Regierungsbildung in Israel: Rechter wird's nicht

Benjamin Netanjahu ist wohl zurück an der Macht in Israel. Nun kommt die wohl rechteste Regierung, die das Land je hatte.

Junge Frau hält Fahne von Netnjahu in der Hand

Bibi-Parade in Jerusalem, 1. November 2022 Foto: Maya Alleruzzo/ap

Er ist zurück und nicht alleine. Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird wohl bald wieder an die Macht kommen. Seine Likud-Partei hat die Parlamentswahl in Israel am Dienstag klar gewonnen.

Jetzt könnte der 73-Jährige die wahrscheinlich rechteste Regierung bilden, die das Land je hatte: ein Bündnis aus Likud, zwei ultraorthodoxen Parteien und der Liste Religiöser Zionismus, angeführt vom neuen Shooting-Star Israels, dem rechtsextremen, rassistischen und homophoben Itamar Ben-Gvir.

Lange war dieser Ben-Gvir mit seinen wüsten Auftritten und seinen radikalen Ideen eine – wenn auch laute – Randfigur. Als Teenager war er in der radikalen Siedlerjugend unterwegs, wurde Anwalt und vertrat zahlreiche radikale jüdische Sied­le­r*in­nen vor Gericht. Ben-Gvir ist unter anderem schon wegen Hassrede und Mitgliedschaft in der jüdisch-rechtsterroristischen Kach-Partei verurteilt worden, wurde zahlreiche Male angeklagt.

Bis vor Kurzem zierte ein Porträt des jüdischen Terroristen Baruch Goldstein, der 1994 in der Höhle der Patriarchen in Hebron 29 muslimische Betende ermordet hatte, sein Wohnzimmer. „Nicht-loyale“ Staatsbürger – palästinensische Israelis, nicht etwa jüdische – sollten ausgewiesen werden, lässt er verlauten.

Wohin der heute 46-Jährige während des Wahlkampfes auch kam, zumeist umgeben von seiner Entourage und einer Wolke von Israelfahnen, skandierten Menschen Slogans wie „Wer kommt hier? Der zukünftige Ministerpräsident!“ und holten ihre Handys hervor, um Selfies mit ihm zu machen – der eigentliche Wahlsieger war er. Als drittstärkste Kraft ging die Liste Religiöser Zionismus aus dem Rennen, heißt: 14 Sitze in der Knesset, einige Ministerposten sind ihr so gut wie sicher.

Wegbereiter Netanjahu

Seinen Steigflug hat der Krawallmacher auch Benjamin Netanjahu zu verdanken. Nicht, dass der mit allem einverstanden wäre, was Ben-Gvir sagt und tut. Aber Netanjahu ist Opportunist. Aktuell hat er vor allem ein Ziel: Einer Verurteilung zu entgehen. Der ehemalige und wohl künftige Ministerpräsident steht wegen dreier möglicher Korruptionsfälle vor Gericht.

Im für ihn schlimmsten Fall droht ihm eine Gefängnisstrafe. Seine Bündnispartner um Ben-Gvir könnten ihm den Gefallen tun und Gesetzesänderungen zustimmen, die ihn vor einer Verurteilung bewahren könnten. Netanjahu hat im Gegenzug bereits den rechtsextremen Rassisten die Legitimität verliehen, die sie brauchen.

Er hat dafür gesorgt, dass Bezalel Smotrich, Vorsitzender der Liste Religiöser Zionismus, und Ben-Gvir gemeinsam zur Wahl aufgestellt werden konnten. Nur so gelang ihnen der Sprung über die parlamentarische 3,25-Prozent-Hürde. Schon im Vorfeld der Wahl betonte Netanjahu, dass Ben-Gvir „natürlich“ auch für einen Ministerposten geeignet sei. Ben-Gvir hat Ambitionen, Minister für innere Sicherheit zu werden.

Doch es war nicht allein Netanjahu, der das rassistische Enfant Terrible groß gemacht hat. Das Phänomen Ben-Gvir fällt in Israel auf fruchtbaren Boden. Der Soziologe Or Anabi befragt für das Israelische Demokratieinstitut jährlich Israelis, wo sie sich auf der politischen Landkarte verorten.

An seinem Demokratieindex ist abzulesen: In den letzten dreißig Jahren ging es in Israel stetig nach rechts. Während sich vor dreißig Jahren rund 40 Prozent als rechts bezeichneten, sind es heute 62 Prozent, unter jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren sogar 70 Prozent.

