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Regierungsbildung in der SackgasseAuf Lecornu folgt… Lecornu

Am Freitagabend nominierte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron zum zweiten Mal Sébastien Lecornu als Premierminister, Empörung inklusive.

Sébastien Lecornu: wohl von Macron überredet oder genötigt Foto: Stephanie Lecocq/Reuters Pool/AP/

Paris taz | Der Nachfolger von Premierminister Sébastien Lecornu, der am letzten Montag nach einer verpatzten Regierungsbildung zurückgetreten war, heißt Sébastien Lecornu. Präsident Macron hatte versprochen, bis Freitag einen „neuen“ Regierungschef zu ernennen. Die Stunden verstrichen, und dann kam die Meldung, die in Frankreich viele perplex lässt. Einige glaubten gar, das müsse wohl ein schlechter Scherz sein. Lecornu hatte nämlich kurz zuvor gesagt, er habe seine „Mission“ beendet und wolle diesen „Job“ des Premierministers nicht mehr. Und sein Rücktritt war das Eingeständnis seines Scheiterns.

Nun scheint ihn Macron trotzdem dazu überredet oder genötigt zu haben, erneut den Versuch einer Regierungsbildung zu wagen. „Aus Pflichtbewusstsein“ nehme er den Auftrag an, dem Land vor Ende des Jahres einen Staatshaushalt (für 2026) zu geben, sagte Lecornu.

Die zum Teil sehr vehement negativen Reaktionen auf seine Nominierung lassen indes vermuten, dass dies für ihn ein fast schier unmögliches Unterfangen sein wird. Die Ausgangslage ist noch wesentlich ungünstiger als bei seinem ersten Anlauf. Die Sozialisten erklärten, es gebe keinerlei „Absprache“ mit Macron oder Lecornu, die Grünen kündigten an, sie würden sogleich einen Misstrauensantrag einreichen. Damit drohen auch schon die Rechtspopulisten des Rassemblement national (RN) sowie die Linkspartei La France insoumise und die Kommunisten.

Lecornus Unternehmen mutet umso riskanter an, da die bisherige Regierungskoalition aus Macronisten und Konservativen auseinanderbricht. Ex-Innenminister Bruno Retailleau hatte erklärt, der „Gemeinsame Sockel“ sei für ihn „tot“. Mit ihm will ein Teil der Konservativen der Partei Les Républicains nicht mehr mit den Macronisten regieren.

Und selbst bei diesen regt sich Widerstand. Macrons früherer Premierminister Edouard Philippe erklärte am Freitag, seine Partei Horizons wolle sich nicht mehr an der nächsten Regierung beteiligen. Selbst aus Macrons Partei Renaissance klangen die Glückwünsche zu Lecornus Ernennung seltsam trocken.

Regierung könnte durch ein Misstrauensvotum erneut gestürzt werden

Noch im Verlauf des Wochenendes soll er seine neue Regierung zusammensetzen, damit diese gerade noch fristgemäß am Montag dem Parlament ein Entwurf für den Staatshaushalt vorlegen kann. Dabei zeichnet sich ab, dass die nächste Regierung zur Verabschiedung in Ermangelung einer Mehrheit zum verpönten Verfassungsartikel 49.3 greifen muss, der es ihr ermöglicht, die Vorlage ohne Votum für angenommen zu erklären. Das wiederum dürfte fast unweigerlich zur Folge haben, dass die Regierung durch ein Misstrauensvotum erneut gestürzt wird. Präsident Macron scheint der Meinung zu sein, dass dies dennoch die einzige Lösung sei.

Am Nachmittag hatte Präsident Macron die Parteispitzen und Fraktionschefs in den Elysée-Palast bestellt. Er wollte einen minimalen Konsens für einen Ausweg aus der politischen Krise finden. Namentlich die Sozialisten, Grünen und Kommunisten hatten gehofft, dass der Präsident ihnen zudem ankündigen werde, einen aus den Reihen der linken Wahlallianz „Neuen Volksfront“ als nächsten Premierminister mit der Regierungsbildung zu beauftragen.

Dies forderte die politische Linke vergeblich, wie auch schon im Juni 2024 die NFP (zu der auch die Jean-Luc Mélenchons Linkspartei La France insoumise gehört). Nach zweieinhalbstündigen Diskussionen hinter verschlossenen Türen wurde schnell deutlich, dass dies nur ein Wunschtraum der Sozialisten und Grünen war – und dass Macron zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen hatte, einen linken Premierminister zu nominieren.

Für die Argumente, Warnungen und Forderungen der Opposition und aus seinem eigenen Umfeld schien Macron keinerlei Verständnis zu haben. Er sagte, er habe konstatiert, dass die Mehrheit der Anwesenden gegen eine Auflösung der Nationalversammlung und Neuwahlen seien; zweitens stelle er fest, dass der „Gemeinsame Sockel“ der Regierungskoalition aus Macronisten und Konservativen samt der „Stabilitätsplattform“ als politische Basis weiterhin bestehe. Es wurde klar, dass der Präsident zu keinem Kurswechsel und keiner Änderung seiner vorgefassten Meinung bereit war.

„Wir kommen sprachlos und erschüttert aus diesem Treffen. Wir haben auf keine unserer Fragen eine Antwort erhalten, sondern lediglich erfahren, dass der nächste von Macron ernannte Premierminister nicht aus unserem Lager kommt“, sagte sichtlich aufgebracht die Grüne Marine Tondelier. Wenn aber der Präsident wieder einen rechten Regierungschef nominiere und keinerlei Konzessionen mache, werde das alles „sehr übel enden“. Letztlich gehe wegen Macrons Sturheit nur Zeit verloren. Ähnlich wie die Tondelier äußerte sich auch der Parteichef der Kommunisten, Fabien Roussel, mehr verärgert als enttäuscht über den ergebnislosen Verlauf der Diskussion im Elysée.

Nicht anwesend an diesem Rendezvous mit dem Präsidenten, das in den Medien als „Treffen der letzten Chance“ für einen Kompromiss mit einem Teil der Linken bezeichnet wurde, war La France insoumise (LFI). Auch das rechtspopulistische Rassemblement national (RN) war nicht eingeladen worden. Beide Extreme der französischen Politik verlangen nicht nur einen personellen Wechsel und einen Regierungswechsel, sondern den Rücktritt des Staatspräsidenten. RN-Sprecherin Marine Le Pen spottete bei einem Abstecher in die Provinz über ein „jämmerliches Spektakel“ der anderen Parteichefs, die wie „Teppichhändler“ mit Macron feilschten.

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