedes Mal wieder an Protest gegen Rassismus erinnert hat, nicht gewirkt zu haben. Gut auch, dass mehrere Sportlerinnen den Sinn von (zunehmend a)sozialen Medien hinterfragen. Es braucht das Hinterfragen gerade durch diejenigen, die Inhalte liefern und zigtausende Follower haben. Rege ich mich auf, interessiert das Zuckerberg, Musk und Konsorten nicht. Aber ohne Inhalte stirbt deren Geschäftsmodell.

  • Die Berichterstattung über die rassistischen Äußerungen in den sozialen Medien gefällt mir Allerdings würde ich mir wünschen das Wort 'Schwarze' nicht zu verwenden: "Ausdrücklich betonte sie die Solidarität mit Lauren James, Michelle Agyemang und Khiara Kheating, den anderen Schwarzen Spielerinnen im Team." Erst Recht nicht in so einem Beitrag. Schwarz und Weiß ist nicht mehr passend. Sind wir nicht alle Farbige in unterschiedlichen Nuancen?

  • Wenn diese Online Plattformen, die diese menschenverachtenden Kommentare zulassen, nicht an die Rassismus und Hetzparolen Kette gelegt wird, ändert sich auch nichts. Höchste Zeit, dass da etwas passiert.



    Es ist mit den passenden Algorithmusfiltern heute ein Leichtes, das zu verhindern. Man fragt sich, wer profitiert davon, dass es nicht gemacht wird....

  • Wann wird das endlich aufhören?