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Reform des BürgergeldsDie Leute haben Angst

Schwarz-Rot plant Einschnitte beim Bürgergeld. Das gibt billigen Applaus. Betroffenen erschweren sie das Leben, und viel gespart wird nicht.

Wer gar nichts oder so wenig verdient, dass er für das Bürgergeld infrage kommt, hat in der Regel auch wenig Vermögen Foto: Federico Gambarini/dpa

Die Betroffenen lässt die Debatte über das Bürgergeld nicht kalt. „Die Leute haben schlichtweg Angst. Sie befürchten, dass ihnen die Lebensgrundlage entzogen wird“, berichtet Harald Thomé von der Stimmung in den Beratungsgesprächen. Der 63-Jährige ist Vorsitzender des Wuppertaler Erwerbslosenvereins Tacheles, schult auch Personal anderer Beratungsstellen und meldet sich regelmäßig in sozialpolitischen Diskussionen zu Wort.

Die Reformpläne zum Bürgergeld, die Schwarz-Rot derzeit diskutiert, erinnern ihn an die Zeit vor 2019, als die Sanktionsregeln für Hartz-IV-Empfänger*innen noch besonders streng waren. In einer Umfrage unter Betroffenen ging es damals um die Folgen von Sanktionen. Das Ergebnis füllte Hunderte PDF-Seiten.

„Es führt zu andauerndem psychischen Stress zu wissen, dass bei jedem Fehler eine Sanktion droht“, schrieb eine Person. Andere berichteten von Herzrasen, Angst davor, zum Briefkasten zu gehen, sogar Suizidgedanken. „Mal schauen, wie weit die Regierung jetzt wirklich geht“, sagt Thomé. „Aber nimmt man Merz beim Wort, dann könnte es schlimmer werden als damals.“

„Schmerzhafte Entscheidungen“

Die nächsten Wochen werden zeigen, ob das stimmt. Der Bundeskanzler hat einen „Herbst der Sozialreformen“ und „schmerzhafte Entscheidungen“ angekündigt. Die Wirklichkeit wird zwar hinter der Ankündigung zurückbleiben. Die meisten Probleme der Sozialsysteme – bei Rente, Pflege oder Krankenversicherung – lässt Schwarz-Rot in Kommissionen beraten, die frühestens zum Jahresende Ergebnisse liefern.

Aber beim Bürgergeld kann es für Betroffenen sehr schnell schmerzhaft werden. Einen Gesetzesentwurf hat Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) schon vorgelegt. Er streicht neu ankommenden Ukrai­ne­r*in­nen die bisherigen Leistungen. Weitere Einschnitte will Bas in zwei Schritten umsetzen, der erste davon ist tatsächlich für den Herbst angekündigt.

Das Tempo von Schwarz-Rot ist beim Bürgergeld nicht etwa so hoch, weil hier besonders viel Sparpotenzial läge. 2024 wurden in Deutschland insgesamt 1,345 Billionen Euro für Sozialleistungen ausgegeben, davon nur 58 Milliarden fürs Bürgergeld. Sogar Friedrich Merz ist von seiner Behauptung aus dem Wahlkampf abgerückt, die Kosten um einen zweistelligen Milliardenbetrag drücken zu können. Er spricht nur noch von 5 Milliarden Euro, und selbst das ist ambitioniert.

Aber beim Bürgergeld sind die Einschnitte verhältnismäßig leicht durchsetzbar. Direkt betroffen sind weniger Menschen als bei Rente oder Krankenversicherung; sie haben eine verhältnismäßig kleine Lobby, ihnen wird wenig Sympathie entgegengebracht. Aktuell zeigt eine Forsa-Umfrage für RTL: Einschränkungen beim Bürgergeld stimmen viel mehr Menschen zu als bei Wohn- oder Elterngeld.

Was Schwarz-Rot plant, liegt im Trend. Die Koalition plant nämlich keine Zäsur, sondern setzt fort, was in der Endphase der Ampel-Regierung begann. Schon damals schwang das Pendel zurück zu einer Haltung, die bereits vor zwanzig Jahren bei der Einführung von Hartz IV überwog: Man ist den Betroffenen gegenüber misstrauisch, sie wollten ohnehin nicht arbeiten, sondern müssten mit ausreichend Druck dazu bewegt werden.

Nach 2005 hatte sich dieses Paradigma nach und nach abgeschwächt – teils auf Initiative der Politik, teils durch Urteile des Verfassungsgerichts. Mit der Bürgergeld-Reform 2022 war der andere Pol erreicht: Es überwog eine Haltung des Vertrauens gegenüber den Betroffenen, die arbeiten würden, wenn sie nur könnten, und die entsprechend viel Nachsicht und Förderung benötigen. In der Krise dauerte es aber nur ein Jahr, bis die Ampel die ersten Teile ihrer eigenen Reform wieder zurückschraubte.

Jetzt macht also die nächste Regierung weiter. Im Detail ist noch unklar, welche Verschärfungen Schwarz-Rot im Herbst umsetzt. Eckpunkte finden sich aber im Koalitionsvertrag. Ende August haben die Fraktionsvorstände von Union und SPD sie auf einer Klausur bestätigt. Ministerin Bas hat ebenfalls schon manches durchblicken lassen, was geplant ist.

