Rechte Terrorzelle in Meck-Pomm: Reservisten im Verdacht

Nach der Razzia wegen rechtem Terror führen die Spuren der Verdächtigen in den Reservistenverband.

Sechs Männer in Uniform stehen nebeneinander

Die Verdächtigen sollen alle aus derselben Reservisten-Ortsgruppe kommen (Symbolbild) Foto: dpa

SCHWERIN taz | Als am 28. August 2017 Spezialeinheiten unter Anleitung der Bundesanwaltschaft sechs Häuser und Geschäftsräume in Mecklenburg-Vorpommern stürmen, haben sie einen Verdacht: Sie suchen eine mutmaßlich rechtsextreme Terrorzelle. Sie haben: Zwei Beschuldigte, denen sie eine schwere staatsgefährdende Straftat vorwerfen. Sie durchsuchen: Sechs Orte von Beschuldigten und Zeugen. Und sie finden: Ordner mit Namen, Adressen und Lichtbildern.

Darin verzeichnet: Rund 5.000 Personen, darunter rund 100 Politiker. Es sind Personen aus dem linken Spektrum, Flüchtlingsverbände, Unterstützer eines linken Wohnprojekts – ganz so, wie es auch bei Franco A. der Fall war, einem mutmaßlich rechten Soldaten aus Süddeutschland, gegen den ebenfalls der Generalbundesanwalt wegen Terrorverdachts ermittelt. Er war entdeckt worden, als er am Flughafen von Wien eine dort hinterlegte Waffe mitnahm.

Als an diesem Donnerstag um 9 Uhr morgens der Innenausschuss des Schweriner Landtags im Raum 260 zusammenkommt, geht es unter Tagesordnungspunkt 2 um diesen Verdacht. Er ist schwerwiegend aber am Ende des Tages wird sich alles so anhören, als ginge es bei dieser Szene um harmlose „Prepper“: Leute, die sich auf den Zusammenbruch der Zivilisation vorbereiten und dazu Essensvorräte sammeln oder den Umgang mit Waffen üben.

Die Aussprache dazu im Innenausschuss dauert an diesem Donnerstag nicht lang, keine 20 Minuten. Dann begrüßen die meisten Mitglieder, dass der Innenminister eine Arbeitsgruppe einrichten will, die sich diese Szene mal genauer anschaut. Denn die schlichte und einfache Wahrheit lautet: Das Parlament in Mecklenburg-Vorpommern hat derzeit kaum einen Einblick in das Ausmaß und die Struktur der Gruppe, zu der die zwei Männer gehören, gegen die der Generalbundesanwalt ermittelt. Es könnte sich für das Parlament aber lohnen, diesen Einblick zu bekommen.

Alle von derselben Ortsgruppe des Reservistenverbandes

Denn was offenbar niemand im Innenausschuss weiß – und was in Mecklenburg-Vorpommern noch politische Sprengkraft entfalten dürfte: Fast alle Leute, deren Häuser die Bundesanwaltschaft durchsuchen ließ, haben eine Verbindung: Sie sind Mitglied im Reservistenverband der Bundeswehr, und zwar derselben Ortsgruppe. Das belegen Recherchen von taz und NDR.

Im Reservistenverband der Bundeswehr organisieren sich ehemalige Soldaten und Unterstützer der Bundeswehr, um an militärischen, sportlichen oder musikalischen Weiterbildungen teilzunehmen oder den Umgang mit der Waffe zu üben. Teilweise kommen Reservisten auch im Rahmen von Bundeswehrmaßnahmen zum Einsatz, etwa zur Absicherung von militärischen Liegenschaften.

Kann es sein, dass Terrorverdächtige in Deutschland unter dem Dach des Reservistenverbands ­schießen üben?

Nach Informationen von taz und NDR sind fünf der Personen, die im Rahmen der Ermittlungen in den Fokus geraten sind, in der Reservistenkameradschaft beim Fliegerhorst Laage organisiert. Das ist ein Flugplatz der Bundeswehr und seit 1993 Heimat des Taktischen Luftwaffengeschwader 73 „Steinhoff“.

