Rechtsruck in Sachsen: Linker Verein raus, Neonazis rein
Der Verein Colorido sollte in Plauen den Bahnhof beleben. Das klappte, trotzdem schmeißt die Bahn ihn raus. Jetzt treffen sich Rechte dort.

Das große Empfangsgebäude vor dem Oberen Bahnhof in Plauen wurde vor mehr als 50 Jahren eingeweiht. Es gibt einen Bäcker, einen Buch- und Presse-Laden, eine Spielhalle. Mehrere Flächen sind ungenutzt. Seit 2023 ist die Bahnhofstoilette regelmäßig dicht; erst wegen Vandalismus, dann wegen Bauarbeiten. Ein im Mai installiertes Drehkreuz am Toiletteneingang soll Vandalismus verhindern. Doch jetzt ist das ständig kaputt, wie die Freie Presse detailliert berichtet. Das WC ist weiter unbenutzbar.
Klingt nicht besonders einladend? Trotzdem seien die Veranstaltungen von Colorido gut besucht gewesen, berichtet Doritta Kolb-Unglaub vom Vorstand des Vereins. Immerhin, die Freifläche hatte eine eigene Toilette, die jeder benutzen durfte.
Vor mehr als zehn Jahren beschloss Kolb-Unglaub, sich in Plauen für eine tolerante, demokratische Gesellschaft und gegen Neonazis zu engagieren. Am Mittwoch klingt sie im Gespräch mit der taz etwas frustriert und beschäftigt. Gerade gehe sie die Unterlagen und den Mailverkehr zum Projekt im Bahnhof durch, erzählt sie am Telefon. Sie sei dankbar dafür, dass die DB die Fläche seit Anfang 2024 bereitgestellt habe. Aber warum das am Freitag zu Ende gehe, wisse sie nicht.
Für die Nutzung der Fläche wollte die Bahn zunächst kein Geld von Colorido. Erst als es diesen Februar darum ging, das Projekt zu verlängern, äußerte die DB, sie wolle zukünftig eine Monatsmiete von 800 Euro, so erzählt es Kolb-Unglaub. Viel Geld für Colorido, der Verein finanziert sich über Spenden und hat in der Stadt noch andere Räumlichkeiten. Bis Ende März habe die Bahn eine Zusage gewollt, Colorido wiederum habe um Verständnis gebeten, dass es länger dauere, die Finanzierung zu organisieren.
Das Geld wäre da
Ende Juni klappte es; Colorido teilte der Bahn mit, der Verein könne die 800 Euro bezahlen. Doch die DB habe abgeblockt, berichtet Kolb-Unglaub, und plötzlich hätten einige Vorwürfe im Raum gestanden: Der Verein habe sich nicht an Vorgaben gehalten. Kolb-Unglaub widerspricht: Mit Blick in die Mails und Unterlagen erzählt sie der taz, jede Veranstaltung sei der Bahn angekündigt worden. Die Vorwürfe halte sie für vorgeschoben, sie habe eine andere Vermutung.
Seit 2017 tritt Colorido Diskriminierung und Rechtsextremismus in Plauen entgegen. In einer Stadt, in der die neonazistische Kleinstpartei Dritter Weg über Jahre mehrere Immobilien betrieb und die AfD bei der Bundestagswahl im Februar 38 Prozent bekam, ist das durchaus unbequem. „Es wäre einfacher, wenn wir angepasster wären“, sagt Kolb-Unglaub. Ein „neutraler“ Verein hätte weniger Probleme.
Die Deutsche Bahn äußert sich auf Anfrage der taz nicht zu dieser Darstellung. Das Projekt sei zeitlich begrenzt gewesen, erklärt ein Sprecher, jetzt sei der vereinbarte Zeitraum eben zu Ende.
Wenn Colorido aus dem Bahnhof verschwindet, was bedeutet es für die weitere Entwicklung in der Stadt? Das habe „auf jeden Fall Auswirkungen“, sagt der Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, Michael Nattke. Er betont, dass es gerade in Plauen wenige Kulturangebote gebe. Was das angehe, habe Colorido in den vergangenen Jahren wichtige Arbeit geleistet und demokratisches Verständnis gefördert. „Umso schlimmer, wenn dann so ein wichtiger Ort wegbricht“, findet Nattke.
Ein linker Ort bricht weg
Die Deutsche Bahn lasse mit ihrem Verhalten den Blick auf das Gemeinwesen vermissen, kritisiert Nattke. „Demokratie braucht die Zusammenarbeit von politisch Verantwortlichen, Vereinen und auch Unternehmen. Würde das ordentlich funktionieren, ginge es der Demokratie in Sachsen deutlich besser.“ Dass Colorido aus dem Bahnhof muss, sei ein Beispiel, dass es nicht funktioniert. Von der regionalen Politik bekomme der Verein kaum Rückendeckung, während überregional ausgezeichnet werde. 2024 bekam er etwa die Theodor-Heuss-Medaille, dieses Jahr war er für den taz-Panterpreis nominiert.
Doritta Kolb-Unglaub macht noch auf eine andere Entwicklung im Bahnhof aufmerksam: „Im Moment sehen wir, dass sich in der Bahnhofshalle regelmäßig die ‚Vogtland Revolte‘ trifft.“ So nennt sich eine Gruppe junger Neonazis, die als Jugendorganisation der Partei Heimat (früher NPD) auftritt. Online posten sie vor allem Gruppenfotos von Jugendlichen mit rechtsextremen Szene-Codes. Im Bahnhof und bei Demonstrationen träten die bedrohlich und gewaltbereit auf, erzählt Kolb-Unglaub. Sie bezögen sich positiv auf die NSDAP und kündigten an, queere Symbole zu verbrennen.
Wer ab nächster Woche im Bahnhof Plauen ankommt, wird dann von kaputten Toiletten und Neonazis begrüßt, statt vom rhythmischen Tango beim Verein Colorido. Von der Bahn heißt es, es gebe bereits eine neue Idee, um die Fläche zu nutzen. Welche genau? Da sei noch nichts „spruchreif“, erklärt ein Sprecher. Heißt: Der Raum bleibt erstmal leer.
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