Re-Inszenierungen in der Kunst: Die Show der Show

Wiederholungen, Neuauflagen, Loops und Parallelwelten kommen auffällig häufig in der Kunst vor. Was bedeutet dieser Hang zur Rekonstruktion?

Guy Ben-Ner re-inszeniert sich als Ahab aus Melvilles Roman, bzw. dessen Verfilmung: "Moby Dick" (Video still, 2000). Bild: Guy Ben-Ner,

Als Marie eines Tages ihrem Mann Thomas nachradelt, weil er sein Arbeitsgerät - eine Geige - vergessen hat, entdeckt sie, dass er eine zweite Familie unterhält. Der gleiche Mann, eine andere Frau, ein anderes Kind. Marie ihrerseits ähnelt Yella. Auch Yella erlebt eine Erfahrung wie ein unheimliches Zweites Gesicht: Ihr Mann, den sie tot glaubt, steht plötzlich in ihrem Hotelzimmer, und ihre neue Liebe ist der alten bedrückend ähnlich. Yella reproduziert bei ihrem Versuch, den Neuen anders und besser zu lieben, das Muster ihres alten Scheiterns. Marie reagiert auf Thomas Doppelleben, indem sie in eine surreale Welt eintritt. Ihre Revolte gegen das Gesetz der Wiederholung gelingt vermutlich nur im Traum.

Zwei Filme, "Das Herz ist ein dunkler Wald" und "Yella", die gleichen Schauspieler, Nina Hoss und Devid Striesow, das gleiche Thema. Nicht nur im Film, auch in den übrigen Künsten kommen Wiederholungen, Neuauflagen, Variationen, Loops und Parallelwelten zurzeit auffällig häufig vor - als Verfahren und Gegenstand ebenso wie als Vermarktungsstrategie. Da sind die Revivalkonzerte und Comeback-Alben von Bands mit den entsprechenden Retrowellen: Led Zeppelin und Police aus den 70ern, Bananarama und Rick Astley aus den 80ern, Lenny Kravitz aus den 90ern, die Spice Girls aus dem Alltime-Wannabe. Da sind - zumindest als Fassaden - die Wiederaufbau-Projekte von zerstörten Baudenkmälern wie das Berliner und Braunschweiger Schloss. Das Phänomen lässt sich besonders stark in der bildenden Kunst beobachten.

Zum Beispiel bei Robert Kusmirowski. Der polnische Künstler, ein Spezialist für verblüffend gute Fälschungen, will sich an den Anfangspunkt seiner Karriere zurückversetzen. Dazu rekonstruiert er seine erste Ausstellung, die 2002 an der Kunsthochschule in Lódz stattfand. Wohlgemerkt stand Kusmirowski, der bei der Berliner Kunstbiennale 2006 einen täuschend echten Eisenbahnwaggon aus Pappe und Styropr baute und diesen in der Jüdischen Mädchenschule in Mitte aufstellte, schon damals ganz im Banne der Nachmachungen und hatte Alltagsobjekte wie eine Zeitung, eine Packung Zigaretten und eine Käseschachtel gefakt. Im belgischen Museum Dhonat Dhaenens ist ab 17. Februar die Nachahmung der Nachahmung zu sehen - und ein grisseliges Video, in dem der auf einem Untersuchungstisch liegende Kusmirowski von Wissenschaftlern für die Zeitreise in die vermeintliche künstlerische Unschuld präpariert wird.

Der britische Turner-Preis, eine der begehrtesten Auszeichnungen für Gegenwartskünstler, ging im Dezember an Mark Wallinger für seine Rekonstruktion eines langjährigen politischen Protests in London. Wallinger baute das Camp des Friedensaktivisten Brian Haw nahe dem britischen Parlament komplett mit Spruchtafeln, Fahnen, Fotos und Plakaten nach - selbst die Ecke, in der der unermüdliche Haw seinen Tee kochte, fehlte nicht. Eine 14-köpfige Mannschaft arbeitete im Atelier sechs Monate daran, das Material herzustellen und so zu bearbeiten, dass es dem wettergegerbten Original entsprach. Dem Preisgeld von 25.000 Pfund stehen Herstellungskosten von 90.000 Pfund gegenüber. Mark Wallinger scheute weder Kosten noch Mühen für die Installation einer Installation, die man in der Realität beseitigte, als 2006 eine Bannmeile von einem Quadratkilometer rund um das Parlament eingerichtet wurde.

