Referendum in Griechenland: Das große Zittern der Linken

Für Kapitalismuskritiker war Syriza ein Hoffnungsträger. Nun geht es um die europäische Zukunft einer linken Idee.

Alexis Tsipras selbst ist Teil des Wahlerfolges seiner Partei Syriza. Foto: dpa

BERLIN taz | Es war die Stunde von Alexis Tsipras – und ein bisschen war es auch die Stunde von Mario Neumann und seinen GenossInnen. Als sich in diesem Januar abzeichnete, dass Alexis Tsipras als großer Gewinner aus den griechischen Parlamentswahlen hervorgehen würde, stieg eine Gruppe deutscher AktivistInnen ins Flugzeug und flog von Berlin nach Athen.

Neumann war einer von ihnen, der 28-Jährige ist Mitglied im Koordinierungskreis des Blockupy-Bündnisses – einem Zusammenschluss linker Gruppen, der seit drei Jahren Proteste gegen die europäische Krisenpolitik organisiert. Tagelang berichteten die AktivistInnen auf einem Blog unter dem Titel „Blockupy Goes Athens“ aus der griechischen Hauptstadt, versorgten die deutsche Linke mit Nachrichten rund um Syrizas großen Triumph.

Syriza – für viele antikapitalistische AktivistInnen ist diese Partei Hoffnungsschimmer und Projektionsfläche zugleich, seit sich das aus linken Gruppen bestehende Wahlbündnis vor Jahren als Bewegungspartei in Griechenland formierte. Spätestens seit dem triumphalen Sieg im Januar schauen die deutschen KapitalismusgegnerInnen bei ihren Aktionen stets mit einem Auge auf Griechenland.

Gleichzeitig übt sich die Szene in praktischer Solidarität: Eine Olivenölseife, hergestellt in einer besetzten Fabrik in Thessaloniki, wurde rasch zum Vorzeigeprodukt in den Badezimmern linker Wohngemeinschaften. Die griechischen ProduzentInnen versuchen immer noch, die innerhalb von zwei Februartagen eingegangenen Bestellungen aus Deutschland abzuarbeiten.

Alles steht auf dem Spiel

Und heute? Mit einer Volksbefragung stellt Syriza am Sonntag nicht nur die europäische Sparpolitik zur Abstimmung, sondern auch die Träume vieler antikapitalistischer Gruppen in Deutschland, denen es in den vergangenen Jahren nur mühsam gelang, auch in Deutschland eine wahrnehmbare Kraft für die Vision eines anderen Europa zu formieren.

„Es steht alles auf dem Spiel, nicht nur für die Menschen in Griechenland“, sagt Neumann. Die Aufbruchstimmung, die nach den Wahlen in Griechenland bis zu den Frankfurter Blockupy-Protesten im März reichte, ist umgeschlagen in eine fast ängstliche Anspannung.

Linke Gruppen rufen für die kommenden Tage zu Solidaritätsdemonstrationen auf. Das Blockupy-Bündnis mobilisiert für Kundgebungen vor CDU- und SPD-Parteibüros und einer Solidemo in Berlin, am Samstag soll außerdem der Tag der offenen Tür im Konrad-Adenauer-Haus samt Besuch von Kanzlerin Angela Merkel gestört werden.

Ein selbstbestimmter Bruch

Selbst den in den letzten Jahren regelmäßig gescheiterten Versuch, eine offene Versammlung nach Vorbild der griechischen und spanischen Platzbesetzungen zu organisieren, wollen AktivistInnen am Mittwochabend auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg erneut wagen. Und einige reisen in diesen Tagen eigens nach Athen. Auch Mario Neumann will am Mittwoch in den Flieger steigen.

Er sei tief beeindruckt von einigen Menschen, die fest entschlossen seien, am Sonntag mit Nein zu stimmen – „auch wenn das bedeutet, dass sie die nächsten zwei Jahre Bohnen essen müssen.“ Er wolle, sagt er, die Verarmung der griechischen Bevölkerung nicht verharmlosen. „Aber ein Nein am Sonntag ist die Möglichkeit zu einem gewollten, selbstbestimmten Bruch, die einzig mögliche Auflehnung gegen die organisierte Alternativlosigkeit.“

Von einem großartigen, einem historischen Moment spricht Neumann – und weiß gleichzeitig, dass es für Syriza und damit auch für die antikapitalistische Linke in Deutschland, die so lange hoffnungsvoll nach Griechenland geblickt hat, nicht gut aussieht: Laut Umfragen will die Mehrheit der Griechen beim Referendum am Sonntag mit Ja stimmen. Ist das das Ende eines Traums, der gerade erst begonnen hatte?

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