Regierungsbildung in Israel gescheitert: Wie über den Fluss kommen?

Benny Gantz konnte keine Regierung bilden. Der Verhinderer ist Netanjahu. Es wird Zeit, dass sich der Likud von seinem Guru löst.

Mann auf einem Plakat inmitten von grünem Dickicht

Musste das Mandat zur Regierungsbildung wieder zurückgeben: Benny Gantz Foto: Ammar Awad/reuters

Die meisten von Ihnen werden Flussüberquerungsrätsel kennen, diese Art von Denksportaufgaben, bei denen es darum geht, eine Gruppe definierter Mitglieder mit möglichst wenig Überfahrten über einen Fluss zu bringen, die aber in bestimmten Konstellationen nicht allein bleiben dürfen.

Israel hat gerade ein besonders schwieriges zu lösen. An den Ufern stehen verteilt: Avigdor Lieberman, der nicht mit den Ultraorthodoxen und der arabischen Vereinten Liste in einem Boot sitzen will. Benny Gantz, der nur mit Netanjahu in einem Boot sitzen will, wenn Gantz in einem Rotationsverfahren als Erster dran wäre mit dem Regieren. Und natürlich Netanjahu, der am liebsten gar nicht mit Gantz in einem Boot sitzen will, aber sagt, dass er das tun würde, wenn er Ministerpräsident wird, und der außerdem nur fährt, wenn die Ultraorthodoxen und die Rechtsnationalen neben ihm sitzen.

In der Nacht zu Donnerstag hat Gantz sein Mandat zurückgeben müssen. Verwundert hat das niemanden, denn selbst die gewieftesten AnalystInnen haben dieses Rätsel bisher nicht lösen können. Jetzt haben alle Knessetmitglieder die Möglichkeit, innerhalb von drei Wochen 61 Parlamentsabgeordnete hinter sich zu versammeln. Ansonsten gibt es Neuwahlen.

Vielleicht also bedarf es ein wenig Schummelei: Man muss eine Figur aus dem Rätsel entfernen, am besten die, die die Lösung am meisten erschwert. Stünde Benjamin Netanjahu nicht mit am Ufer, könnte man sich bildhaft vorstellen, wie die Anderen untereinander ins Gespräch kommen, um eine Lösung für die vertrackte Situation zu finden.

Keiner wagt es, Benjamin Netanjahu offen herauszufordern

Netanjahu hat mit seiner Politik und Sprache der Spaltung Kompromisse in den vergangenen zehn Jahren unmöglich gemacht. Anstatt Ministerpräsident für alle Israelis zu sein, hetzt er gegen die arabischen Israelis. Erst vor wenigen Tagen hat er auf einer Kundgebung vor einer Minderheitsregierung gewarnt, die von der arabischen Vereinten Liste von außen unterstützt würde. Ebendiese Liste wolle „das Land Israel zerstören“.

Er hat die Siedlungspolitik vorangetrieben und dabei geholfen, das Westjordanland so zu zerstückeln, dass eine Zweistaatenlösung kaum noch ein realistisches Ziel ist. Und über all die Jahre hinweg hat er – noch muss man sagen, mutmaßlich – schamlos Zeitungsverleger und andere im Tausch für eine positive Berichterstattung bestochen.

Doch die Likudniks und auch die meisten anderen im rechten Block halten trotz aller Korruptionsvorwürfe weiter zu ihm, keiner wagt es, ihn offen herauszufordern. Ein politischer Analyst sagte einmal, die Gefolgschaft Netanjahus innerhalb des Likuds habe etwas Sektenhaftes. Es wird Zeit, dass sich der Likud von seinem Guru löst. Auf dass die Boote endlich fahren können und der Fluss überquert werden kann.

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Jahrgang 1979, Dr. phil., lebt in Tel Aviv, seit 2019 Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete.

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