Regierungswechsel in Schweden: Keine Königsmacher von rechts

Die Sozialdemokraten haben die Wahl gewonnen, aber für eine Regierung reicht es nicht. Die rassistische SD verdoppelt ihren Stimmenanteil.

Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Lövfen spricht nach dem Wahlsieg. Bild: dpa

STOCKHOLM taz | Es war eine katastrophale Niederlage und Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt zog die persönlichen Konsequenzen noch am Wahlabend. Er erklärte seinen Rücktritt vom Amt des Regierungschefs und kündigte gleichzeitig an, auch nicht mehr für den Vorsitz seiner konservativen „Moderaten“ kandidieren zu wollen.

Seine Partei verlor bei den Wahlen am Sonntag nahezu jeden dritten Wähler und stürzte auf 23 Prozent ab. Und weil auch die von ihm geführte Vierparteienkoalition keine Mehrheit mehr hat, wird Schweden eine neue Regierung bekommen. Wie die aussieht, ist aber noch höchst unklar – außer dass sie sozialdemokratisch geführt sein wird. Die Sozialdemokraten unter Stefan Löfven wurden mit 31,2 Prozent zwar stärkste Partei, doch ihre leichten Gewinne reichen nicht zu einer parlamentarischen Mehrheit.

Auch weil der mögliche Koalitionspartner, die grüne „Miljöpartiet“, nicht wie erwartet kräftig zulegen konnte, sondern sein Ergebnis sogar leicht auf 6,8 Prozent zurückging. Als eigentliche Sieger durften sich am Wahlabend die „Schwedendemokraten“ fühlen. Ihren Stimmenanteil konnten sie mit 12,9 Prozent mehr als verdoppeln und sind nun Schwedens drittstärkste Partei.

Und im aus 349 Sitzen bestehenden Reichstag blockieren sie mit ihren 49 Mandaten nun sowohl eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün, die zusammen auf 158 Sitze (2010: 156) kommen, wie auch für die bisherige Regierungsallianz, die nur noch 142 Mandate erringen konnte – 31 weniger als vor vier Jahren. Hatte sich ein Regierungswechsel zwar seit Monaten abgezeichnet war die Höhe des Erfolgs der „Schwedendemokraten“ (SD) die eigentliche Überraschung dieser Wahlen.

Stadt-Land-Gefälle

Es hat offenbar eine regelrechte WählerInnenflucht von den „Moderaten“ Fredrik Reinfeldts zu den Rechtspopulisten gegeben: Jeder dritte SD-Wähler hatte bei der letzten Wahl noch konservativ gestimmt. Allerdings zeigten sich auch deutliche regionale Unterschiede und ein Stadt-Land-Gefälle. In Stockholm bekamen die Schwedendemokraten nur einen halb so hohen Stimmenanteil wie im gesamten Land. Und hatten sie ihre Hochburgen bislang vor allem in Südschweden, konnten sie nun erstmals auch im traditionell „roten“ Norden des Landes Fuß fassen.

Erste Analysen erklären das damit, dass die Partei in hohem Grade mit allen etablierten Parteien unzufriedene WählerInnen anlocken konnte. Die Steuersenkungspolitik der letzten Legislaturperioden hat zu einer spürbaren Ausdünnung des sozialen Netzes und großen Mängeln in der öffentlichen Infrastruktur geführt. Und dieser Rückzug des Staates mit geschlossenen Schulen und Gesundheitszentren und einer stetigen Verschlechterung des öffentlichen Verkehrsangebots macht sich vor allem da immer empfindlicher bemerkbar, wo SD kräftig zulegen konnte: auf dem Land.

Wahlentscheidend für die SchwedInnen waren – in dieser Reihenfolge – Fragen des Gesundheitswesen, die Schulen, Arbeitslosigkeit und die Altenfürsorge. Themen, für die auch die „Schwedendemokraten“ ihre – wenn auch teilweise nicht gegenfinanzierten oder unrealistischen – Lösungen anboten. Es war ausgerechnet der Wahlverlierer Reinfeldt, der SD zusätzlich Wasser auf die Mühlen leitete.

Mit seiner Ankündigung, es gebe wegen der hohen Kosten für die Flüchtlingsaufnahme in den kommenden Jahren keinen Spielraum für Reformen, schien er im Bewusstsein vieler WählerInnen den SD-Slogan „Wohlfahrt oder Masseneinwanderung“ bestätigt zu haben. Da half dann auch seine Beteuerung, Schweden sei eine „humanitäre Großmacht“, die sich solche Großzügigkeit durchaus leisten könne und wolle, nicht.

Rassistische Flüchtlingspolitik

Und auch eine bislang beispiellose antirassistische Gegenoffensive mehrerer linker Gruppen hinderte allzu viele SchwedInnen nicht, die „Schwedendemokraten“ wenn auch offenbar nicht vorwiegend wegen, dann doch jedenfalls trotz ihrer rassistischen Flüchtlingspolitik zu wählen.

Hätten nur die großen Städte oder die ErstwählerInnen das Sagen gehabt, hätte Schweden jetzt eine klare linke Mehrheit. Und mit der „Feministischen Initiative“ (FI) wäre eine neue Partei in den Reichstag eingezogen. Auf Landesniveau verfehlte sie mit 3,1 Prozent die Sperrklausel um 0,9 Prozentpunkte, ist aber nun erstmals in den Kommunalparlamenten von Stockholm, Göteborg und anderen größeren Städten vertreten.

Bei den ErstwählerInnen erhielt die FI 9 Prozent und damit ein Prozent mehr als die „Schwedendemokraten“. Der bisherige sozialdemokratische Oppositionsführer Löfven muss nun bis Ende des Monats einen Regierungsvorschlag unterbreiten, um vom Parlamentspräsidenten den Auftrag für eine Regierungsbildung zu erhalten. Wie schon vor der Wahl angekündigt wird der Kern eine Koalition mit den Grünen sein.

Minderheitsregierung möglich

Wie es in Schweden durchaus üblich ist – auch die bisherige Allianz hatte keine eigene Mehrheit –, könnte er dann versuchen, mit einer Minderheitsregierung, die sich nach anstehenden Sachfragen Mehrheiten sucht, zu regieren. Weil es keine linke Mehrheit im Parlament gibt, müsste sich Löfven auch nach rechts orientieren.

Die beiden liberalen Parteien „Zentrum“ und „Volkspartei“ wären mögliche Adressen. Noch lehnen sie eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten ab. Die „Verantwortung für Schweden“ und die Notwendigkeit, den „Schwedendemokraten“ keinen Einfluss auf die Politik des Landes einzuräumen, könnten die Argumente für eine Meinungsänderung werden.

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