Regierung in Frankreich: Lecornu-Regierung geht wohl nicht in Rente
Der französische Premierminister setzt die Rentenreform bis 2027 aus. Damit kann er seine Abwahl am Donnerstag wohl abwenden.

Mit diesem teilweisen Zugeständnis an die Forderung der politischen Linken, die Reform ganz aufzugeben, hofft Lecornu die 60 Abgeordneten des Parti Socialiste (PS) aus der Neuen Volksfront auf seine Seite zu ziehen. Sie sollen am Donnerstag nicht für den linken Misstrauensantrag gegen die Regierung stimmen. Lecornu weiß, dass seine Regierung andernfalls stürzen würde. Die Aussicht, nach nur vier Tagen im Amt abgesetzt zu werden, rechtfertigt seinen Rückzug in dieser heiklen Frage.
Nicht alle in seinem Lager – weder die Macronisten noch die Konservativen – begrüßen diese „Kapitulation“. Doch am Vortag hatte auch der Ökonom und Nobelpreisträger Philippe Aghion Lecornu geraten, die Reform vorerst zu stoppen. Die geschätzten Kosten von 500 Millionen Euro für 2026 und 1,3 Milliarden Euro für 2027 seien geringer als die Folgen anhaltender Unruhen, die Frankreichs Bonität auf den Finanzmärkten gefährden könnten.
Falls Lecornu sein Versprechen hält, soll also weder das Rentenalter weiter in Richtung 64 Jahre angehoben noch die Zahl der für eine Vollrente erforderlichen Beitragsquartale (heute 170) verlängert werden. Die von Macron 2022 gestarteten Reformpläne lösten heftige Proteste aus, die Rente hat in Frankreich einen starken symbolischen Charakter. Die Gewerkschaften organisierten wiederholt Aktionstage. Im März 2023 demonstrierten laut offiziellen Zahlen über eine Million Menschen gegen die Reform. Dabei kam es mehrfach zu Gewalt.
Ex-Präsident Holland lobt Lecornu
Doch Lecornus Versprechen richtete sich vor allem direkt an die 60 PS-Abgeordneten. Ihr Fraktionschef Boris Vallaud erklärte daraufhin, seine Fraktion werde sich bei der Abstimmung über den Misstrauensantrag nicht der restlichen Linken anschließen. La France insoumise (LFI), die Grünen (Les Ecologistes) und die Kommunisten (PCF) wollen die Regierung dennoch stürzen – selbst wenn Präsident Emmanuel Macron damit vorgezogene Wahlen drohen, die der extremen Rechten den Sieg bringen könnten.
Der frühere sozialistische Präsident François Hollande, heute Abgeordneter, lobte Lecornus Entgegenkommen und das „Verantwortungsbewusstsein“ des Parti Socialiste. Für die Rechtspopulisten des Rassemblement National (RN) und die linke LFI sei dies eine Niederlage, da beide „dasselbe Ziel, das Chaos“, verfolgten. Für die Sozialisten hingegen bedeute Lecornus Angebot einen „Sieg“.
Noch am Tag vor Lecornus Rede hatte PS-Chef Olivier Faure einen „Deal“ mit Lecornu dementiert. Inzwischen wurde bekannt, dass die beiden bis zu dreimal täglich telefonierten, um die nötigen Zugeständnisse auszuhandeln. Faure räumte allerdings ein, es sei eine riskante „Wette“, auf Lecornus Zusicherung zu vertrauen.
Nach der politischen Krise und den chaotischen Debatten könnte Frankreich nun wieder Stabilität gewinnen. Lecornu will Zeit schaffen, um den am Dienstag vorgestellten Entwurf für den Staatshaushalt 2026 im Parlament zu diskutieren und vielleicht zu verabschieden. Der Streit über die Sparmaßnahmen angesichts der angeschlagenen Staatsfinanzen blockiert die Politik seit der vorgezogenen Parlamentswahl im Sommer 2024, bei der die Mitte-rechts-Regierung ihre Mehrheit in der Nationalversammlung verlor. Seitdem regiert eine Minderheitsregierung, und zwei Premierminister sind bereits gestürzt worden. Lecornu selbst trat erst Anfang Oktober zurück, bevor ihn Präsident Macron erneut zum Premier ernannte.
Dieser Entwurf ähnelt den Sparplänen seines Vorgängers François Bayrou, der Einsparungen von 43 Milliarden Euro vorgesehen hatte. Lecornu plant nun 25 Milliarden Euro weniger Ausgaben und 14 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen durch Steuern und Abgaben, um die Staatsfinanzen zu sanieren. Die Reichsten im Land sollen dabei nur geringfügig stärker belastet werden – weit weniger als mit der von links geforderten Reichtumssteuer des Ökonomen Gabriel Zucman, die jährlich 15 bis 20 Milliarden Euro einbringen würde. (mit afp)
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