Der Italiener Francesco Vezzoli zeigt in seiner Videoinstallation "Democrazy", die auf der Biennale von Venedig Premiere hatte und zurzeit in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen ist, fiktive Wahlkampfspots. Die Hollywoodschauspielerin Sharon Stone und der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy posieren als Präsidentschaftskandidaten vor der Stars-and-Stripes-Flagge. Man könnte denken, dass sie mit ihrem Auftritt für einen haarnadelfeinen Riss und eine subtile Irritation in der Sphäre von Macht und Glamour sorgen, doch tatsächlich lebt Vezzoli von schlichten Exponentialformeln: die Show der Show, die Ritualisierung des Rituals. Als er im New Yorker Guggenheim-Museum Luigi Pirandellos "Sechs Personen suchen einen Autor" mit Stars wie Natalie Portman und Cate Blanchett inszenierte, waren fast auch nur Stars wie Uma Thurman und Salman Rushdie im Publikum.

Weniger marktservil ist die Berliner Galerie Förderkoje: Sie entwarf mit "Ultra Art Fair Unlimited" eine falsche Kunstmesse, die sich als Zusatzforum bei den großen Messen anmeldet. Bei der Art Basel 2007 wurde sie tatsächlich in das Programm aufgenommen - trotz der merkwürdigen Visagen ihres Urhebers "Lars vom Trier" und dessen Kompagnons auf www.ultra-art-fair.com, die eher freundlichen Monstern und Vampiren aus einem Kinder-Comic ähneln. Als Veranstaltungsort war der Baseler Zoo angegeben. Nächste anvisierte Station 2008: Schanghai.

Die Liste ließe sich fortsetzen, etwa mit Jeremy Dellers Re-Inszenierung der "Schlacht um Orgreave", einer blutigen Auseinandersetzung von britischen Minenarbeitern mit der Staatsgewalt in der Thatcher-Ära. Deller stellte sie 17 Jahre später mit den früheren Beteiligten am Originalschauplatz in Yorkshire nach. Oder mit Pierre Huyghes "The Third Memory", einer Konfrontation des Kinofilms "Dog Day Afternoon" über einen skurrilen Bankraub in den 70er-Jahren mit der Version des echten Täters, der für Huyghes Kamera den Überfall seinerseits nachspielte. Beide Arbeiten waren jüngst in der Ausstellung "History will repeat itself" in den Berliner Kunstwerken zu sehen.

Selbst vor älteren, des Trendheischens unverdächtigen Semestern wie Georg Baselitz macht die Welle nicht halt. Baselitz wartet mit "Remix"-Bildern auf, in denen der Maler, der die Kunst buchstäblich auf den Kopf stellte und die Gesellschaft in den Eimer trat, zentrale Werke neu malt. "Die große Nacht im Eimer" von 1962/63 kehrt 45 Jahre später wieder, diesmal mit leichterer Hand und reineren, weniger lastenden Farben gemalt.

