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Rechtsextremismus in ÖsterreichRechtsextreme Taten steigen auf Rekordniveau

Österreich verzeichnet einen dramatischen Anstieg rechtsextremer Delikte. Experten warnen vor einer gefährlichen Entwicklung.

FPÖ-Politiker Herbert Kickl nutzt bewusst rechtsextremes Vokabular Foto: Martin Juen/photonews/imago

Wien taz | Sieben Granaten, fünf Bajonettstichwaffen, zwei Pistolen, ein Schwert, eine Reichskriegsflagge: So lautet die Bilanz mehrerer Hausdurchsuchungen im Umfeld des Wiener Neonazis Gottfried Küssels am vergangenen Montag. Auch wenn der jüngste Einsatz wohl als Erfolg gewertet werden kann: Das Problem reicht tief.

Die Zahl der ausgewiesenen rechtsextremen Straftaten stieg im ersten Halbjahr 2025 auf einen Rekordwert von 787, ein Plus von mehr als 40 Prozent. Dies zeigt eine aktuelle parlamentarische Anfragebeantwortung. Wie viele Anzeigen in weiterer Folge zu Ermittlungen, Anklagen und Verurteilungen führen, wird nicht ausgewiesen. Eine taz-Anfrage dazu ließ das Innenministerium zunächst unbeantwortet.

„Wir dürfen uns an das Steigen rechtsextremer Tathandlungen nicht gewöhnen“, sagt Andreas Kranebitter, Wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchiv Österreichischer Widerstand (DÖW). Es brauche ein Bündel an Maßnahmen, von mehr Fördermitteln für Monitoring und Forschung über Meldestellen für Opfer und umfassenden Präventionsmaßnahmen bis zu Programmen zum Opferschutz und Ausstiegsprogrammen nach dem Modell anderer Länder. Im 240-seitigen Regierungsprogramm der aktuellen Koalition aus ÖVP, SPÖ und den liberalen Neos wird das Thema nur gestreift.

Von einer „Fortführung der Sensibilisierung von Polizei, Bundesheer und Justiz im Bereich Antisemitismus und Rechtsradikalismus“ ist da die Rede. Auch zum 2002 von ÖVP-FPÖ abgeschafften und 2021 wiedereingeführten Rechtsextremismusbericht bekennt sich die Regierung, ebenso soll endlich ein nationaler Aktionsplan gegen Rechtsextremismus kommen. Die Umsetzung dauert jedoch zu lang, kritisiert das DÖW. Schon die Vorgängerregierung aus ÖVP und Grünen hat ihn versprochen, aber nicht geliefert.

Zu den Gründen der aktuellen Entwicklung zählen die Nachwehen der Coronapandemie und die Erfolge der rechtsradikalen FPÖ, die mittlerweile salonfähiger denn je ist. Mit ermöglicht wurde diese Entwicklung durch die ÖVP, die nicht nur regelmäßig versucht, die FPÖ rechtsaußen zu überholen, sondern auch in fünf Bundesländern mit ihr regiert. Fast hätten die Konservativen zudem FPÖ-Chef Herbert Kickl zum Kanzler gemacht. Dabei dokumentieren NGOs seit Jahren Dutzende rechtsextreme „Einzelfälle“ der FPÖ. Nicht nur Kickl benutzt bewusst rechtsextremes Vokabular, spricht vom „Volkskanzler“, „Systemparteien“ und „Bevölkerungsaustausch“. Dass rechtsextremes Gedankengut nicht als solches erkannt und verurteilt wird, ist ein Teil des Problems.

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1 Kommentar

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  • Wie's ausschaut, ist man in Österreich schon etwas weiter - ich meine, was den Rechtsruck angeht. Ich wünsche denen viel Erfolg bei der Sensibilisierung von Polizei, Bundesheer und Justiz.