Zentral ist das, was dem Sozialberater Harald Thomé und seinen Kli­en­t*in­nen die größten Sorgen bereitet: verschärfte Sanktionen bei Regelverstößen. Bis 2019 konnte das damalige Arbeitslosengeld II in vollem Umfang gestrichen werden, dann zog das Bundesverfassungsgericht eine neue Höchstgrenze ein: Normalerweise liegt sie bei 30 Prozent des Regelsatzes.

Die Ampel blieb mit der Bürgergeld-Reform sogar hinter dieser Grenze zurück, schöpfte die 30 Prozent nur für mehrfache Wiederholungsfälle aus. Im Jahr darauf führte sie aber doch wieder Totalsanktionen ein, wenn auch mit Rücksicht auf das Gerichtsurteil nur für Fälle „nachhaltiger Verweigerung der Aufnahme zumutbarer Arbeit“, begrenzt auf zwei Monate und ohne Auswirkung auf Wohnkosten oder die Regelsätze von Familienmitgliedern.

Dabei soll es nicht bleiben. Der Bild-Zeitung wurde aus der Regierung durchgestochen, dass man wieder beim ersten Regelverstoß die vollen 30 Prozent ausschöpfen wolle. Für sogenannte ­Totalverweigerer ist im Koalitionsvertrag sogar ein „vollständiger Leistungsentzug“ angekündigt. Für sie will Schwarz-Rot die bisherige Regelung also toppen, erklärtermaßen aber trotzdem die Vorgaben des Verfassungsgerichts einhalten. Ob das geht, ist zweifelhaft.

Ebenso wie die Frage, was es bringt. Mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) leistet sich der Bund eine eigene Forschungseinrichtung, die auch die Bürgergeld-Reform evaluieren sollte. Bislang haben die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen aber nur erste Befunde vorgelegt, für eine umfassende Bilanz ist die Reform noch nicht lange genug her. Was die Wirkung von Sanktionen angeht, kann nur auf frühere, grundsätzliche Erkenntnisse zurückgegriffen werden.

Ende der Schonfrist

Demnach ergeben Sanktionen durchaus einen Sinn. Sie erhöhen den Anteil der Leistungsempfänger*innen, die sich einen Job suchen. Zu harte Sanktionen sind aber kontraproduktiv: Wer Hunger hat oder den Strom nicht bezahlen kann, findet nicht so leicht eine Stelle. Wer es doch schafft, landet häufiger in miesen Arbeitsverhältnissen – und dann schneller wieder im Jobcenter.

In einem Sommerinterview kündigte Bas neben den neuen Sanktionen für die nächsten Wochen auch „Vorschläge zu Karenzzeiten“ an. Schon im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass zum einen die Schonfrist für Vermögen weg soll. Sie wurde während der Coronapandemie noch unter Angela Merkel eingeführt und später von der Ampel entfristet. Seitdem muss ein mögliches Vermögen nicht erst aufgebraucht werden, bevor es Bürgergeld gibt. Im ersten Jahr darf ein Single zumindest 40.000 Euro behalten, danach dauerhaft 15.000 Euro.

wochentaz

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Die ursprüngliche Begründung: Wer nur einige Monate in Not ist, soll nicht sein Erspartes verlieren – und sich auf die Arbeitssuche konzentrieren, statt in Sorgen über sein Vermögen zu vergehen. Auch hier ist noch nicht klar, ob das Kalkül aufging. Laut einer aktuellen Veröffentlichung des IAB liegen „bisher keine Befunde zu den Auswirkungen“ vor. Generell gelte aber: Wer gar nichts oder so wenig verdient, dass er für das Bürgergeld infrage kommt, hat in der Regel auch wenig Vermögen. Werde die Karenzzeit wieder abgeschafft, gäbe es also wenig Leidtragende – es ließe sich aber auch wenig sparen.

Anders sieht das bei der zweiten Karenzzeit aus, die fallen soll: die für die Unterkunft. Wer in einer Wohnung lebt, die fürs Bürgergeld zu teuer ist, dem droht bislang im ersten Jahr trotzdem kein Zwangs-Auszug. Der Gedanke dahinter war der gleiche wie beim Vermögen. Die Evaluation ist auch hier nicht fertig. Aus Befragungen kennt das IAB aber zumindest die Relevanz des Themas: Bei der Mehrheit der Jobcenter-Beschäftigten geht es in Beratungsgesprächen regelmäßig um die Unterkunftskosten, und die Mehrheit der Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r*in­nen macht sich Sorgen, die eigene Wohnung zu verlieren.

Und diese Sorgen könnten in Zukunft noch wachsen: Falls Schwarz-Rot es nicht beim Ende der Karenzzeit für Neuankömmlinge im Bürgergeld belässt, sondern für alle die Grenzen senkt, bis zu der Wohnkosten übernommen werden. Im Koalitionsvertrag steht dazu zwar nichts, Merz hat in einem Sommerinterview im Juli aber einen entsprechenden Vorschlag gemacht.

Bei diesem Vorstoß horcht auch der Sozialberater Thomé in Wuppertal auf. Neben der Frage der Sanktionen sieht er an der Stelle die größte Gefahr. „Wenn das kommt, erwarte ich heftige Folgen für die Betroffenen“, sagt er. Welche denn? „Massive Obdachlosigkeit.“

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