Rechtsextremismus-Experte über Brandanschlag: „Verstärkte rechtsextreme Aktivitäten“

Nach dem Tod einer Syrerin in Folge eines Brandanschlags in Berlin-Pankow verweist Andreas Ziehl auf Aktivitäten der lokalen rechte Szene.

Feuerwehreinsatz vor einem Wohnhaus, im Hintergrund steht ein Krankenwagen

Der Feuerwehreinsatz Ende Januar nach dem Brandanschlag auf ein Haus, in dem viele Geflüchtete leben Foto: Dominik Totaro/dpa

taz: Herr Ziehl, Sie archivieren für die Berliner Register in Pankow rechtsextreme Aktivitäten und Straftaten. Im Ortsteil Französisch-Buchholz ist eine syrische Mutter von sechs Kindern gestorben nach einem Brandanschlag auf eine Unterkunft, in der viele Geflüchtete leben. Im Raum steht auch ein rechtsextremes Tatmotiv. Inwiefern gibt es in der Gegend eine aktive, rechtsextreme Szene?

Andreas Ziehl: In Buch gab es immer wieder extrem rechte Organisationen. Die NPD ist mittlerweile zwar komplett bedeutungslos, aber dafür ist der „III. Weg“ führender Akteur in Pankow. Quantitativ gibt es keine Zunahme: Es handelt sich dabei um dieselben paar Neonazis, die vorher bei NPD und freien Kameradschaften waren.

Andreas Ziehl

40, ist Sozialwissenschaftler, beim Berliner Register seit 2013 für Pankow zuständig und arbeitet bei Moskito, einer Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus in Prenzlauer Berg.

Laut Polizei liegen bisher keine Hinweise auf ein rechtes Tatmotiv vor. Die Ermittler sind aber im Kontakt mit dem Staatsschutz, der für politische Kriminalität zuständig ist. Gab es in der Gegend um den Tatort vermehrte rechte Aktivitäten?

Die Bahnhofstraße in Französisch-Buchholz zieht sich bis nach Blankenburg, wo es in den letzten zwei Jahren durchaus verstärkte rechtsextreme Aktivitäten gab. Im November letzten Jahres etwa ging der „III. Weg“ auf eine sogenannte Kiezstreife, um rassistische Stimmung zu schüren. Das war zuvor schon eine Kampagne der NPD, die bereits 2015 durch Blankenburg patrouillierten. Damals ging es um ein leerstehendes Gebäude, in dem geflüchtete Obdachlose untergekommen waren.

Was war darüber hinaus in jüngerer Zeit auffällig?

Es gab zunehmend mehr Propaganda: Zuerst fing es 2021 mit rassistischen Aufklebern gegen Roma und Sinti und gegen Schwarze an. Im letzten Jahr gab es in Karow bis hoch nach Buchholz vermehrt Schmierereien gegen Antifaschismus. Dahinter steckt vermutlich eine kleine Gruppe von Leuten, die versuchen, Dominanz durch rechte Inhalte zu schaffen.

Würden Sie diesem Personenkreis auch militantere Aktionen wie einen Brandanschlag zutrauen?

Das kann ich nicht sagen. Aber andere Fälle zeigen: Auch Nachbarn oder Personen, die keinen Kontakt zur rechtsextremen Szene haben, fühlen sich durch rechte Sprühereien oder Propaganda ermächtigt, rechtsextreme Taten zu vollstrecken. Es gibt hier schon ein rechtes Milieu und hohe Zustimmungswerte für die AfD.

Ebenso ist ein Parteibüro der AfD in der Nähe, wo es regelmäßig Veranstaltungen gibt …

Und bei der Wahl hat die AfD in Pankow leichte Gewinne gemacht, in Karow oder Buch holt sie in einzelnen Wahllokalen auch mal die meisten Stimmen.

Was erwarten Sie von den Ermittlungen?

Wichtig ist, einen Fokus darauf zu richten, ob die Tat einen rassistischen Ursprung haben kann. Es ist gut, dass es am Montag eine Kundgebung gemeinsam mit den Betroffenen gab, um darauf aufmerksam zu machen.

Die Frau ist an den Brandfolgen vor elf Tagen verstorben. Hätten die Polizei schneller darüber informieren müssen?

Eine Mitteilung, wie es sie am Montag erst nach großem öffentlichem Druck gab, wäre natürlich zeitnah besser gewesen. Aber das muss auch nicht böswillig sein: Ich weiß nicht, wie die internen Abläufe sind und ab wann man in den Behörden Kenntnis vom Tod hatte. Immerhin haben alle größeren Medien den Fall mittlerweile aufgegriffen – das spricht für eine gewachsene Sensibilisierung. Aus Betroffenensicht gibt es natürlich trotzdem ein Ohnmachtsgefühl, dass die Öffentlichkeit erst drauf gestoßen werden muss.

Gab es in der Gegend zuvor auch größere Straftaten wie körperliche Angriffe, rassistische Pöbeleien oder sonstige rechte Gewalt?

Gerade in diesen Außenstadtbereichen mit vielen Einfamilienhäusern gibt es wenige Übergriffe. Angriffe passieren meist dort, wo viele Menschen zusammen kommen und wo es zum Beispiel offenes queeres oder jüdischen Leben gibt. Dennoch gibt es auch Vorfälle in Französisch-Buchholz: 2019 versuchten Betrunkene etwa, sich Zugang zu einer Geflüchtetenunterkunft zu verschaffen, konnten aber von der Security abgehalten werden. 2020 wurde ein Mann rassistisch von einem Busfahrer beleidigt und gestoßen. Die daraufhin gerufene Polizei fand, dass „Islamist“ keine Beleidigung sei. In den Jahren davor gab es in Blankenburg einen queerfeindlichen Angriff auf drei Männer in Blankenburg 2017, bei dem sie verletzt und beraubt wurden und 2016 wurde ein Geflüchtetenunterstützer tätlich angegriffen.

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