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Reaktionen in Israel auf AbkommenWas nach der Freude kommt

Die Einigung zwischen Israels Regierung und der Hamas löst in Tel Aviv Euphorie aus. Trumps spricht von „ewigem Frieden“. Wie ernst nimmt Israel seine Ankündigung?

Menschen liegen sich am Donnerstag auf dem Geiselplatz in Tel Aviv in den Armen Foto: Maya Levin/afp

Sie sind euphorisch, sie tanzen, weinen, singen auf dem Tel Aviver Geiselplatz am Donnerstag, bis in die Nacht hinein. Tausende Menschen sind da, sie freuen sich über die Nachricht über eine Waffenruhe im Gazastreifen. Zwei Jahre war der Platz zwischen Kunstmuseum und Armeehauptquartier das Herz der Protestbewegung der Geiselangehörigen. Jetzt, angesichts der Aussicht auf die baldige Rückkehr der 20 noch lebenden Geiseln, ist die Freude groß.

In den Hintergrund tritt, dass die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump nur die Zustimmung für eine „erste Phase“ beinhaltet. Zahlreiche Fragen für ein endgültiges Ende des Krieges sind noch zu beantworten: Wird die Hamas ihre Waffen abgeben? Wie soll die künftige Verwaltung des Gazastreifens aussehen?

Vor allem aber geht Trumps Plan über eine Waffenruhe weit hinaus. Nichts weniger als „ewigen Frieden“ im Nahen Osten soll er bringen. Doch viele Israelis sind zwei Jahre nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und 251 verschleppt wurden, nicht mehr für Kompromisse bereit. Drei Viertel der jüdischen Israelis denken laut Umfragen nicht, dass Palästinenser überhaupt ein Recht auf einen eigenen Staat haben sollten, ein historisch hoher Wert. Wie ernst nimmt man Trumps Friedensvision in Israel?

Unweit des Geiselplatzes beginnt am Donnerstagabend das Wochenende. Der Lärm in den gefüllten Bars und Restaurants auf der Ibn-Gabirol-Straße schafft eine absurde Normalität, kaum eine Autostunde entfernt von den pausenlosen israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen. Nur wer am nahegelegenen Strand genau horcht, hört hin und wieder leise die Einschläge in Gaza, wo binnen zwei Jahren mehr als 67.000 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Zivilisten. Zahlreiche Beobachter sprechen von Völkermord. Erst um Mitternacht wird die Waffenruhe in Kraft treten.

Die Schuldfrage

„Das Abkommen gibt mir Hoffnung“, sagt Moschik Bibi, der neben seiner Verlobten Atalya Ben Zeev in einer Bar Platz genommen hat. „Vielleicht sogar auf Frieden“, meint der Elektrotechniker. Ben Zeev widerspricht: „Ich glaube nicht, dass die Araber Frieden wollen“, sagt sie und meint die Palästinenser im Gazastreifen. Es müsse eben vorher die Hamas weg, wendet Bibi ein. „Gazaner bleiben Gazaner“, beharrt Ben Zeev.

Sie würden „ihren Kindern Hass beibringen“ – ein Satz, der in Israel sehr oft gesagt wird. Er ist immer wieder das argumentative Fundament, auf dem Menschen bis hinein in die politische Mitte selbst im Fernsehen den Tod von Kindern als „künftige Terroristen“ rechtfertigen. Israels Armee transportiert dieses Narrativ selbst auf ihrer Website: Kinder in Gaza würden gelehrt, „Terrorismus zu glorifizieren und Märtyrertum anzustreben“, heißt es dort.

Es sei die junge Generation in Gaza, die nicht bereit zum Frieden sei, sagen beide. Aber sei nicht ein Grund dafür, dass binnen zwei Jahren rund 20.000 Kinder bei israelischen Angriffen getötet wurden und ein Teenager in Gaza bereits vor dem 7. Oktober mehrere Kriege mit Tausenden Toten auf palästinensischer Seite erlebt hat? „Daran ist die Hamas schuld, wir müssen uns verteidigen“, sagt Ben Zeev.

