Regisseurin über Frauen in der Filmwelt: „Die Filmwelt ist ungerecht“

Regisseurin Jane Campion hat mit „The Power of the Dog“ einen Silbernen Löwen gewonnen. Frauen seien in Wettbewerben immer noch unterrepräsentiert, sagt sie.

Filmszene, zwei Personen in Lanschaft.

Cowboys in bürgerlich: George (Jesse Plemons) und Rose Burbank (Kirsten Dunst) Foto: Netflix

Montana, 1925. Als George Burbank (Jesse Plemons) heimlich die Witwe Rose (Kirsten Dunst) heiratet, beginnt dessen brutaler Bruder Phil (Benedict Cumberbatch), mit dem er die gemeinsame Ranch führt, einen Psychoterror gegen die Frau, bei dem er versucht, deren jugendlichen Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) für seine Zwecke einzuspannen. Die neuseeländische Filmemacherin Jane Campion, 67, mit „The Piano“ und „Top of the Lake“ bislang vor allem für komplexe Frauenporträts bekannt, adaptiert mit dem Roman „Die Gewalt der Hunde“ von Thomas Savage einen komplexen Spätwestern über männlichen Selbsthass und queere Selbstfindung.

Nach seiner Weltpremiere auf dem Filmfest von Venedig im September, wo Jane Campion mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie ausgezeichnet wurde, ist „The Power of the Dog“ jetzt auf Netflix zu sehen.

taz: Mrs. Campion, Sie ließen uns lange warten. „The Power of the Dog“ ist Ihr erster Spielfilm in elf Jahren …

„The Power of the Dog“. Regie: Jane Campion. Mit Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst u. a. Neuseeland/Australien 2021, 128 Min. Läuft auf Netflix

Jane Campion: Na ja, ich war alles andere als untätig in der Zeit.

Nach „Bright Star“ 2009 drehten Sie zwei Staffeln der Serie „Top of the Lake“. Wollten Sie jetzt bewusst zurück zur kürzeren Form?

Ich habe sehr genossen, dass im Fernsehen eine größere Freiheit herrscht für gewagtere, anspruchsvollere Stoffe, an die sich viele Filmstudios nicht mehr wagen. Heute ist es kaum noch möglich, eine Geschichte fürs Kino zu verfilmen, die komplex ist und viele Figuren mit widersprüchlichen Standpunkten hat. Bei Serien ist das kein Problem, im Gegenteil, die Streamingdienste und Sender gieren geradezu danach. Aber ich war das lange Erzählen auch etwas satt, es ist ermüdend, eine ganze Serie zu inszenieren. Hier wurde ich wieder daran erinnert, wie wundervoll eine Zeitspanne von zwei Stunden sein kann.

Der Roman „Die Gewalt der Hunde“ von Thomas Savage ist ein überraschender Stoff für Sie. Was hat Sie daran interessiert?

Es war wie ein Energieschub, den ich beim Lesen spürte, der mich in Bewegung versetzte. Und eine gehörige Portion Angst. Weil die Geschichte so komplex ist, hatte ich lange Zeit das Gefühl, wie am Rand einer Klippe zu stehen. Eine Weile hatte ich sehr verstörende Träume. Es hat mich buchstäblich verfolgt, noch lange nach der Lektüre. Thomas Savage ist selbst im Südwesten Montanas aufgewachsen und seine Vertrautheit mit der Gegend und dem Menschenschlag ist auf jeder Seite spürbar, da ist nichts bloß behauptet. Gleichzeitig sind die Charaktere sehr komplex und ambivalent.

Es ist das Land der Pioniere, Cowboys und Goldgräber …

Aber es ist kein Western! Zumindest kein klassischer, vielleicht ein Post-Western. Sogar die Cowboys, in ihrer Art sich zu kleiden, in ihren Gesten und ihrer Attitüde, zitieren bereits Bilder vom Cowboysein, die sie aus der Folklore und dem Kino kennen. Sie bestellen ihre Outfits aus dem Katalog.

Haben Sie die Vorlage genutzt, um Ihre Sicht auf bestimmte Themen zu reflektieren? Oder hat umgekehrt der Roman Ihren Ansatz geprägt?

Ich wollte dem Roman gerecht werden und brauchte dazu eine gebührende Vorbereitung. Mir war schnell klar, dass es vor allem auf eine psychische Auseinandersetzung hinauslaufen musste, und ich beschloss, im Vorfeld mit einer Traumexpertin zusammenzuarbeiten. Früher hätte ich für so etwas keine Nerven gehabt. Ich wollte, wie so viele Künstler, nicht in meinem Unbewussten rumpfuschen. Aber dann wurde mir eine Frau empfohlen, Kim Gillingham, die sich intensiv mit C. G. Jungs Traumtheorien beschäftigt hat und diese für krea­tives Coaching einsetzt. Ich ließ es darauf ankommen.

wurde 1954 im neuseeländischen Wellington geboren. Sie studierte zunächst Malerei, später in Sydney Regie. Für ihren Spielfilm „Das Piano“ (1993) wurde sie in Cannes als erste Frau mit der Goldenen Palme ausgezeichnet und erhielt 1994 dafür drei Oscars.

