Regisseur Nichols über Gewalt: "Der Druck steigt und steigt"

Ein Gespräch mit Film-Regisseur Jeff Nichols ("Shotgun Stories") über die Gewalt in den USA, verstockte Männer und Standardformeln poetischer Gerechtigkeit.

Als ich über Rachefilme nachdachte, merkte ich, dass es darin eine Standardformel von poetischer Gerechtigkeit gibt. Bild: fugu film

taz: Herr Nichols, "Shotgun Stories" ist ein Film über sieben Halbbrüder. Hat diese Zahl etwas zu bedeuten?

Jeff Nichols: Die drei Hauptakteure, die Brüder Son, Boy und Kid, sind die Bastarde der Familie. Der Umstand, dass sie mit ihren vier Halbbrüdern insgesamt sieben sind, bedeutet aber nichts. Ich wollte nur, dass die vier behütet aufgewachsenen Brüder ihren drei Halbbrüdern auch zahlenmäßig überlegen waren.

kam 1978 in Little Rocks, Arkansas, zur Welt, wo er auch groß wurde. Heute lebt er in Austin, Texas. Besuchte die North Carolina School of Arts, 2001 schloss er sein Studium ab. "Shotgun Stories" (2007) ist sein Spielfilmdebüt. Außerdem zeichnet er für mehrere Kurzfilme verantwortlich.

Weibliche Figuren gibt es kaum. Ist Ihr Film eine Überlegung zu heutiger Männlichkeit?

Es geht vor allem um Männer aus einer bestimmten Gegend. Diese Typen aus dem Süden - und ich habe viele beobachtet - zeigen ihre Gefühle generell nicht offen. Sie sind sehr zurückhaltend, wenn es um Persönliches geht. So haben die Schauspieler sie auch gespielt. Sie führen keine langen Dialoge über ihre Befindlichkeiten. Insofern ist der Film männlich, aber es war vor allem meine Beobachtung darüber, wie die Gefühle dieser Südstaatenmänner schließlich gewaltsam aufbrechen.

Warum haben Sie diesen "alternativen" Rachefilm gedreht, der zeigt, dass Rache nichts bringt?

Als ich über Rachefilme nachdachte, merkte ich, dass es darin eine Standardformel von poetischer Gerechtigkeit gibt: Wenn der Böse aufgibt, ist der Film vorbei, und alle sind zufrieden. Ich fragte mich dagegen: Was wäre, wenn beide Parteien wirklich triftige Gründe für ihren Streit hätten? Das sind keine Psychopathen, sie haben Gefühle, die wir verstehen, und sie handeln danach. So wird die Grenze zwischen Guten und Bösen verwischt.

Haben politische Ereignisse wie der Irakkrieg Sie beim Schreiben beeinflusst?

Da ging es um "Auge um Auge" im wahrsten Sinne. Natürlich hatten der 11. September und unsere Reaktion als Amerikaner darauf eine große Wirkung auf mich. Aber mich inspirierte auch ein Zeitungsartikel über eine israelische Mutter, die trotz Bedrohung mit ihrem Sohn nicht wegziehen wollte. So fragte ich mich: Wie vermittelt man in Konflikten, wo beide Seiten unversöhnlich sind? Was passiert, wenn Eltern ein Skript für ihre Kinder schreiben, das diese ausführen müssen? Das macht harte Menschen aus ihnen, lässt aber in meinem Film die Brüder näher zusammenrücken.

Und die restliche Inspiration?

Der Rest ist Rache. Das wird sehr gut in Michael Moores "Bowling For Columbine" geschildert, die Frage: Warum gibt es in Amerika mehr Gewalt als anderswo? Ich habe auch mit meinem Film keine Antwort darauf gefunden. Es ist einfach tief in uns verwurzelt, dass wir, wenn wir angegriffen werden, doppelt und dreifach zurückschlagen. Man kann das in Western sehen. In "Erbarmungslos" etwa wird die Rache sehr spät geübt. Dann kommt der Moment der puren Befriedigung für den Zuschauer: Wir denken: "Los, misch sie auf, Clint!" Ich liebe "Erbarmungslos", das ist ein großartiger Film!

Aber Ihr Film ist doch gerade nicht so.

Ich wollte Figuren schaffen, deren Zukunft über die Grenzen des Films hinausgeht. Son hat Eheprobleme, Boy ist Basketballcoach und hat Pläne für die Zeit nach dem Sommer, und Kid will heiraten. Ich wünsche mir, dass das Publikum wirklich ein Gefühl von Verlust verspürt, wenn es dann losgeht. Man sieht keine Leichen, denn ich wollte keinen physischen Beweis, dass jemand getötet wird. Als Son das Zelt entfernt, ist das meine Version einer Begräbnisszene.

A propos Michael Moore: Stimmen Sie seiner These zu, dass die Waffenverliebtheit in den USA auf die allgemein geschürte Angst zurückzuführen ist?

Ich weiß nicht, inwiefern das auch auf meinen Film zutrifft. Ich glaube aber, dass Waffen in Filmen sehr schnell gezückt werden. Die Vorstellung, dass Leute, die nichts mit Waffen zu tun haben, sich einfach eine greifen und dann 50 Leute niedermähen - das ist rein praktisch gar nicht machbar, emotional schon gar nicht. Deshalb ist für mich das Ende von "Shotgun Stories", wenn Waffen eingesetzt werden, wirklich der Höhepunkt der Eskalation der Gewalt. Mein Film soll kein Gefühl der Befriedigung wie in "Erbarmungslos" vermitteln, sondern wie ein Geschwindigkeitshemmer wirken. Es sollte zum Ende hin keine Beschleunigung geben, sondern Unsicherheit.

Benutzen Sie deshalb auch keine Schockeffekte?

Das beste Beispiel ist, als Mike Shannon, der Son spielt - er ist der beste Schauspieler der Welt, schreiben Sie das! …

außer in "World Trade Center" von Oliver Stone.

Da mag ich ihn auch. Ich kann mir Mike Shannon an jedem Tag der Woche auf der Leinwand anschauen! Und am Sonntag doppelt!

Das beste Beispiel ist die Szene, als die zwei Brüder zu dem einen Halbbruder am Traktor gehen. Michael sagte beim Drehen: Ich würde ihn jetzt liebend gern am Kragen packen. Ich antwortete: Nein, das ist schon okay so. Also steht er nur da und schaut ihn mit diesem unheimlichen Blick an. Man will, dass sich die Schleusen der Emotionen öffnen! Das passiert aber nicht, es ist wie bei einem Druckkochtopf, der Druck steigt und steigt. Und damit auch die Erwartungshaltung des Zuschauers, der sich fragt: Wann passiert es denn nun endlich?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.