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Rechtswidrige Kontrolle nach G20 HamburgGestört hat nur die Polizei

Die Insassen von 9 Bussen wurden nach G20 stundenlang durchsucht. Die Polizei vermutete „Störer“. Die Maßnahme war rechtswidrig, urteilt ein Gericht.

Wer ist hier der Störenfried? Polizeieinsatz während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg Foto: Jeff Widener/imago
Erik Peter

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Erik Peter aus Berlin

taz | Mehr als acht Jahre nach dem G20-Gipfel im Sommer 2017 in Hamburg muss die Polizei noch eine juristische Niederlage einstecken. Rechtskräftig ist nun ein Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom Dezember vergangenen Jahres, das die Kontrolle von Demonstrierenden auf der Rückreise nach Berlin auf dem Rasthof Stolper Heide als rechtswidrige Maßnahme einstuft.

Neun organisierte Busse sowie Linienbusse mit etwa 300 Insassen und mehrere private PKW wurden damals kurz vor der Berliner Stadtgrenze angehalten, wo etwa 600 Beamte auf sie warteten. Die ehemaligen Protest-Teilnehmer:innen wurden einzeln aus den Bussen geführt, ihre Personalien aufgenommen, sie wurden fotografiert und ihr Gepäck durchsucht. Während der Maßnahmen mussten die Betroffenen drei Stunden in der prallen Sonne warten.

Die Berliner Polizei, die Amtshilfe für das Polizeipräsidium Brandenburg leistete, hatte all dies damit begründet, nach Zeu­g:in­nen für die Ausschreitungen bei der Welcome-to-hell-Demonstration zum Auftakt der G20-Proteste zu suchen, ohne jedoch die potenziellen Zeu­g:in­nen entsprechend zu belehren. Zudem seien die Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nötig, um mögliche Folgestraftaten in Berlin zu verhindern. Argumentiert wurde, dass es bei der Ankunft zu Ausschreitungen kommen könnte.

Das Vorgehen ist geeignet, eine abschreckende Wirkung auf Protestierende zu haben

Anna Luczak

Frauke Büttner, eine der damals Betroffenen, spricht gegenüber der taz von einer „zermürbenden“ Maßnahme. Dass gegen ihren ausdrücklichen Wunsch Fotos angefertigt und ihre Sachen in ihrer Abwesenheit durchsucht wurden, habe sie „als völlige Polizeiwillkür empfunden.“ Anfang 2018 reichte sie Klage ein, doch dann passierte jahrelang nichts. Büttner spricht von „Verschleppung“.

Keine Hinweise auf Straftaten

Erst im Dezember 2024 wurde der Fall, der auch auf einer weiteren Klage eines Betroffenen beruhte, verhandelt. Das Gericht gab den Klä­ge­r:in­nen in allen Punkten recht. Eine Berufung der Polizei gegen das Urteil lehnte das Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg ab. Im Beschluss, der der taz vorliegt, wird die polizeiliche Begründung für die Kontrollen zurückgewiesen. Es heißt: „Hinweise auf geplante militante Aktionen in Berlin lägen jedoch nicht vor.“ Ebenso wenig sei ausreichend dargelegt worden, dass sich im Bus, im Falle der Kläger ein normaler Linienbus, „Teilnehmer bzw. Störer am G-20-Gipel’ befunden hätten“.

Büttners Anwältin Anna Luczak spricht von „erheblichen Grundrechtseingriffen durch die Polizei“, die das Gericht festgestellt habe. „Allein aus der Fahrt meiner Mandantin in einem Bus mit angeblich 'relevanter Klientel’ begründet sich nicht einmal ein Verdacht, die Klägerin könnte eine ‚Störerin‘ sein.“ Das Vorgehen sei geeignet, eine „abschreckende Wirkung“ auf Protestierende zu haben, wenn diese befürchten müssen, „wegen ihrer Teilnahme an Versammlungen staatlich registriert zu werden“.

Lukas Theune, Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, kritisierte die lange Wartezeit bis zum Urteil, die „das Vertrauen in den Rechtsstaat“ gefährde. Dennoch habe das Urteil Signalwirkung über den Einzelfall hinaus: Es zeige, „dass die Justiz in einem Rechtsstaat den Behörden der Exekutive auf die Finger schauen und Maßnahmen beanstanden kann“. Es lohne sich gerichtlich zu wehren. Theune fordert eine unabhängige Kontrollinstanz, um „besonders gewaltsame Einsätze“ der Polizei aufzuarbeiten.

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