Reaktionen auf Doktortitel-Verlust: Wissenschaftler stützen Schavan

Wissenschaftler, der Hochschulverband, Politikberater, Oppositions- und Koalitionspolitker melden sich im Fall Schavan zu Wort. Die Meinungen gehen weit auseinander.

Alle reden über sie: Annette Schavan Bild: dpa

BERLIN afp/rtr/dpa | Die in der Plagiatsaffäre angezählte Bildungsministerin Annette Schavan bekommt Rückhalt aus der Wissenschaft. Der Präsident der Berliner Humboldt-Universität, Jan-Hendrik Olbertz, kritisierte die Entscheidung der Uni Düsseldorf, Schavan den Doktortitel abzuerkennen. „Vom Verfahren her ist die Entscheidung der Uni Düsseldorf anzuzweifeln. Die Bewertung der fraglichen Textpassagen hatte nicht die nötige Tiefe“, sagte Olbertz dem Focus.

Auch der Präsident der Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz, sagte dem Magazin am Rande einer Reise mit Schavan nach Südafrika: „Eine Ministerin muss man nach ihrer Kompetenz und Leistung beurteilen.“ In dieser Hinsicht gebe es keinen Grund zum Rücktritt.

Hingegen hatten der Deutsche Hochschulverband und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Schavans Rücktritt gefordert. Der Rat der Philosophischen Fakultät der Düsseldorfer Universität hatte der 57-Jährigen am Dienstagabend den Doktortitel entzogen. Schavan habe „systematisch und vorsätzlich gedankliche Leistungen vorgegeben“, die sie nicht selbst erbracht habe. Schavan will gegen die Aberkennung des Titels klagen.

Zugleich sieht sich auch die Universität Düsseldorf scharfer Kritik von Wissenschaftlern ausgesetzt. Es seien „unentschuldbare, katastrophale Fehler“ gemacht worden, erklärte der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, am Donnerstag in Berlin.

Meidinger kritisierte, dass im Falle Schavan die Vertraulichkeit nicht gewahrt worden sei und keine externe Gutachtern hinzugezogen worden seien. Schließlich sei auch nicht die Verantwortung der Universität für Themenstellung und Begutachtung von Schavans Doktorarbeit erörtert worden.

„Volles Vertrauen“ von Angela Merkel

Ihre politische Zukunft hat die Ministerin offengelassen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich nicht klar zu Schavan als Ministerin bekannt. Über ihren Regierungssprechern Steffen Seibert sprach Merkel am Mittwoch ihrer langjährigen Vertrauten zwar ihr „volles Vertrauen“ aus. Seibert ließ Fragen zu Schavans Zukunft als Ministerin am Donnerstag aber unbeantwortet. Stattdessen verwies er auf ein Gespräch der beiden Politikerinnen, das nach Schavans Rückkehr aus Südafrika stattfinden soll. Sie wird am Freitagabend zurück in Berlin erwartet.

Die Opposition hatte schon am Mittwoch Schavans Rücktritt gefordert. „Geschummelt ist geschummelt“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Als Vorbild für Doktoranden, die wissenschaftliche Regeln unbedingt einhalten müssen, sei sie ungeeignet. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte: „Bei allem Verständnis für die menschliche Härte dieser Entscheidung: Eine Wissenschaftsministerin, die wegen systematischer und vorsätzlicher Täuschung des Plagiats überführt wird und der daraufhin ihre Promotion aberkannt wird, ist nicht mehr tragbar.“ Linke-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn sagte: „Frau Schavan sollte ihre Weigerung zurückzutreten überdenken.“

Aus der Union erhielt sie dagegen Rückendeckung. In Parteikreisen wurde aber offengelassen, ob Schavan dem öffentlichen Druck Stand halten werde. „Annette Schavan ist eine äußerst erfolgreiche Ministerin“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU). Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte: „Ich finde, wir sollten ihr Gelegenheit geben, erstens diese Reise zum Abschluss zu bringen und dann Stellung zu nehmen zu dem, was die Universität Düsseldorf gestern veröffentlicht hat.“

Bouffier fordert „drei Tage Ruhe“

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte dem Sender hr-info, Schavan müssten „drei Tage Ruhe“ gegeben werden. Dann müsse sie selbst über ihre Zukunft entscheiden. Baden-Württembergs CDU-Chef Thomas Strobl sicherte seiner Parteifreundin volle Rückendeckung zu. „Von uns als CDU Baden-Württemberg wird Frau Schavan alle Unterstützung bekommen, die wir ihr geben können.“ Die CSU verhielt sich betont neutral. Parteichef Horst Seehofer nannte es in München „richtig“, dass Schavan gegen den Entzug ihres Doktortitels klagen will. „Alles andere ist Sache der Frau Schavan und der Kanzlerin.“

Der Bonner Parteienforscher Gerd Langguth sieht Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) jetzt in der „Glaubwürdigkeitsfalle“. „Sie hat nicht in dem Ausmaß wie der frühere Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg plagiiert. Der Fall holt sie jetzt aber ein. Sie hatte damals nicht ohne Häme erklärt, sie schäme sich nicht nur heimlich. Das fällt nun auf sie zurück“, sagte Langguth den Dortmunder Ruhr Nachrichten. „Die beschädigte Glaubwürdigkeit ist ein großes Problem, auch für die Kanzlerin.“ Diese werde nun erst einmal die Lage sondieren und abwarten, wie sich die Debatte entwickelt. „Es ist möglich, dass sie dann ihre Vertraute, Frau Schavan, bitten wird, zurückzutreten.“

Der Philosoph und frühere Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin zeigte sich befremdet, dass es darüber überhaupt eine Diskussion gebe. „Es darf keine doppelten Standards geben, weil sie viele Verbindungen hat, weil viele abhängig von den Geldflüssen des Wissenschaftsministeriums sind“, sagte Nida-Rümelin dem 3sat-Magazin „Kulturzeit“ am Mittwochabend.

Der Dresdner Politikwissenschaftler Prof. Werner Patzelt hielt Schavan zugute, „dass sogar Kapitalverbrechen nach 25, 30 Jahren verjähren. Und im Vergleich damit sind Plagiate in wissenschaftlichen Arbeiten, in die ohnehin kaum jemand hineinblickt, doch eine ganz andere Schwere von Tat“. Trotzdem gehörten sie unnachsichtig und streng verfolgt, sagte Patzelt, der an der TU Dresden forscht, dem Radiosender MDR Jump am Mittwoch.

Michael Spreng: Rücktritt unausweichlich

Der Politikberater Michael Spreng hält einen raschen Rücktritt von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) für unausweichlich. „Das Tempo der Politik ist schneller als das der Juristerei. Sie wird den politischen und medialen Druck nicht aushalten“, sagte Spreng am Mittwoch der Ulmer Südwest Presse.

„Bei Karl-Theodor zu Guttenberg hat es zwölf Tage gedauert.“ Schavan sei in einer ersten Trotzreaktion uneinsichtig, und ihr besonderes Verhältnis zur Kanzlerin sorge dafür, dass Angela Merkel „Beißhemmung“ habe. Aber: „Der nächste Schritt wird sein, dass Frau Schavan zurücktritt, Frau Merkel das bedauert und ihr Dank und Anerkennung ausspricht.“

Die Uni Düsseldorf hatte der 57-Jährigen Schavan am Dienstag nach neun Monaten Prüfung wegen „vorsätzlicher Täuschung“ in ihrer Promotionsarbeit den vor 33 Jahren erworbenen Doktortitel entzogen. Schavan hat Klage gegen diese Entscheidung angekündigt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.