Drei der Personen – zwei Zeugen und einer der Beschuldigten, bei dem die Namensliste gefunden wurde – sind Mitglied in der Reservistenarbeitsgemeinschaft Schießsport Schwerin-Hagenow. In solchen Gruppen wird etwa mit Pistolen oder Karabinern geschossen oder mit der zivilen Variante des Sturmgewehrs G3. Kann es sein, dass Terrorverdächtige in Deutschland unter dem Dach des Reservistenverbands schießen üben?

Einer jedenfalls, der Verdächtige Rostocker Rechtsanwalt und Lokalpolitiker Jan Hendrik H., der die gegen ihn erhobenen Vorwürfe vehement zurückweist, durfte das. Der ehemalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, Holger Arppe, sagte in einem Facebook-Chat 2015 über den Rechtsanwalt: „Typ würde perfekt in unsere Reihen passen. Er hasst die Linken, hat einen gut gefüllten Waffenschrank in der Garage und lebt unter dem Motto: Wenn die Linken irgendwann völlig verrückt spielen, bin ich vorbereitet.“

Die Geheimdienste wurden misstrauisch

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Besonders interessant dürfte für die Landtagsabgeordneten jedoch noch eine Person werden, die derzeit beim Generalbundesanwalt nur als Zeuge geführt wird und dessen Name taz und NDR bekannt ist. Es handelt sich um einen Reserveoffizier der Bundeswehr, der bis vor wenigen Monaten noch ein Kommando führte – bis er aufgrund eines Disziplinarverfahrens vom Dienst enthoben wurde.

Er gilt als entscheidende Brücke zwischen zwei Verfahren, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben: Die Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Rechtsterroristen und Soldaten Franco A. – und die Erstürmung der Häuser in Mecklenburg-Vorpommern.

Nach Informationen von taz und NDR soll dieser Soldat dem Militärischen Abschirmdienst aufgrund seiner möglichen Nähen zu rechter Ideologie und Strukturen aufgefallen sein, unter anderem soll er sich Literatur beschafft haben, deren rechter Inhalt den Nachrichtendienst der Bundeswehr alarmierte.

Interessantes Detail: Dieser Reserveoffizier war zunächst vorgesehen, eine Kompanie anzuführen, die rund um den G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg militärische Anlagen beschützen sollte. Als klar wurde, dass es sich um eine heikle Persönlichkeit handelt, plante die Bundeswehr um – und enthob ihn seines Kommandos.

Bereits Ende Juni informierte das Landeskommando Mecklenburg-Vorpommern den dortigen Reservistenverband, bei dem der Mann Mitglied ist, dass dieser von seinen Aufgaben als Kompaniechef entbunden wurde. Mitte August, also rund zwei Wochen vor den Durchsuchungen in Mecklenburg-Vorpommern, wurde ihm außerdem die Erlaubnis entzogen, Uniform zu tragen.

Ahnungslose Parlamentarier

Die Bundeswehr selbst will sich auch auf Anfrage nicht zu dem Fall äußern und verweist auf laufende Ermittlungen.

Der Reservistenverband Mecklenburg-Vorpommern, der auf Anfrage bestätigt, dass die Personen Mitglied im Verband sind, will daraus nun Konsequenzen ziehen – und zumindest den drei Mitgliedern, die im Schießsport aktiv sind, für die Dauer der Ermittlungen die Teilnahme am nichtmilitärischen Schießen untersagen. Fünf, heißt es auf Anfrage, seien „aus allen E-Mail-Verteilern und ­Einladungslisten gestrichen“.

Für die Parlamentarier in Mecklenburg-Vorpommern dürfte damit aber nun eine neue Etappe in der Aufklärung um die Razzia vom 28. August beginnen. Es wird um weit mehr gehen als um die Mitglieder einer vermeintlichen Messenger-Gruppe, wie es bislang öffentlich heißt.

In Mecklenburg-Vorpommern wird bislang so getan, als könne niemand recht wissen, worum es eigentlich geht – weil die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen führt. Tatsächlich geht es in Mecklenburg-Vorpommern um den Verdacht eines möglichen rechtsextremen Netzwerks, das potenziell hineinwirkt in den Reservistenverband der Bundeswehr und in die Bundeswehr selbst. Über deren Verstrickungen ist bereits vielen etwas bekannt. Nur den Parlamentariern nicht.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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