Regisseur Hirokazu Koreeda über „Broker“: „Das ist eine gemeine Frage“

Der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda spricht über Humanismus und Sprachbarrieren beim Arbeiten. Sein Film „Broker“ erzählt von einer Wahlfamilie.

Die Gruppe um Sang-hyun (Song Kang-Ho) lächelnd beim Jahrmarktbesuch.

Fast eine Familie: die Gruppe um Sang-hyun (Song Kang-Ho) beim Jahrmarktbesuch Foto: Plaion Pictures

Er ist der große Humanist des Weltkinos. So warmherzig wie der japanische Filmemacher Hirokazu Koreeda erzählt niemand von Wahlfamilien und menschlichen Schwächen. Mit seinem neuen Film „Broker“ folgt der Goldene-Palme-Gewinner („Shop­lifters“) einem ungleichen Trio mit Baby auf einem Roadtrip durch Südkorea. Ein Gespräch über Sprachbarrieren, väterliche Gefühle und die Frage nach dem eigenen Stil.

taz: Herr Koreeda, Ihr neuer Film „Broker“ handelt von zwei Kleinganoven, die Säuglinge aus Babyklappen klauen und an Paare mit Kinderwunsch verkaufen. Kaum ein anderer Regisseur würde wohl das Empathische darin sehen. Wie haben Sie den für Sie richtigen Zugang und Tonfall gefunden?

Hirokazu Koreeda: Am Anfang stand eine ganz simple Geschichte über eine junge Mutter, die ihr Neugeborenes abgibt, und den beiden „Maklern“, die zusammen auf eine Reise gehen und dabei zu einer Art alternativen Familie werden. Ausgehend von dieser Idee überlegte ich, was ich damit erzählen will. Also stellte ich dieser Frau, die ihr Baby nicht behalten will, eine Polizistin gegenüber, die zunächst gegen sie ermittelt und am Ende das Kind selbst in Obhut nehmen wird. Zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und deren Wege sich kreuzen, die auf je ihre Weise Mutter werden.

„Broker“. Regie: Hirokazu Koreeda. Mit Song Kang-ho, Gang Dong-won u. a. Südkorea 2022, 129 Min.

Eines Ihrer wiederkehrenden Themen sind Wahlfamilien, wie schon in „Shoplifters“. Was interessiert Sie daran?

Wenn alles gut läuft, spürt man nicht, wie wichtig Familie ist. Das merkt man erst, wenn man einen geliebten Menschen verliert, den Vater oder ein Kind. Und als Filmemacher interessiert mich, wie man nach einem solchen Verlust eine neue Form für dieses Konzept Familie finden kann. Als ich „Like Father, Like Son“ drehte, dachte ich viel darüber nach, was Elternsein bedeutet. Auch weil ich damals selbst Vater geworden war. Ich musste mich bewusst in diese neue Rolle fügen und mich bemühen, väterliche Gefühle zu entwickeln. Ich glaubte damals, die Bindung zwischen Mutter und Kind sei etwas, das ganz natürlich entsteht. Ein sehr männlicher Blick, wie ich dann lernte, denn nicht jede Frau hat diesen Mutterinstinkt. So entstanden die Ideen zu „Shoplifters“ und „Broker“.

Gab es Filme, die Sie konkret für „Broker“ beeinflussten?

Vor allem John Fords Western „Spuren im Sand“ von 1948, der im Original „Three Godfathers“ heißt und von drei Banditen handelt, die in der Wüste ein Baby finden und beschließen, sich darum zu kümmern.

In ihrem Humanismus erinnern Ihre Filme auch an die Werke Robert Bressons. Welche Rolle spielte er für Sie?

Das ist schwer in Worte zu fassen. Den ersten Film, den ich von Bresson sah, war „Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen“ über die Flucht eines französischen Offiziers aus einem von der Wehrmacht beschlagnahmten Gefängnis bei Lyon. Kurz danach „Zum Beispiel Balthasar“ über den Leidensweg eines Esels. Für mich waren Bressons Filme eine Offenbarung. In ihnen gibt es nichts Überflüssiges, nichts Ornamentales. Jedes Detail ist präzise beabsichtigt und erfüllt eine Funktion. Was mich schon beim ersten Film beeindruckte, war der Einsatz der Tonspur. Das Geräusch der Essgabeln, die poliert werden etwa, oder des fahrenden Zuges. Diese Töne reichten schon, um sich ein Bild dieser Welt zu machen. Wie er diese Elemente einsetzte, hatte einen großen Einfluss auf mich und meine ersten Versuche als Filmemacher. Erst später lernte ich, dass er auch ein extrem strenger Regisseur war, seinen Schauspielern gegenüber etwa verhielt er sich oft wenig freundlich. In der Hinsicht schlug ich einen anderen Weg ein. Ich suche und liebe den engen Austausch mit meinen Darsteller*innen.