Israels Jugend rückt nach rechts

Auch Israels junge Generation ist laut Umfragen schon vor dem 7. Oktober deutlich nach rechts gerückt, hin zu populistischem Nationalismus und Militarismus geneigt. Ben Zeev, selbst in einer eher links eingestellten Familie aufgewachsen, ist das beste Beispiel, wie sehr die Hamas-Massaker diesen Trend verstärkt haben. „Ich glaube nicht, dass wir jemandem etwas getan haben“, sagt Ben Zeev. Den Israelis aber seien von den Hamas-Kämpfern Dinge angetan worden, die es „nicht einmal im Holocaust gegeben habe.“ Was genau, lässt sie offen.

Er bestellt ein großes Bier, sie Aperol Spritz und Nachos mit Guacamole. Sie arbeite im Restaurant-Geschäft, sagt die blonde Endzwanzigerin. Was also müsste in Gaza für „ewigen Frieden“ passieren? Vielleicht könne ja die Verwaltung durch die USA, wie von Trump vorgeschlagen, etwas ändern, sagt Bibi und findet ein paar Worte, die fast wie Empathie klingen: „Ich will glauben, dass auch unter den Palästinensern die meisten gerne in Frieden leben würden.“ Eine israelische Mitverantwortung auf dem Weg zum Frieden aber sieht auch er nicht.

Ein paar Meter weiter im Restaurant Miznon schlagen Irit Segal und ihre Freundin Ronit nachdenklichere Töne an. „Frieden ist das falsche Wort nach all dem Grauen, das in den letzten zwei Jahren passiert ist“, sagt Segal. Realistischer sei, „dass sie dort ihre Ruhe haben und wir hier.“ Ohne Waffen in Gaza, ohne Raketen, „ohne Provokationen“. Ronit wendet ein: „Dann dürften wir auch nicht provozieren und ihnen wie vor dem Krieg bei jeder Armeeoperation Wasser und Strom abdrehen.“

Auch den beiden Frauen gefällt die Idee von Trump als „Gouverneur von Gaza“. Jemand müsse dort „die Lage kontrollieren“, sagt Segal. Die Palästinenser müssten dazu „nur den richtigen Blickwinkel finden.“ Es komme jemand und kümmere sich, eine Art Wiederaufbau wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Danach würde es „für sie dort genug Dinge geben“, sagt Segal. Der US-Präsident hätte es wohl selbst kaum paternalistischer ausdrücken können.

Was noch passieren müsste

Die 60-jährige israelische Palästinenserin Laila im weiter südlich gelegenen jüdisch und palästinensisch bewohnten Jaffa ist anderer Meinung. Damit Frieden eine Chance habe, müssten als erstes Regierungschef Netanjahu und seine faschistischen Minister für ihre Verbrechen in Gaza die Regierung verlassen, sagt sie in einem Café.

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Sie sei seit 8 Jahren in einem jüdischen Fahrradladen angestellt. „Wir arbeiten zusammen, ziehen unsere Kinder zusammen auf.“ Dass friedliches Zusammenleben möglich sei, würde man doch sehen.

Ewiger Frieden aber sei komplizierter, als Trump sich das vorstelle, sagt Chalil. Der 19-Jährige, ebenfalls israelischer Palästinenser, arbeitet nach seinem Schulabschluss in der Bäckerei um die Ecke. Er will bald ein Studium in Umwelttechnik beginnen. „Die Gründe, warum dieser Konflikt seit mehr als 100 Jahren existiert und immer komplizierter wird, lassen sich nicht einfach wegwischen“, sagt er.

Seine Familie lebe seit Generationen in Jaffa. Seine Großmutter habe bis heute Kontakte zu Verwandten, deren Eltern und Großeltern 1948 nach der israelischen Staatsgründung vor der israelischen Armee nach Süden geflohen waren. Manche von ihnen seien bei israelischen Angriffen in Gaza getötet worden.

„Trump ist verrückt“, sagt Chalil, aber immerhin habe er diesmal etwas Gutes erreicht. Die Lösung jedoch sei temporär. „Für echten Frieden braucht es gleiche Rechte für alle Menschen in diesem Land“, sagt er. Das sei von Anfang an ein Kernproblem dieses Konfliktes gewesen, darum ginge es bis heute. Auch er spricht von Erziehung: Auf beiden Seiten würde Kindern Hass beigebracht. Der Kreislauf von Gewalt und Angst gehe weiter. „Das kann man nicht über Nacht lösen, das braucht Zeit.“

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