Rechter Protest in Kroatien: Bedrohliche Augustnächte
30 Jahre nach Kriegsende machen kroatische Rechte Stress: Ein Antikriegs-Festival wurde abgesagt, Journalisten und der Autor Miljenko Jergovic wurden attackiert.

D as Hauptthema dieses historischen Sommers, in dem Kroatien 30 Jahre Vertreibung des serbischen Okkupanten feierte, waren die Preise für Butter, Burger und Brot. Bis zum 5. August. Danach war das Sommerthema ein anderes.
Der 5. August ist der Nationalfeiertag, der dem „heimatlichen Dank“ an die kroatischen Verteidiger gewidmet ist, die mit der Operation Oluja im August 1995 den Unabhängigkeitskrieg in Kroatien beendeten. Einen Tag vor der diesjährigen Jubiläumsfeier hatten 150.000 Menschen das Konzert des berüchtigten Faschobarden Thompson in der dalmatinischen Stadt Sinj besucht, eine Stadt unweit des Gebiets der Krajina, aus dem Tausende Serben 1995 von der kroatischen Armee vertrieben wurden.
Unter den Besucher*innen waren wie immer bei Konzerten des Sängers, der sich nach seiner im Krieg benutzten Maschinenpistole benannten hat, und Fans der faschistoiden Miliz HOS und viele zivile Frauen und Männer, die sich mit Uniformen, Symbolen und Slogans der Ustaše, der kroatischen Faschisten aus dem Zweiten Weltkrieg schmückten – getragen als frech-poppige Opposition zur liberaldemokratischen politischen, gesellschaftlichen und medialen Mehrheit.
Der Sänger Thompson hatte auf der Bühne erklärt: „Heute Abend beweisen wir, dass hinter uns etwas viel Größeres steht – die Kraft der Idee, der wir folgen.“ Und meinte damit die diffuse Idee der Liebe zur Heimat.
Das Sommergespräch im August 2025 war in Kroatien nun wieder da, wo es vor 30 Jahren begann: Kritik am Nationalismus, an Rassismus, Sexismus und der Leugnung bzw. Nichtaufarbeitung von Kriegsverbrechen durch die kroatischen Verteidiger, ist nicht Liebe zur Heimat sondern der Verrat an ihr.
Polizei kann Journalistin nicht schützen
Alles nur Provo, das beruhigt sich wieder? Nicht unwahrscheinlich, aber erst mal waren die Folgen diese: In der – ebenfalls nahe der Krajina gelegenen – Stadt Benkovac liefen HOS-Anhänger durch die Straßen mit einschlägigen Parolen, Abzeichen und Outfits und beschimpften und bedrohten die Journalistin Melita Vrsaljko, die den Auflauf der Rechten mit ihrem Handy aufnahm. Die Rechten hatten gegen das Festival „Nosi se“ protestiert, das sich in Form von Theater, Musik und Diskussionen kritisch mit dem Unabhängigkeitskrieg und kroatischem Nationalismus beschäftigen wollte. Da sich die Polizei außer Stande sah, die Künstler*innen zu schützen, wurde das Festival abgesagt. Der Journalistin Vrsaljko, die in Benkovac lebt, empfahl die Polizei, sich für ein paar Tage woanders aufzuhalten.
Der prominenteste kroatische Schriftsteller und Publizist Miljenko Jergović erklärte seine Solidarität mit der Journalistin und klagte Regierung und staatliche Institutionen an, die Freiheit der Kunst, der Presse und der Meinung nicht zu verteidigen.
Hass und Hetzte in den sozialen Medien folgten und er wurde von einer Passantin in Zagreb angespuckt und beleidigt. Am 28. August tauchte ein unmissverständliches Graffiti an dem Gebäude auf, in dem Jergović lebt: „Jedne kolovoške noći, Miljenko neče dobro proći. Naša država. Naša Pravila.“ („Eine dieser Augustnächte wird Miljenko nicht gut überstehen. Unser Staat. Unser Regeln.“
Jergović veröffentlichte ein Foto des Graffiti samt Erklärung, dass er auch diesen Vorfall nicht bei der Polizei melden würde, da er das Vertrauen in deren unabhängige Ermittlung verloren habe und dafür der Präsident und sein Innenminister verantwortlich seien.
Der Autor, unter kroatischen Nationalisten verhasst, aber auch von Linken wegen seiner Kritik an ihnen nicht unumstritten, erlebte danach eine große Welle der Solidarität von Journalist*innen, Autor*innen, Politiker*innen bis hin zu Veteranen des Unabhängigkeitskrieges.
Unter ihnen gibt es etliche, die sich zur Zeit gegen eine Umdeutung der Geschichte seitens der Rechtsradikalen wehren. Faschistische Milizen wie die HOS habe es zwar unter den Verteidigern der kroatischen Unabhängigkeit auch gegeben, sie seien aber eine absolute Minderheit gewesen. Dass die sich heute als die tapfersten Krieger aufspielen, entspreche nicht der historischen Wahrheit.
Der sozialdemokratische Präsident Milanović, der den bedrohten Schriftsteller vergangene Woche zu einem Gespräch einlud, ließ danach wissen, dass die Augustnächte vorbei seien und er hoffe, dass in den Septembernächten der Dialog und die Toleranz der Andersdenkenden wirklich zu Regeln der kroatischen Gesellschaft würden.
Schön wär’s. Der nächste August aber wird kommen.
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