„Broker“ ist nach „La Verité“ der zweite Film, den Sie nicht in Ihrer Muttersprache Japanisch drehten. Wie beeinflusst das die Arbeit am Set?

Ich bin noch immer in der Phase des Suchens und Experimentierens. „La Verité“ ist auf Französisch, „Broker“ auf Koreanisch. Beide Sprachen verstehe ich nicht. Bei „Broker“ hatte ich eine exzellente Dolmetscherin und ich fühlte mich nicht „lost in translation“. Ich konnte sehr gut vermitteln, welche Emotionen ich im Film transportieren wollte. Trotzdem ist es wichtig, eine Art und Weise des Austauschs zu finden, die nicht auf verbaler Kommunikation beruht. Das wirkt sich dann auch auf das künstlerische Ergebnis aus, es entstehen ganz andere Dinge als in einer Situation, in der eine direkte Ansprache möglich ist. Noch bin ich dabei, im Detail herauszufinden, was die Unterschiede und auch die Gemeinsamkeiten dieser beiden Arbeitsweisen sind. Und ich versuche zu verstehen, wie diese Sprachbarriere überwunden werden kann.

Und?

Ich kann es noch nicht beantworten. Aber als ich „La Verité“ drehte, sagte mir Ethan Hawke in einem Moment, dass es nicht so wichtig ist, dieselbe Sprache zu sprechen. Es käme vor allem darauf an, dieselbe Vision zu haben, welche Art von Film es werden soll.

Ihre Filme sind geprägt von großer Empathie und einem wohlwollenden Blick auf menschliches Verhalten. Inwieweit kann nonverbale Kommunikation dabei helfen?

Auch wenn diese beiden Filme in anderen Ländern und Kulturen spielen, wurde mir immer wieder gesagt, wie „koreedaesk“ sie seien. Ich denke viel darüber nach, was das heißt. Was macht meine Filme aus, gibt es einen bestimmten Stil, der sie unverwechselbar macht? Und wenn ja, ist das etwas Gutes? Ich bin mir da nicht ganz sicher. Muss ich meine Filme so inszenieren, dass man meine Handschrift erkennt? Ist es das, was man Autorenschaft nennt? Und was passiert, wenn ich dem nicht folge? All das versuche ich herauszufinden. Mein Experiment geht weiter.

Wie würden Sie denn selbst Ihren Stil beschreiben?

Das ist ein Eindruck, der von außen an mich herangetragen wird. Ich selbst nehme das nicht so wahr. Was könnte dieser Stil sein? Mein Blick auf Menschen und ihr Verhalten? Mein Blick auf die Welt? Das sind keine Fragen, die sich Regisseure stellen, wenn sie Filme machen. Zumindest tue ich es nicht.

Sie schreiben auch Romane, die bislang leider nur auf Japanisch erschienen sind. Was können Sie in diesem Medium besser ausdrücken als in Ihren Filmen?

Ursprünglich wollte ich Schriftsteller werden, lange bevor ich meinen ersten Film drehte. Aber ich erkannte früh, dass mir dafür das Talent fehlt. Als ich dann gefragt wurde, ob ich einige meiner Drehbücher zum Roman ausbauen würde, konnte ich schlecht Nein sagen. Aber das Schreiben fällt mir schwer. Ich akzeptiere den Auftrag und bereue es dann. Ein Film ist etwas, das in Zusammenarbeit mit vielen Menschen entsteht. Es ist also nicht völlig meins. Wenn ich daraus einen Roman mache, versuche ich, mir alle Elemente zu eigen zu machen. Ich ziehe sie an mich heran und umarme sie, um mich von ihnen zu verabschieden und dann endgültig loslassen zu können.

Sind also Ihre Romane mehr „Koreeda“ als Ihre Filme?

Das ist eine gemeine Frage. Was ich sagen kann: Die Romane helfen mir, ein Kapitel zu schließen und mit dem nächsten Film ein neues aufzuschlagen.

Apropos abschließen: Vor 25 Jahren drehten Sie den Film „After Life“, in dem jeder Verstorbene sich für eine Lebenserinnerung entscheiden muss, die er ins Jenseits mitnehmen darf. Welche wäre es bei Ihnen?

Ich habe noch so viel vor in meinem Leben, ich kann mich jetzt nicht auf eine festlegen.

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