Regierungsbildung in Italien: Lega sieht Sterne

Italien kennt keine Parteien mehr, nur noch byzantinische Verrenkungen. Was ist schlimmer: keine Regierung oder die, die nun kommt?

Zwei Männer, Matteo Salvini und Silvio Berlusconi

Stehen sich weiterhin nahe: Matteo Salvini (l.) und Silvio Berlusconi Foto: dpa

ROM taz | Regierungsbildung? „Das lese ich schon seit Wochen nicht mehr, das ist doch Langeweile pur!“ Immer wieder waren im Bekanntenkreis diese Standardsätze zu hören. Schließlich dauerte das Gezerre zwischen Italiens Parteien schon mehr als zwei Monate, und eine Lösung schien einfach nicht in Sicht.

Jetzt aber, wo manche sich bereits auf Neuwahlen einstellten, ist sie plötzlich da – und zwar als Koalition der Wutbürgerparteien, der Fünf Sterne und der Lega, als Pakt zwischen Luigi Di Maio und Matteo Salvini. Die hatten schon miteinander geliebäugelt, doch zwischen ihnen stand Silvio Berlusconi, Salvinis Partner in der Rechtsal­lianz. Das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) unter Di Maio wollte Berlusconi keinesfalls als Koalitionspartner schlucken, und dem war es ein Graus, mit dem M5S regieren zu müssen.

Nun scheint der gordische Knoten durchschlagen zu sein: Berlusconi erklärte, beiseitetreten zu wollen und Salvini grünes Licht für den Pakt mit Di Maio zu geben – und darüber nicht die Rechtsallianz aufzukündigen. Das ist politisch innovativ: Wohl nirgendwo sonst auf der Welt war bisher ein Parteienbündnis zu sehen, dessen einer Teil in die Regierung geht, während der andere die Opposition vorzieht, ohne die Allianz selbst infrage zu stellen.

Wohl an solchen byzantinischen Verrenkungen ausgerechnet in Rom liegt es auch, wenn selbst jetzt, wo sich die Chance zu einer Regierungsbildung abzeichnet, die Gespräche in den Kaffeebars und den U-Bahnen weniger um die hohe Politik kreisen als um den vor wenigen Tagen mitten im Zentrum der Hauptstadt abgebrannten städtischen Autobus.

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Starke Unruhe herrscht allerdings unter den M5S-Aktivisten, die – wie es sich für diese Bewegung gehört – ihre Debatten vor allem auf dem Blog der Bewegung austragen. Einem Florentiner M5S-Mitglied zum Beispiel stößt auf, dass Berlusconi – als bleibender Allianzfreund Salvinis – jetzt doch indirekt einen Fuß in der Tür der Koalition hat. Ausgerechnet der vorbestrafte Berlusconi! Ausgerechnet jener Mann, gegen den die Fünf Sterne so schnell wie möglich ein Gesetz zum Interessenkonflikt zwischen seiner Rolle als größter Medientycoon Italiens und als Politiker durchbringen wollen!

Lega fordert Flat Tax

„Lieber Neuwahlen“ fordern denn auch zahlreiche Sterne-Kommentatoren auf dem Blog. Und ein Marco beschwert sich, mit der von der Lega geforderten Flat Tax werde ein Berlusconi-Programmpunkt realisiert. „Ich zahle dann genauso viel Steuern wie vorher, und mein Arbeitgeber zahlt nur noch genauso viel wie ich. Wow! Schön!“

Der frühere italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi darf einem Urteil zufolge wieder öffentliche Ämter bekleiden. Ein Mailänder Gericht erklärte in einer am Samstag bekanntgewordenen Entscheidung, das entsprechende Verbot von sechs Jahren könne wegen "guter Führung" um ein Jahr verkürzt werden. Der heute 81-Jährige wurde 2013 wegen Steuerbetrug verurteilt. Dies führte dazu, dass er seinen Sitz im Oberhaus des italienischen Parlamentes verlor. Außerdem durfte er für sechs Jahre nicht mehr in ein Amt gewählt werden. (Reuters)

Gerade die aus der Linken stammenden M5S-Unterstützer sind entsetzt darüber, dass Di Maio jetzt tatsächlich mit dem strammen Rechtspopulisten Salvini zusammengehen will. „Das könnte die rechteste Regierung aller Zeiten werden“, äußert Soziologe Domenico De Masi in der Tageszeitung La Repubblica, „die antieuropäischste, immigrantenfeindlichste, unternehmerfreundlichste Regierung der Italienischen Republik.“

Auch der Chefredakteur der Tageszeitung Il Fatto quotidiano, Marco Travaglio, ein eingefleischter Berlusconi-Gegner und M5S-Sympathisant, ist einigermaßen perplex. Berlusconi habe „entweder Angst vor Neuwahlen oder er hat jene Garantien, die er immer verlangt hat: Gefälligkeiten für Mediaset (Berlusconis Medienkonzern) und keinerlei Norm gegen die vier Pfeiler seiner Bande: Korruption, Steuerhinterziehung, Mafia und Interessenkonflikt“.

Aufgeräumt dagegen ist die Stimmung bei der gemäßigt linken bisherigen Regierungspartei Partito Democratico (PD), die aus den Wahlen vom März mit miserablen 18,7 Prozent hervorgegangen war. Unter dem Druck ihres zurückgetretenen Chefs Matteo Renzi – der jedoch weiter als Schattenvorsitzender agiert – hatte sie sich jedem Gespräch mit Di Maios M5S verweigert. PD-Politiker tönten und tönen zwar, die jetzt ins Haus stehende Regierung sei eine „Gefahr für die Demokratie und für Europa“, doch Renzi behauptet, jetzt seien halt „die Sieger an der Reihe“, er werde seinerseits „das Popcorn bereitlegen“, wohl in der Hoffnung, er könne vom Spielfeldrand aus zuschauen, wie Di Maio und Salvini grandios scheitern.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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