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Reality-Show „Werwölfe“Die ARD kann Trash

Wer schweigt, wer lügt, wer fliegt? Das Reality-Format „Werwölfe“ zeigt, dass öffentlich-rechtliche Unterhaltung mehr kann als „Tatort“ und Talkrunde.

Teil­neh­me­r*in­nen der Reality-Show „Werwölfe“: u. a. eine Schachgroßmeisterin, ein Cyber-Security-Experte und ein Rapper Foto: ARD/BR/SWR/ITV/Homayoun Fiamo

Anschuldigungen fliegen wie Funken durch die Luft. Wer hat auffällig viel geredet, wer zu viel geschwiegen? War da nicht ein Widerspruch? Gleich deuten sie mit den Fingern quer übers Lagerfeuer auf die Person, die sie für einen mörderischen Werwolf halten, die rausfliegen muss, damit die anderen sich zumindest für einen kurzen Moment etwas sicherer fühlen können.

So funktioniert das Gesellschaftsspiel „Werwölfe“. So funktioniert auch die öffentlich-rechtliche Übersetzung. In der Game-Show „Werwölfe – Das Spiel von List und Täuschung“ hocken 13 Spie­le­r*in­nen mehrere Tage aufeinander, klügeln drei von ihnen nachts in der Rolle von Werwölfen aus, wen sie „umbringen“, und versuchen dann tagsüber, möglichst unauffällig „Dorfbewohner*innen“ hinters Licht zu führen, damit sie sich gegenseitig verdächtigen und hinrichten.

„Kann die ARD Trash?“, fragen manche Podcasts und Social-Media-Accounts anlässlich der Game-Show. Die Frage sollte aber heißen: „Ist das Trash?“ Nein, es ist einfach nur Unterhaltung, und zwar verdammt gute.

Eingekauft wurde „Werwölfe“ vom BR bei der Produktionsfirma ITV Studios Germany. Die macht sonst etwa „The Voice“ und „Love Island“, aber auch „Gefragt Gejagt“. Sie kennt sich also aus mit Trash und einem Mindestmaß an Anspruch, mit privater wie öffentlich-rechtlicher Langeweile.

Die Serie

Bei „Werwölfe“ haben sie auf die verzichtet. Das liegt nicht nur an der geschickten Inszenierung, auch am Spieleklassiker selbst, den wohl alle Menschen kennen, die in den letzten 20 Jahren auf eine Jugendfreizeit gefahren sind oder im Freundeskreis gerne mal Gesellschaftsspiele spielen, deren Komplexität über „Mensch, ärger dich nicht“ hinausgeht.

Das sind schon mal einige. „Werwölfe“ ist 2001 in Frankreich erschienen, hat diverse Auszeichnungen erhalten und ist eines der wohl bekanntesten asymmetrischen Informationsspiele. Asymmetrisch, weil ein paar wenige Spie­le­r*in­nen mehr Informationen haben als alle anderen. Gewinnt die wissende Minderheit?

Oder die unwissende Mehrheit? Das hängt immer auch davon ab, wer da eigentlich so spielt.

Bei der Game-Show hat man sich gezielt gegen (angebliche) Prominente entschieden, die sonst das Reality-Fernsehen dominieren. Statt ehemaligen Teil­neh­me­r*in­nen von „Prince Charming“ oder Part­ne­r*in­nen von D-Promis spielen etwa eine Schachgroßmeisterin, ein Cyber-Security-Experte, ein Rapper, ein Psychologe, eine Streamerin und ein Mentalist. Menschen, deren Jobs darin bestehen, anderen etwas vorzuspielen, sich zu verteidigen oder die Bedürfnisse anderer Menschen zu lesen.

Sie verheddern sich manchmal in Intellektualitäten, sie befragen die Mitspieler*innen, hinterfragen sich selbst, belauern und manipulieren auf hohem Niveau. Sie zerstören den Trash.

Das Spielkonzept ist dem Fernsehen nicht komplett neu. Seit Ende der 1990er Jahre läuft in vielen Ländern eine jeweilige Version von der Sabotage-Show „Der Maulwurf“. In Deutschland gab es nur eine Staffel, dafür zeigt RTL+ seit 2023 „Die Verräter“. Das ist im Grunde „Werwolf“, nur langweiliger.

Das liegt an besagtem Niveau und daran, dass „Die Verräter“ dem Publikum sofort offenbart, wer auf welcher Seite steht. „Werwolf“ aber verheimlicht das eine ganze Weile. Stattdessen kann man zu Hause selbst mitraten. Offenbarungen liefert die Serie erst im weiteren Verlauf. Sie fordert heraus, lässt Ungewissheiten stehen, zwingt die eigene Meinung zu revidieren. Sicherheiten schwanken.

„Werwölfe“ steht konträr zum aktuellen Verlangen nach und dem Angebot von populistisch einfachen Wahrheiten. Nutzt aber den Wunsch, mitzuraten, der sich auch im „Whodunnit“-Trend auf dem Serienmarkt (etwa „Only Murder in this Building“) zeigt.

Vielleicht kann die ARD mit dieser Umgestaltung von Reality-TV endlich auch Menschen erreichen, die kein Interesse an der „Sportschau“ haben, keinen Bock auf den „Tatort“ und gelangweilt sind von Talksendungen, in denen sich eh nur die immer gleichen Personen über die immer gleichen Themen anöden – denen aber gleichzeitig Privatfernsehen ein bisschen zu dull ist. Der Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen beinhaltet auch Unterhaltung. Die liefert „Werwölfe“.

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