Über Rassismus reden: Lasst uns streiten!

Debatten über Rassismus werden schnell verletzend. Deshalb sind wir geneigt, sie zu vermeiden. Das hilft aber nichts: Wir müssen mittenrein.

Eine Illustration mit vielen in einander verwobenen Figuren, die alle was zum Thema Flucht und Geflüchtete sagen

Wer hat recht? Foto: xuehka.blogspot.de

Ein später Nachmittag vor zwei Wochen: Feierabendverkehr, ich steige aus der U-Bahn aus, als mich am Bahnsteig ein älterer Mann mit zerrissener Jacke und einer Flasche Bier in der Hand ansieht und erst mal abschieben will: „Es ist Deutschland hier!“ Danke, das hatte ich fast vergessen.

Es ist nicht das erste Mal und es wird auch nicht das letzte Mal bleiben, dass mir auf der Straße Rassistisches entgegengerufen wird. Ich bin nicht stehengeblieben, ich habe nichts Schlaues zurückgeschimpft, ich habe mich nicht hilfesuchend umgeblickt. Ich bin einfach weitergegangen. Wahrscheinlich werde ich das das nächste Mal wieder so machen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich richtig ist.

Was tun?

Offensichtlich bin ich immer noch keine Expertin darin, wie man am besten in so einer Situation reagiert. Ignorieren klingt nicht schlecht, ein bisschen nach Gelassenheit und dickem Fell. Soll ich mir etwa die Meinung eines Fremden zu Herzen nehmen, der mir zwischen zwei Schluck Bier seinen Unwillen aufzwingen will? Nein, danke.

Das Problem ist nur, dass es mir einfach nicht gelingt, ihn zu ignorieren. Ich tue nur so. So harmlos, so schnell es auch vorüberging, es will mir einfach nicht aus dem Kopf. Was also tun?

Die Debatte: Nach der Wahl Donald Trumps heißt es in Medien und sozialen Netzwerken, Linke und Liberale hätten sich zu viel mit dem Kampf für Diversität befasst und die weißen „Abgehängten“ vergessen. Schon davor führte die Linke eine Debatte darüber, wie sich eine inklusive und gleichberechtigte Gesellschaft erreichen lässt. Wer hat welche Deutungshoheit, wer hat viel Macht? Und wer ist bereit, zu teilen?

Die Reihe: In einer wöchentlichen Reihe beleuchtet die taz die Aspekte der Debatte. Alle Beträge unter www.taz.de/ueberrassismusreden

Es gibt eine Formel, mit der man Rassismus begegnen soll. Ein Dreisatz, der Hilfe verspricht: Name it, blame it, shame it. Schritt 1: Man muss es aussprechen, das böse Wort. Man darf es nicht in Hülsen packen wie „Unbedachtsamkeit“, „Altherrenwitz“ oder „der Vorfall“. Um Rassismus zu entzaubern, muss ihm erst begegnet werden.

In dem Moment selbst habe ich es nicht gesagt, aber in den Tagen danach immer wieder. Ich spreche mit meinen Freunden, und es fällt mir leicht zu sagen: Das ist Rassismus. Und meinen Freunden fällt es leicht zu verstehen, worum es geht. Bei der Erzählung vom Penner in der U-Bahn scheint es irgendwie klick! zu machen in den Köpfen: Ja, genau, so sieht Rassismus aus. Das funktioniert nicht immer so gut. Vor allem nicht, wenn es um „uns“ geht.

Was ist wahr?

Es gibt Sätze, die gehen ein bisschen schwieriger über die Lippen, ein bisschen schwieriger in die Ohren. Sätze wie: Die gesellschaftliche Linke hat ein Rassismusproblem. Zwei Fragen schließen sich daran an: Ist diese Aussage wahr? Und wenn ja, warum soll das so schwer sein zu verstehen? Die zweite Frage ist die eigentlich interessante.

Zum Beispiel beim No Border Camp 2012, als sich Aktivist*innen in Köln trafen, um sich zu vernetzen und ein paar Tage gemeinsam an einer besseren Welt zu arbeiten. Doch 2012 stand darüber in den linken Zeitungen und Blogs nur, wie sehr sich die antirassistische Szene gegenseitig anschreit und beschimpft.

Knackpunkt war ein Workshop zu Critical Whiteness, einem Theorieansatz, der auf dem Camp zur Debatte stand. Die Idee ist ganz kurz gesagt: Lasst uns mal zur Abwechslung das Weißsein thematisieren und herausfinden, wo es sich versteckt – hinter Normen, hinter Begriffen, hinter Dingen, die im Allgemeinen als neutral betrachtet werden. Dieser Ansatz ist bisweilen sehr umstritten.

Der Vorwurf lautet oft, dass Critical Whiteness antirassistische Arbeit verhindere, indem es die sozial konstruierten Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß weiter zementiert. Indem es immer weiter vom Weißsein und Nicht-Weißsein spricht, statt genau das zu überwinden. Am Ende konnte man den ganzen Streit auf zwei Seiten eindampfen: „Ihr seid ignorant und setzt euch nicht mit eurem eigenen Rassismus auseinander!“ gegen „Nur weil ich weiß bin, soll ich jetzt die Schnauze halten, oder was?“

Auf den ersten Blick sieht das nach dem Worst Case aus. Statt sich zu vereinen und zu überlegen, wie Diskriminierung zu verstehen und zu bekämpfen ist, blockiert sich die Linke im Streit. Und nicht nur Streit: Verletzungen, Fronten, Gräben. Auf einmal geht es nicht nur um Argumente, sondern um Gefühle und Erfahrungen der einen, die die anderen nicht machen können.