Für die Revivals in der Popmusik stellte John Harris in der britischen Zeitung Guardian die These auf, dass das Phänomen mit dem üblichen Verweis auf die Postmoderne und ihre Theorien des Stillstands und der Fragmentierung der Zeit nicht abzutun sei. "Sehen wir es so", schreibt er: "Wenn zwischen 1958 und 1968 Welten lagen, wie kommt es dann, dass 1998 und 2008 so nahe beieinander scheinen?" Diese Frage lässt sich auf die Kunst übertragen. 1997 wurden mit der "Sensation"-Ausstellung Damien Hirsts Hai und andere in Formaldehyd konservierte Tierkadaver zu Ikonen, 2007 schickte sich der gleiche Künstler an, mit einem diamantenbesetzten, menschlichen Schädel den Coup mit ähnlicher Geste zu wiederholen. Dagegen stand die documenta 2 im Jahr 1959 mit Werken des abstrakten Expressionismus und der klassischen Moderne in deutlichem Kontrast zur documenta 4, die zehn Jahre später Pop-Art und Minimal Art präsentierte. Organisatorisch gab es 1968 ein kollektives Auswahlverfahren mit einem 24-köpfigen Documenta-Rat statt einzelkuratorischer Selbstherrlichkeit. Der alte Satz "Kunst ist das, was bedeutende Künstler machen" war durch Beuys "Jeder kann Künstler sein" abgelöst.

Doch jener in der Kunst nach 1945 so kostbare Pollock-Moment, der verhieß, dass man etwas schaffen könnte, das die Gesellschaft als genuin neu, frisch und anders empfindet (auch wenn man es kunsthistorisch später relativiert); dieses Aufblitzen von schierer Aufbruchsenergie und Zäsur scheint seit Warhols seriellem Credo undenkbar geworden zu sein. Die Jahrtausendwende und der Einschnitt von 9/11 haben daran nichts geändert. Philosophen wie Deleuze haben argumentiert, dass die Strategie der Wiederholung gerade den Versuch darstellt, eine Differenz zu erzeugen oder wenigstens denkbar zu machen - in dieser Differenz aber stecke das Leben, der unwiederholbare Moment selbst.

Etwa so, wie in James Ballards Roman "Crash" von 1973, den David Cronenberg 1996 verfilmte, eine Gruppe beginnt, Unfälle bewusst herbeizuführen und zu inszenieren, um sich ekstatische Momente zu verschaffen. Sie will sozusagen durch die Windschutzscheibe stoßen wie durch den Bildschirm des Fernsehers und das Glas des Ladenschaufensters, um den Einbruch der Realität zu provozieren.

Eine Besucherin der Ausstellung "History will repeat itself" machte eine interessante Bemerkung. "In den Nach-68-Generationen - ich meine Jahrgänge ab 1965, die auch zu jung waren, um die 70er-Jahre bewusst zu erleben - hatten viele dieses Gefühl, etwas verpasst zu haben. Fast sogar ein Schuldgefühl, es schon wieder verpasst zu haben, als wären wir nie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, an dem Geschichte gerade gemacht wurde", sagte sie.

Mit Deleuze positiv gedacht, könnte dies heißen, dass man in der Kunst wiederholt, variiert und kopiert in der Hoffnung, die Re-Inszenierung irgendwann doch zu durchdringen. Doch die Wiederholungsmuster heute scheinen mechanisch, sie wirken selbst schon als Tradition, Technologie und Marktformel, die kaum infrage gestellt wird. Im Sinne von Baudrillards Posthistoire hieße das, dass man sich damit abgefunden hat, Geschichte nur als Zuschauer zu erleben - so wie im September 2001 die meisten hilflos und überrascht vor dem Fernseher saßen. Vielleicht daher jenes verstärkte misstrauische Mustern der eigenen Wahrnehmung, der Medien und ihrer Inszenierung von Geschichte; die Flucht nach vorn in Spiegelungen, Paraphrasen und Abgesänge auf die Möglichkeit zur eigenen Haltung und Handlung. Zunehmend hat sich dies auch ins Private gewendet, dort dienen die Loops und repetitive Muster dann zur Verstetigung unsicherer Identitäten und Rollenbilder.

Wenn in 2010 die übliche Dekadenbilanz gezogen wird, wie wird man sie labeln? John Harris schlug "The Noughties" vor, also die Nuller, tendenziell zufrieden mit dem Seriellen, Umzirkelnden, im Zweifelsfall Gleichmacherischen.

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