Was passierte da konkret?

Ich erinnere mich etwa an ein Rollenspiel, bei dem ich in einzelne Charaktere schlüpfte und sie mich fragte, was diese oder jene Figur zu mir als Regisseurin sagen würde, wie ich zu handeln habe. Und dann war ich zum Beispiel Phil und sagte über mich, als die Regisseurin Jane, dass ich einen weißen Klinikkittel anhätte und besser mal ein bisschen in der Erde wühlen und mir die Hände schmutzig machen sollte. Solche Dinge. Klingt vielleicht banal, hat mir aber immens geholfen.

Viele Details lassen Sie im Film nur angedeutet …

Und ich werde den Teufel tun und sie jetzt aufdröseln. Schon der Roman liefert keine eindeutige Lesart und wir haben im Film sogar noch einige Details weggelassen, weil sie uns zu offensichtlich erschienen. Film ist da unerbittlicher als das geschriebene Wort.

Sie benutzen zum Beispiel Texturen und Stoffe, die mit Bedeutung aufgeladen sind, etwa Phils Cowboymontur aus Leder und Schaffellen, die als mehr erscheint denn bloße Nutz- und Arbeitskleidung.

In Montana und anderen Bundesstaaten tragen Cowboys diese Chaps, Überhosen aus Leder, im Winter auch in einer Variante aus Schaffell, sogenannte Woolies, um sich vor der Kälte zu schützen. Mich fasziniert diese Kleidung, weil die Männer damit wie Zentauren oder Chimären wirken, halb Mensch, halb Tier. Das passte für mich gut zu den animalischen Aspekten der Geschichte und der Auseinandersetzung mit männlicher Sexualität. Phil fühlt sich wie ein Tier, wäscht sich nicht, ist der Natur näher als der Zivilisation, die er verachtet. Diese Kleidung bietet den Cowboys Schutz, aber jemand wie Phil kann darin auch viel von seinen Gefühlen und seiner Verletzlichkeit verstecken. Sie sind Rüstungen im doppelten Sinne.

Auch Kelly Reichardt hat mit „Meek’s Cutoff – Auf dem Weg nach Oregon“ und zuletzt „First Cow“ Western gedreht. Ist es höchste Zeit, das Genre durch weibliche Perspektiven zu hinterfragen?

Ich glaube, es ist vor allem ein glücklicher Zufall. Mir ging es konkret um diesen Roman. Ist es ein Western? Ich würde es eher ein intensives Kammerspiel nennen. Es hat Elemente des Western, aber fasst das Genre ganz anders auf. Es reflektiert im Grunde das Gegenteil dessen, was der Western üblicherweise propagiert, wie männlichen Mut, Pioniergeist und die Gesinnung, jeden Konflikt durch Schusswaffen zu regeln. Ich denke doch, dass meine Figuren etwas komplexer sind, Männer wie Frauen.

Sie waren 1993 die erste Regisseurin, die in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde für Ihr Kostümdrama „The Piano“ und blieben lange die einzige Frau, der diese Ehre zuteil wurde…

Nicht mehr!

Im Juli gewann Julia Ducournau mit „Titane“, 28 Jahre nach Ihnen, als zweite Frau den Hauptpreis des wichtigsten Filmfestivals. Sind Sie erleichtert?

Wie wohl wir alle, oder? Jedes Jahr, wenn die Regisseurinnen im Wettbewerb wieder übergangen wurden, stieß ich einen Seufzer aus. Und jetzt hat das endlich ein Ende und wirft noch einmal ein Schlaglicht darauf, wie unfassbar ungerecht die Filmwelt für Frauen ist. Das betrifft ja nicht nur Cannes und andere Preisverleihungen, sondern bereits die Produktionsebene, Aufträge, Berufsmöglichkeiten, Gagen, alles. Dieses Jahr konnten wir einige Veränderungen beobachten, mit den Oscars für Chloé Zhaos „Nomadland“, dann die Hauptpreise für Frauen in Cannes, Venedig und anderswo. Ich sehe diese Welle in direktem Zusammenhang mit der #MeToo-Bewegung, sie hat vieles ins Rollen gebracht und Strukturen aufgebrochen, nicht nur im Zusammenhang mit Machtmissbrauch.

Viele Kol­le­g*in­nen sehen vor allem auch Sie als großes Vorbild.

Wenn Sie das sagen. Ich weiß es nur, wenn mich jemand direkt anspricht wie Julia Ducournau, das freut mich sehr. Ich wünsche wirklich jeder und jedem, dass sie ihre eigene Stimme finden und gehört werden.

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