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Reaktionen in Gaza auf AbkommenPalästinenser feuern Freudenschüsse ab

In Gaza feiern die Menschen die Waffenruhe nur kurz, dann kehrt die harte Realität zurück. Hamas-Anhänger sind im Straßenbild kaum mehr zu sehen.

Große Freude auch in Gaza am Donnerstag nach Bekanntwerden des Abkommens Foto: Mahmoud Issa/reuters

Dass die Waffenruhe nun so schnell kommt, ist am Donnerstag eine große Überraschung für die Menschen in Gaza. Viele hatten damit gerechnet, dass die Verhandlungen noch Tage andauern würden. Als sich am Donnerstagmittag die gute Nachricht verbreitet, beginnen die Feierlichkeiten: Überall in Gaza schießen Menschen in die Luft, wie es in der arabischen Welt Tradition zu freudigen Anlässen ist.

Und dann, nur wenig später, geht das Leben wieder weiter wie zuvor: Manche sammeln Feuerholz, um damit zu kochen – denn Gas gibt es kaum. Andere tragen leere Töpfe in den Händen, auf dem Weg zu einer der Suppenküchen, bei denen sie noch etwas Essbares abgreifen konnten. Die Realität legt sich wie eine schwere Decke über die Freude der Menschen.

Einer von ihnen ist Ramadan al-Ashqar, er ist in den Fünfzigern. Vor dem Krieg arbeitete er für eine Wasserentsalzungsfirma in der israelischen Stadt Bat Yam. Er freut sich, dass der Krieg nun endlich enden soll. Und plant trotzdem seine Ausreise: Nach Litauen soll es gehen, mit der ganzen Familie. „Ich will die Leben meiner Kinder nicht mehr aufs Spiel setzen“, sagt er, „unter einer Regierung, die durch Entscheidungen rennt wie ein Elefant im Porzellanladen“. Und meint damit nicht nur die israelische Führung unter Premier Benjamin Netanjahu.

Nach zwei Jahren soll der Krieg nun endlich enden. Die erste Phase eines entsprechenden Plans ist beschlossen: Die Waffen schweigen, dafür kommen alle Geiseln aus Gaza frei und etwa 2.000 palästinensische Gefangene aus israelischen Knästen. Das Militär zieht sich zurück, nicht aus Gaza selbst, aber von der bisherigen Frontlinie. Noch offen sind aber viele Fragen, unter anderem: Wie kann ein echter, langfristiger Frieden, wie ihn der US-Präsident verspricht, erreicht werden?

„Frieden wäre möglich“

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Er habe Freunde in Israel, sagt Ramadan, aus den vielen Jahren, in denen er dort arbeitete. „Frieden wäre möglich“, betont er – wären da nicht „politische Interventionen und Kalkül“. Israelis und Palästinenser könnten beide mit derselben Lebensqualität nebeneinander existieren, erklärt er, „gäbe es keine politische Agenda auf beiden Seiten“.

Geht es nach dem Trump’schen 20-Punkte-Plan, dessen Details Israel und die Hamas derzeit noch verhandeln, sieht die Vision für den Frieden so aus: Israel zieht sich zurück aus dem Gazastreifen, palästinensische Technokraten übernehmen unter internationaler Aufsicht die Kontrolle. Und die Hamas entwaffnet sich und soll keine politische Rolle mehr spielen.

Im Straßenbild des Gazastreifens sind ihre Anhänger dieser Tage weniger sichtbar als zuvor. Man sieht keine großen öffentlichen Feiern der Waffenruhe – als ob man wüsste, dass viele der Menschen auf den Straßen sie ablehnen. Die letzte Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research dazu stammt aus dem Mai.

Damals gaben 48 Prozent der Befragten im Gazastreifen an: Sie unterstützten die Anti-Hamas-Proteste. Und nur noch 23 Prozent der Menschen glaubten damals, dass die Hamas aus diesem Krieg irgendwie als Sieger hervorgehen würde.

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Hamas-Herrschaftssystem ist zusammengebrochen

Ihr Herrschaftssystem ist schon vor Längerem zusammengebrochen: Ihre Gehälter bekommen die Hamas-Funktionäre nur noch in Teilbeträgen. Teilweise sogar in Naturalien statt Geld: Mehl und andere Nahrungsmittel.

Auch sie fragen sich: Was passiert mit uns, wenn der Krieg endet? Werden wir Gaza wieder regieren? Danach sieht es derzeit eher nicht aus. Wird uns der Rest der Bevölkerung in Frieden leben lassen oder nach 17 Jahren der Unterdrückung Rache nehmen wollen? Wenn wir unsere Waffen abgeben, wer schützt uns nicht nur vor Israel – sondern auch vor den Menschen, die wir vorher regierten?

Diese Fragen stellen sich auch, weil die Gewalt zwischen Hamas-Mitgliedern und der Bevölkerung jüngst zunahm. Trotz des Krieges und dem militärischen Druck, unter dem sie stand, formte die Hamas während des Krieges eine eigene „Anti-Korruptions-Einheit“, genannt Sahem. Das ist arabisch für Pfeil. Ihre Aufgabe ist die Kontrolle der Zivilbevölkerung und die Unterdrückung jeden Widerstands.

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Ein Fall, an dem diese Einheit beteiligt war, erregte jüngst Aufsehen: Vor etwas über einer Woche attackierte eine „Sahem“-Truppe Mitglieder der Familie al-Mujaida in Südgaza. Es ist eine große Familie, man kennt ihren Namen. Um fünf Uhr morgens begann der Überfall. Mindestens 30 Hamas-Milizionäre waren beteiligt, sie griffen mit großen Waffen, darunter auch Panzerfäusten, das temporäre Zuhause der Familie an, während sie innen schlief.

Die Familie hängt der Fatah an, der konkurrierenden palästinensischen Fraktion, die im Westjordanland regiert. Augenzeugen beschreiben den Angriff inmitten einer Zeltstadt von Vertriebenen: Zwanzig Minuten habe der Beschuss angehalten. Manche berichten: Sie hätten gedacht, israelische Bodentruppen seien in das Gebiet einmarschiert. Und tatsächlich nutzte Israel die Gunst der Stunden. Und tötete schließlich mit einem Luftangriff auf die beteiligte Hamas-Einheit mindestens 20 ihrer Mitglieder.

Präsenz der Muslimbruderschaft

Die taz konnte mit einem ehemaligen Mitglied der Inneren Sicherheit – einer Hamas-Behörde, die lange den Menschen im Gazastreifen fürchterliche Angst einjagte – sprechen. Das luxuriöse Haus, das er auf Kredit erbaut hatte, sei zur Belastung geworden, sagt er, nun, da er nicht mehr bezahlt werde. Er hofft, ausreisen zu können. Belgien sei sein Ziel, sagt er: „Die arabische Community dort ist groß, und ‚die Brüder‘ haben eine große Präsenz“. Damit meint er die Muslimbruderschaft.

In Trumps Plan steht: „Sobald alle Geiseln zurückgekehrt sind, wird Hamas-Mitgliedern, die sich zu friedlicher Koexistenz und zur Abgabe ihrer Waffen verpflichten, Amnestie gewährt. Hamas-Mitglieder, die den Gazastreifen verlassen möchten, erhalten sicheren Zugang zu Aufnahmeländern.“ Darauf spekulieren wohl einige. Bei einem großen Teil der Bevölkerung würde das für Freude sorgen. Bevor sich die Realität der angerichteten Zerstörung wieder über sie legt.

Übersetzung aus dem Englischen und Mitarbeit: Lisa Schneider

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