Rechtsruck bei der AfD: Kruse ist raus

Der Fraktionsvorsitzende der Hamburger AfD, Jörn Kruse, verlässt Fraktion und Partei. Der zunehmende Rechtsruck sei untragbar für ihn.

Jörn Kruse

Ist raus aus der AfD: Jörn Kruse Foto: dpa

HAMBURG taz | Er musste gehen, um noch glaubwürdig zu bleiben. In den vergangenen Jahren hatte Jörn Kruse die anhaltende Rechtsentwicklung seiner Partei, der AfD, immer wieder öffentlich kritisiert. Er beklagte, dass die Grenzen in der Partei immer weiter nach weit rechts drifteten und dass ständig rote Linien überschritten würden, ohne dass dies personelle Konsequenzen habe. Am Donnerstag zog der AfD-Bürgerschaftsfraktionsvorsitzende selbst zwei Grenzen: Er kündigte an, zum 1. Oktober die AfD verlassen zu wollen und zum 1. November die Bürgerschaftsfraktion.

Mit Kruses Abgang verliert die Fraktion nicht bloß ein Mandat. Der Partei geht auch ein von konservativen Medien geschätzter Politiker verloren. Der emeritierte Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Helmut-Schmidt-Universität geht zudem mit deutlichen Worten. In einer E-Mail an die Partei und die Fraktion schreibt er: „Die zunehmende Zusammenarbeit von Teilen der AfD mit Rechten und Rechtsradikalen ist für mich vollständig untolerierbar.“

Irgendwann sei auch der „längste Geduldfaden“ zu Ende. Die Fraktions- und Landesvorsitzenden in Thüringen und Brandenburg greift er namentlich an: „Wer noch glaubt, dass es übertrieben ist, bei Björn Höcke und Andreas Kalbitz von Nazi-Diktion zu reden, sollte die betreffenden Stellen ihrer Texte und Reden mit solchen der Nationalsozialisten aus den von ihnen als ,System-Zeit' bezeichneten Jahren vor 1933 vergleichen.“

Nach dem „Schweigemarsch“ am 1. September in Chemnitz, bei dem die AfD-Verbände Thüringen, Sachsen und Brandenburg zusammen mit Pegida und militanten Rechtsextremen marschiert waren, war in der Partei mal wieder eine Debatte über die Nähe zu rechtsextremen Netzwerken ausgebrochen. Diese Debatte greift auch Kruse auf: Nachdem die Bundesführung keine Konsequenzen aus der Allianz mit rechtsaußen gezogen habe, wolle er seine bürgerliche Reputation nicht weiter aufs Spiel setzen.

AfD an einem Scheidepunkt

„Neben rechtsradikalen Ausfällen Einzelner, die man (wenn man gutwillig ist) noch als psychopathisches Phänomen klassifizieren könnte, ist es vor allem die Quasi-Nichtreaktion der Bundesspitze, die bei mir das Fass zum Überlaufen gebracht hat“, schreibt er.

Zuvor hatte Kruse die Bundesvorsitzenden Alexander Gauland und Jörg Meuthen bereits darauf hingewiesen, dass die AfD erneut an einem Scheidepunkt stehe. „Sie macht jetzt – jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung – gemeinsame Sache mit Rechtsradikalen“, schrieb er ihnen per Mail. Wenn sie nicht energisch gegensteuerten, werde die Partei am „rechtsradikalen Rand“ enden. Meuthen warf er zudem vor, „keinerlei Autorität“ und keinen „strategischen Kompass“ zu haben und Gauland, dass er sich „durch Spontan-Ausfälle“ bei Reden unglaubwürdig mache.

Schon im August war im Zuge einer Affäre um den Landesvorsitzenden der Jungen Alternative Niedersachsen, Lars Steinke, die tiefe Zerrüttung zwischen Kruse und seiner Partei deutlich geworden. Steinke hatte den Hitler-Attentäter Claus Schenck Graf von Stauffenberg bei Facebook als Verräter und Feigling bezeichnet. Kruse warf Meuthen und Gauland daraufhin vor, sich erst zu spät von den Aussagen Steinkes distanziert zu haben.

Genug ist genug, hatte sich damals auch der Hamburger AfD-Vorstand gedacht – allerdings nicht in Bezug auf Steinke, sondern auf Kruse. Einstimmig beschloss er, den Fraktionschef abzumahnen. Denn, so der Landesvorsitzende und stellvertretende Fraktionschef Dirk Nockemann, Kruse stelle „ständig öffentlich die eigene Partei auf dem ungebremsten Weg nach rechtsaußen dar“.

In der AfD sank für Kruse von Kritik zu Kritik der Rückhalt. Der einstige Bürgerschaftsspitzenkandidat, der 25 Jahre lang SPD-Mitglied war, legte bereits 2015 den Landesvorsitz nieder. Nach der Affäre um Steinke verkündete er, nicht zur Bürgerschaftswahl 2020 antreten zu wollen. Es wäre ohnehin fraglich gewesen, ob die Partei den 69-Jährigen nominiert hätte.

Deutliche Worte gegen Kruse

Bei der Hamburger AfD sieht Kruse allerdings keinen Rechtsruck – trotz der offensichtlichen Nähe zu rechtsextremen Netzwerken. „Das Beste an der AfD war für mich in den letzten drei Jahren die Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft“, schreibt er in seinem Abschiedsbrief. Was ihn aber stört: Bei einer Sondersitzung, in der es um seine Äußerungen zu Chemnitz ging, hätten alle Anwesenden erklärt, dass sie seine Position im Wesentlichen teilen, doch sie seien zu feige gewesen, dies auch öffentlich zu sagen.

Der Landesvorsitzende Nockemann und der Co-Fraktionsvorsitzende Alexander Wolf bedauern Kruses Entscheidung. In einer Erklärung schreiben sie aber auch: „Wir teilen seine Aussagen über einen angeblichen ‚Rechtsruck‘ der AfD in keiner Weise.“ Der Bundesvorsitzende Meuthen findet deutlichere Worte gegen Kruse: Seine „kruden Beschimpfungen“ hätten zuletzt „einen unmittelbar parteischädigenden Charakter angenommen“.

Dass die Bürgerschaftsfraktion Kruse aufgefordert hat, derartige öffentliche Äußerungen zu unterlassen, war für ihn wohl der entscheidende Anlass zu gehen. In der Bürgerschaft will er als Parteiloser bleiben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.