Der Hauptgrund für diesen Trend liegt in der demographischen Entwicklung. Streng religiöse, ultraorthodoxe Familien in Israel wählen fast ausschließlich rechte Parteien. Sie bekommen im Schnitt sieben Kinder. Säkulare Familien hingegen, die sich jeweils zu einem Drittel auf das linke und rechte Lager sowie auf die Mitte verteilen, zeugen im Schnitt nur drei Kinder. Die Geburtenrate erklärt daher auch, warum vor allem Israels Jugend immer rechter wird.

Zäsur im Mai 2021

Doch der Rechtsruck ist nicht allein der Demografie geschuldet. Der Einfluss der Ereignisse im Mai 2021 sei nicht zu unterschätzen, wenn man den rasanten Aufstieg Ben-Gvirs erklären wolle, erklärt Anabi gegenüber der taz am Wochenende. „In diesem Monat ist für viele der Glaube daran, zusammenleben zu können, zerbrochen.“ Während des Kriegs zwischen Israel und der Hamas in Gaza kam es damals zu Ausschreitungen innerhalb der gemischten jüdisch-arabischen Städte.

Jüdische Mobs und palästinensische Israelis griffen sich gegenseitig an, machten Jagd aufeinander. Es kam zu Lynchszenen, es gab zahlreiche Verletzte. Die explodierende Gewalt beschädigte das ohnehin brüchige Vertrauen zwischen jüdischen und arabischen Staats­bür­ge­r*in­nen schwer.

An Anabis Zahlen zeigt sich die Zäsur des vergangenen Mai: Im April 2021, einen Monat vor den dramatischen Ausschreitungen, glaubten 45 Prozent der jüdischen Israelis, dass Juden und Araber getrennt voneinander leben sollten. Zwei Monate später waren es 59 Prozent.

Ben-Gvirs Hochburgen liegen in den religiös geprägten Städten, in Jerusalem, den jüdischen Siedlungen im Westjordanland und in von Armut geprägten Wohngegenden. Doch selbst in der liberal-säkularen Enklave des Landes, in den Cafés von Tel Aviv, hört man Menschen sagen, dass sie Ben-Gvir unterstützen.

In der Wahlnacht zogen Medienberichten zufolge Gruppen von Ben-Gvir An­hän­ge­r*in­nen durch die Straßen Tel Avivs und riefen „Tod den Terroristen!“. Waren bei der Wahl im vergangenen Jahr nur fünf Prozent der Ben-Gvir-Wähler*innen Säkulare, sollen es bei der Wahl am Dienstag 15 Prozent gewesen sein.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ben-Gvir auf dem Vormarsch

An der scheidenden Regierung, die keine eineinhalb Jahre im Amt war, war zum ersten Mal in der Geschichte Israels eine arabische Partei, Ra'am, beteiligt. Man sollte meinen, dass dadurch das Vertrauen zwischen arabischen und jüdischen Staats­bür­ge­r*in­nen hätte wiederhergestellt werden können.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Netanjahu wusste, wie er die israelische Öffentlichkeit gegen das breite Rechts-Links-Bündnis unter Naftali Bennett und Jair Lapid aufbringen konnte. Die Regierung wurde zum Sündenbock für alles, gerade aufgrund der Beteiligung von Ra'am.

Dabei war er es ursprünglich, der nach der letzten Wahl im März 2021 das Tabu gebrochen hatte, mit einer arabischen Partei koalieren zu wollen. Nur weil sein rechter Koalitionspartner Bezalel Smotrich sich einer solchen Koalition verweigerte, kam es nicht dazu – und Netanjahu scheiterte an der Regierungsbildung.

Soziologe Or Anabi über Ben-Gvir

„Er spricht aus, was viele Israelis denken“

Nun ist das breite Bündnis mit arabischer Beteiligung Geschichte. Und Ben-Gvir auf dem Vormarsch. „Er spricht aus, was viele Israelis denken“, erklärt Anabi. „Er nimmt kein Blatt vor den Mund.“ Auch das macht wohl für viele seinen Reiz aus. Ein Ministerposten für ihn gilt als ausgemacht. Denn Netanjahu ist durch seinen Gerichtsprozess erpressbar wie noch nie. Am Montag ist der nächste Prozesstermin.

Die sich abzeichnende Regierung in die Schranken zu weisen, hängt nun wohl vor allem an der internationalen Gemeinschaft, allen voran an den USA. Sollte Ben-Gvir in den Augen Washingtons zu weit gehen, wird Netanjahu manövrieren müssen. Der Zauberer, wie er hierzulande auch genannt wird, ist bekannt dafür, sich aus komplizierten Situationen winden zu können.

Doch es könnte ihm auch gehen wie dem Zauberlehrling, der seine Geister nicht mehr los wird.

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