Rechte Gewalt in Hamburg: Zahl der Angriffe stark gestiegen
Das gewerkschaftsnahe Beratungsnetzwerk „Empower“ hat 2024 in Hamburg deutlich mehr Fälle rechter Gewalt registriert als im Jahr davor.
I n Hamburg hat es im vergangenen Jahr fast so viele rechtsmotivierte körperliche Angriffe gegeben wie in Mecklenburg-Vorpommern. Das aktuelle Monitoring der Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt („Empower“) in Hamburg dokumentierte für das vergangene Jahr 140 solcher Taten – gut 50 Prozent mehr als 2023. Sie reichten von versuchter Körperverletzung bis zu versuchter Tötung.
In Mecklenburg-Vorpommern registrierte die Landesweite Opferberatung im vergangenen Jahr „150 rechtsmotivierte Angriffe“. In beiden Bundesländern dominierten im vergangenen Jahr bei den Gewalttaten rassistische Motive.
Die Zahl der vollendeten Körperverletzungen in Hamburg wuchs um fast die Hälfte: von 81 auf 140. „Der Anstieg verdeutlicht besonders die gesunkenen Hemmschwellen“, sagt Jens Schmidt, Projektleiter der Hamburger Beratungsstelle, die zum gewerkschaftsnahen Bildungsträger Arbeit und Leben gehört. Dabei ist diese Kategorie nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Monitoring, weil Empower den Gewaltbegriff viel weiter fasst.
Dazu gehören Beleidigung und Volksverhetzung ebenso wie Bedrohung, Sachbeschädigung und Brandanschläge, als Motive Antisemitismus, Rassismus, Ableismus, Sozialdarwinismus (etwa gegen Wohnungslose), Abwertung von LGBTQIA+-Personen und demokratische Akteure.
Jens Schmidt, Projektleiter „Empower“
Insgesamt erfasste Empower im vergangenen Jahr 1.326 neue Vorfälle. Das entspricht einer Steigerung von 33,5 Prozent. 1.144 Personen aus allen Altersgruppen nutzten Beratungs- und Bildungsangebote von Empower.
Hinter den Zahlen stecken Schicksale, die nicht nur die Betroffenen im Alltag belasten, sondern auch ihr Umfeld und ihre Lebenswelt. „Viele Betroffene ziehen sich in der Folge der Gewalterfahrungen zurück und fühlen sich hilflos“, heißt es bei Empower. „Betroffene und Community-Mitglieder berichten, dass es äußerst selten zu Solidarisierungen kommt und dass kaum Räume existieren, in denen ihre Erfahrungen und ihre von Wut bis Trauer reichenden Emotionen gehört und berücksichtigt werden.“
Diese Erfahrung dürfte mit dazu führen, dass nur 65 Prozent der von Empower registrierten Taten bei den Behörden angezeigt werden – zumal den betroffenen Gruppen auch dort bisweilen Gewalt begegnet. Der Anteil von Behörden und der Polizei an den erfassten Vorfällen stieg von drei auf vier Prozent.
Empower gibt es seit 2015. Das Monitoring beruht auf den Beratungsfällen sowie Recherchearbeit und Meldungen aus der Bevölkerung. Die Meldungen „von Betroffenen, von deren Angehörigen und Freund_innen und von Zeug_innen sowie das Engagement von Gemeinden, Communitys, Netzwerken und Kooperationspartner_innen“ hätten „im Wesentlichen dazu beigetragen“, die Vorfälle erheben zu können.
Schmidt hebt hervor, dass mittlerweile 61 Prozent der Beratungen und Betreuungen in Schulen stattfinden. Von den 1.362 Vorfällen waren 504 rassistisch motiviert und 300 Fälle antisemitisch. Die Zahl der „anti-Schwarz rassistisch motivierten Vorfälle“ stieg von 60 im Jahr 2021 auf 121 im Jahr 2024. 93 Taten richteten sich gegen die sexuelle Orientierung, 24 gegen „wohnungslose und behinderte Menschen“. Die Gewalt traf zudem 72 politische Gegner_innen und elf politische Verantwortungsträger_innen.
Empower erklärt die wachsende Gewalt mit einer Verschiebung der bundesweiten Debatten: Die Verbreitung und Bedeutung rechter, rassistischer und antisemitischer Diskurse in der Gesellschaft nähmen zu. „Die Schwelle des Sag- und Machbaren sinkt, während in der Öffentlichkeit Verständnis für rechte Äußerungen und Forderungen festzustellen ist“, sagt Schmidt. Der Trend dürfte anhalten. Das Beratungsnetzwerk muss um eine ausreichende Finanzierung bangen.
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