Reformen beim Bürgergeld: Was die Veggiewurst mit der neuen Grundsicherung zu tun hat
Symbolpolitik steht derzeit hoch im Kurs. In der Sozialpolitik in Berlin, wie auch bei der Schweinelobby in Brüssel.

D iese Woche konnte man beobachten, dass niemand die Disziplin „identitätspolitischer Kulturkampf“ so beherrscht wie Konservative. Der Glaube, dass man einer Sache nur einen neuen Namen geben muss, damit sie sich in ihrem Kern ändert, ist keineswegs eine Spezialdisziplin der Linken. Besonders wirkmächtig ist dieses magische Denken, wenn es von rechts kommt.
Da war zunächst die Entscheidung, dass Veggiewürste nicht mehr Würste heißen dürfen. Nichts ahnende Konsumenten sollen so vor einem Tofuschock bewahrt werden. Es war ein Erfolg für die Schweinelobby, die verpflichtende Kennzeichnungen, die Konsumenten tatsächlich helfen würden, sonst verhindert. Wenn es nach dem EU-Parlament geht, dürfen Würste weiterhin ungesund und krebserregend sein und für ihre Herstellung Tiere gequält werden – Hauptsache, sie sind nicht aus Tofu. Die Wurstfinger von Markus Söder klatschen schon.
Eine Sache umbenannt, um einen symbolischen Erfolg zu erringen – das hat die Bundesregierung auch beim Bürgergeld getan. „Das Bürgergeld ist Geschichte“, sagte Wurst-Söder am Donnerstag. Die Bundesregierung will Härte zeigen gegen vermeintlich faule Arbeitslose, die, so die Unterstellung, nur mehr Sanktionen bräuchten, dann spurten sie schon.
Aber zum Glück gilt bei der Grundsicherung wie bei der Veggiewurst: Am Inhalt wird sich durch den neuen Namen womöglich wenig ändern – zumindest für die meisten Bürgergeld-, pardon: Grundsicherungsempfänger. Die Bundesregierung hat zwar härtere Sanktionen angekündigt. Aber noch ist nicht klar, wie dies in der Praxis aussehen wird. Denn auch wenn es für manche in der Regierung in ihrer Verachtung für Arbeitslose kein Halten gibt, gibt es doch ein Verfassungsgericht, das Sanktionen Grenzen gesetzt hat.
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Es ist Symbolpolitik zulasten von Schwächeren
Schon heute werden Menschen sanktioniert, wenn sie Termine beim Amt verpassen. In Zukunft sollen die Strafen höher ausfallen, mehr Menschen wären aber nicht automatisch betroffen. Denn auch für das Verhängen von Sanktionen gibt es Regeln: Betroffene müssen angehört werden und können Gründe für ihr Fehlen angeben.
Keine Frage, für sie machen 10 oder 30 Prozent Sanktion einen großen Unterschied, und es kann sein, dass die Zahl der Sanktionierten größer wird. Aber am Stichtag Ende Dezember 2024 waren gerade einmal 0,8 Prozent der Bürgergeldempfänger von einer oder mehreren Leistungsminderungen betroffen, übers Jahr verteilt sind es etwa 6 Prozent. Es ist Symbolpolitik, die auf Kosten einer kleinen Gruppe geht: Menschen, die teils ihre Post nicht öffnen, zu krank oder kaputt sind, um Termine wahrzunehmen. Klingt nicht nach Hängematte, sondern traurig. Fast so traurig, wie auf dem Rücken dieser Menschen Politik zu machen.
Auch bei den geplanten Totalsanktionen muss man abwarten, wie das Gesetz am Ende aussieht. Schon heute kann das Jobcenter Menschen den Regelsatz streichen, wenn sie mehrfach Arbeit ablehnen. Damit die Regelung nicht gegen die Verfassung verstößt, ist sie so kompliziert, dass sie kaum angewandt wird. Wir haben in der taz einen Experten für Totalverweigerer gefragt, ob er schon mal einen in freier Wildbahn gesehen hat: Hat er nicht. Weniger als 50 Fälle hat er gezählt. Selbst wenn die Regierung einen legalen Weg finden sollte, den Regelsatz häufiger zu streichen: Es wird die Ausnahme bleiben.
Bleibt noch ein wichtiger Punkt, in dem sich, tatsächlich, die SPD durchgesetzt hat. Der Vermittlungsvorrang aus Zeiten von Hartz IV kommt nicht einfach zurück, auch wenn der Kanzler das behauptet. Wer sich mit einem Abschluss qualifizieren will, statt einen Job als Wurstverkäufer anzunehmen, kann das wohl weiterhin. Darauf einen Bratling!
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