Redaktionsbesuch: Erfolgreich fremdgehen

85 Jahre alt wird "Das Magazin" in diesem Jahr. Mit intelligenter Unterhaltung und künstlerischer Aktfotografie lavierte sich die älteste deutsche Monatszeitschrift durch das 20. Jahrhundert, wird DDR-Kultobjekt, überlebt die Wende und überwindet die Mauer in den Köpfen

Besonders Frauen lieben das Heft Bild: magazin

Um Seitensprünge geht es im Novemberheft des Magazins. Eher wäre vielleicht ein Thema wie "20 Jahre Mauerfall" zu erwarten gewesen in einer Zeitschrift, die in der DDR eine Auflage von mehr als einer halben Million erreichte und die eines der wenigen Blätter ist, das das Aussterben der Ostpresse nach 1990 überstanden hat. Die Autoren schreiben stattdessen über das Fremdgehen in Beziehungen und die Ausbrüche aus eingefahrenen Lebenswegen. Dem Medienhype um das Mauerfalljubiläum kann die in der DDR aufgewachsene Chefredakteurin Manuela Thieme wenig abgewinnen: "Das meiste ist verklärende Folklore und hat mit der DDR wenig zu tun."

Hochschwanger sitzt die 40-Jährige in der Redaktion in Mitte. Ihr drittes Kind kann sich jederzeit ankündigen. Mit einer Redakteurin und der Art-Direktorin unterhält sie sich über Fotos für die nächste Ausgabe und erzählt von dem Dreck bei ihr zuhause, weil für den Nachwuchs ausgebaut werden muss. Seit zehn Jahren arbeiten die drei Frauen zusammen, seit acht Jahren ist Thieme die Chefin der Redaktion. Zu der gehören vier Redakteure und die Art-Direktorin.

Die Titelblätter an den Wänden erzählen aus der 85-jährigen Geschichte der ältesten Publikumszeitschrift Deutschlands. 1928 posiert Marlene Dietrich schüchtern auf dem Cover, in den 50er-Jahren ziert jeden Monat ein schwarzer Kater als Maskottchen das Titelbild, in den letzten Jahren haben Illustrationen die Coverfotos abgelöst.

Das Lifestyle-Magazin nach amerikanischem Vorbild mit Stilberatung, Prominentenklatsch und Aktfotografien feiert nach dem erstmaligen Erscheinen 1924 schnell große Erfolge, bereits nach ein paar Jahren werden 200.000 Hefte monatlich verkauft. Man Ray veröffentlicht dort seine Fotos, Robert Musil und Maxim Gorki schreiben. Die künstlerischen Aktfotografien und das A5-Format sind Markenzeichen des Heftes - bis heute.

Dass die Monatszeitschrift von Anfang an eher auf Unterhaltung denn auf politische Stellungnahmen setzt, sich eher leicht und frech als kritisch präsentiert, hat ihr langes Überleben gesichert. Mit Unterhaltung und Politikferne schafft es das Magazin, bis 1941 zu erscheinen, obwohl der Chefredakteur schon 1933 wegen jüdischer Abstammung entlassen wurde. Später entdeckt die DDR-Regierung das Magazin wieder - als Beruhigungsmittel für die Massen nach dem Aufstand am 17. Juni 1953. Ein "populäres Magazin" soll her, das alle vom "Ladenmädel" bis zum "Fahrer" unterhalten könne. 1954 erlebt das Magazin so seine Wiedergeburt.

Die weitgehend unpolitische Handschrift behält es bei, mit seinem Fokus auf Unterhaltung, Kultur und Auslandsberichten verströmt es einen Hauch von Weltgewandtheit und sticht nicht zuletzt durch seine Akt-Fotostrecken in der eintönigen DDR-Presselandschaft hervor. Thema im Magazin sind immer wieder die Lebensumstände von Frauen, ihr Arbeitsalltag und die Doppelbelastung durch Beruf und Familie. In den 70er-Jahren wird das neue Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch genauso diskutiert wie veraltete gesellschaftliche Rollenbilder.

Nach 1990 versuchen sich unterschiedliche Verlage und Herausgeber an dem Heft. Gruner und Jahr scheitert bereits nach zwei Jahren, dann wechseln die Besitzer alle ein bis zwei Jahre. Sie bauen die Aktstrecke aus - heraus kommt ein schlechter Playboy-Verschnitt. Zugleich wird wie im Burda-Blatt Super Illu versucht, den Ostdeutschen per se zum besseren Deutschen zu erklären. Doch schafft es weder platte Erotik noch Anbiederung, neue Leser zu gewinnen; alte wenden sie entrüstet ab.

Nach der zweiten Insolvenz 2000 will die Redakteurin Manuela Thieme das Blatt übernehmen. Ihr Bruder springt finanziell ein und bekommt bei der Versteigerung den Zuschlag. Ein Jahr später gründet Thieme den Seitenstraßenverlag, der nun von ihrem Mann Chris Deutschländer geleitet wird und das 120 Seiten dicke Magazin herausbringt.

Wessis integriert

"Dass wir auf Dauer ein Solo hinlegen, hätten wir nicht gedacht", sagt Deutschländer. Er und seine Partnerin waren sich sicher, dass sie später doch wieder an einen großen Verlag verkaufen müssten. Von der DDR-Rekordauflage ist nur ein Zehntel übrig geblieben, doch die 60.000er-Auflage ist seit Jahren konstant. Sie finanzieren sich über Abos, das Anzeigengeschäft ist marginal. Die Gehälter seien eher bescheiden, dafür gebe es inhaltliche Unabhängigkeit und flache Hierarchien in der Redaktion, die inzwischen aus Ost- und Westlern besteht.

Damit, dass sie von vielen immer noch als "Magazin des Ostens" bezeichnet werden, hat die Redaktion kein Problem. Die Reportagen spielen nicht selten in den neuen Bundesländern. manchmal werden einstige DDR-Prominente interviewt. "Wir kaufen aber keine Themen oder Texte, nur weil sie aus dem Osten kommen. Wichtiger ist ein witziger, ungewöhnlicher Dreh der Geschichten", erklärt Cornelia Schwenkenbecher. Und so fehlen ostalgische Produkte und Früher-war-nicht-alles-schlecht-Geschichten gänzlich im Blatt. Dafür gibt es einen Mix aus gesellschaftspolitischen Themen, Alltagsphilosphie und Kultur jenseits von Ost-West-Diskussionen. Junge Autorinnen wie Jana Hensel und Julia Franck haben hier veröffentlicht, lange bevor ihre Bücher zu Bestsellern wurden. Viele seiner alten Leser hat das Magazin verloren, dafür neue - vornehmlich weibliche, akademisch gebildete und im Westen lebende - gewonnen.

Und ganz auf das Thema Mauerfall hat das Magazin doch nicht verzichtet. Im Sommer gab es ein Heft mit dem Titel "20 Jahre Dauerknall". Interviewt wurde ein Therapeut über die Dachschäden von Ost- und Westdeutschen; Sibylle Berg schrieb über den Heimatbegriff, und die nervigsten Ost-West-Klischees wurden aufgelistet. Das abgegriffenste Ost-Klischee-Symbol wurde dem Covergirl selbstironisch als Mund verpasst: die Banane.

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