Wer sind „die Guten“?

Das Gleiche kann man auch mir vorwerfen. Warum fängt dieser Text an mit der Erfahrung der Autorin und nicht mit harten Fakten oder einem sachlichen Argument? Und ich verstehe, dass das ein bisschen gefühlig daherkommt. Aber wenn sich gesellschaftliche Machtverhältnisse in persönlichen Begegnungen ausdrücken, dann ist das kein schlechter Ausgangspunkt für eine Diskussion.

Das alles wäre gar nicht so schwer, wenn die Entscheidung, antirassistisch zu sein, genauso funktionieren würde wie die Entscheidung, kein Fleisch mehr zu essen

Warum soll sich die gesellschaftliche Linke jetzt selbst zum Thema machen, wo es doch ums große Ganze geht, um die anderen und ums Kapital? „Wir“ sind doch die Guten. Klar, ein Perspektivwechsel ist nicht leicht: Niemand von uns will dieser pöbelnde Typ sein und die meisten von uns sind es auch nicht. Sondern umsichtige Menschen, die nachdenken und kritisch sind, zu deren Selbstverständnis es gehört, Rassismus und ein paar weitere -ismen scheiße zu finden.

Das alles wäre gar nicht so schwer, wenn die Entscheidung, antirassistisch zu sein, genauso funktionieren würde wie die Entscheidung, kein Fleisch mehr zu essen. Am Anfang steht eine informierte Überzeugung, aus der eine klare Unterscheidung folgt zwischen richtig und falsch: Blumenkohl ist cool, Salami nicht.

Doch leider ist das nicht so. Die Bilder, von denen wir umgeben sind, die Sprache, in der wir denken, ist Teil der Realität, in der Diskriminierung entsteht. Ausgrenzung lässt sich überall finden: im Alltag und in der Weise, wie wir über Alltag nachdenken. Wir kommen da nicht so leicht raus.

Worst Case?

Und genau das ist der Punkt, an dem die Diskussionen, die vom No Border Camp und wie sie überall stattfinden an Küchentischen, in Plena und Konferenzräumen, manchmal hässlich werden. Der Punkt, der für manche eine einfache Einsicht ist, für andere ein großer Vorwurf. Ist das der Worst Case?

Nein, bloß Schritt 2: Blame it. Wir brauchen mehr Streit, mehr Auseinandersetzung, auch wenn das nicht immer spaßig ist. Die Gräben existieren ja nicht, weil man anfängt, miteinander zu reden.

Was ist die Alternative? Schwierige Themen aussparen und nur das, worauf sich alle, die irgendwie links sind, einigen können (Macht und so)? Stattdessen das Haarige einfach in noch kleineren Echokammern diskutieren, wo man sich immer wieder in den eigenen Überzeugungen selbst bestätigen kann?

Oder noch eine Möglichkeit: einfach ganz „sachlich“ sein und einen reinen Theoriestreit anstreben? Es geht um eine Praxis des Hinterfragens und Diskutierens, die wir gemeinsam einüben müssen – und das unter anderem anhand unserer Erfahrungen. Ich sehe keinen Ausweg, als mitten durchzugehen durch das schwierige Gemenge aus Verstand und Gefühl.

Und? Hat die gesellschaftliche Linke ein Rassismusproblem? Ich würde sagen: ja, klar. Weil wir alle ein Rassismusproblem haben. Die böse Welt der anderen ist auch unsere böse Welt. Egal, wie sehr wir dagegen sind, egal, wie viel wir darüber wissen.

Die Grundprämisse ist doch: Solange wir in dieser Gesellschaft leben, ihre Sprache sprechen und die uns zugewiesenen Rollen spielen oder anders gesagt: Solange wir nicht alleine zu Hause sitzen und eine weiße Wand anstarren, müssen wir davon ausgehen, dass all das Gute und Schlechte da draußen Einzug nehmen kann in unser Denken und Handeln. Ob wir wollen oder nicht. Ob wir es merken oder nicht. Ob es jemanden stört oder nicht.

Müssen wir uns schämen?

Das ist eine sehr starke Grundannahme, man könnte auch sagen: ein Totschlagargument. So banal und küchenpsychologisch es klingt: Am besten fängt man bei sich selbst an. Und im Prinzip ist es genau das, was in diesen hitzigen, teils verletzenden Diskussionen immer wieder auftaucht: ein Generalverdacht. Aber ich glaube, dass nur mit dieser Annahme, von der sich niemand ausschließen kann – egal ob persönlich von Rassismus betroffen oder nicht – eine kritische Praxis erst möglich ist.

Und genau darum müssen wir Schritt 3 vergessen: Shame it! Niemand soll sich schämen. Nichts ist verboten zu sagen oder zu denken, wenn man sich zusammentun möchte, um etwas zum Besseren zu verändern. Wir müssen uns streiten um Methoden, Ideen und Instrumente, mit denen wir ein gerechteres Zusammenleben gestalten können. Wir brauchen einen großen Streit um Überzeugungen, die richtige Ideologie, die schönste Utopie.

Amna Franzke ist taz-Redakteurin.

Und ein bisschen etwas von dem, was einen auch auf der Straße wappnet – Schritt 4: durchatmen, weitermachen.

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