Rekordnationalspielerin über Fußball: „Die Deutschen sind zu zufrieden“

Therese Sjögran, Europas Rekordnationalspielerin, spricht über die Professionalisierung des Frauenfußballs in Europa, Scouting und fehlende Gleichberechtigung.

zwei Frauen umarmen sich, im Hintergrund eine volle Tribüne

Therese Sjögran (r.) und Sanne Troelsgaard Nielsen feiern einen Sieg von Rosengård Foto: imago/Bildbyran

taz: Frau Sjögran, nach dem Ende Ihrer aktiven Laufbahn 2015 sind Sie gleich Sportdirektorin Ihres Klubs FC Rosengård geworden. Warum keine Auszeit?

Therese Sjögran: Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht wirklich eine Pause brauchte. Es war mir sehr klar, dass ich im Verein und in der Fußballwelt bleiben wollte. Ich habe im Alter von sechs Jahren mit Fußball angefangen. Wenn du Fußball spielst, hast du das Gefühl, dass du nichts anderes tust. Jetzt, in meiner neuen Position, hat sich das geändert, aber ich mache den Job mit ganzem Herzen.

Was für eine Sportdirektorin sind Sie?

Ich bin sehr direkt und ehrlich. Ich versuche, viel von mir selbst zu zeigen. Ich weiß, wie es ist, Profifußball zu spielen, und versuche, mich in die Spielerinnen einzufühlen. Ich glaube, ich habe da einen kleinen Vorteil. Ehrlichkeit ist der Schlüssel.

Sie wurden für einige Spielerinnen verantwortlich, mit denen Sie noch selbst gespielt haben. War es schwierig für Sie, sich Autorität zu verschaffen?

Nein, ich glaube, sie respektieren mich für all das, was ich auf dem Feld geleistet habe. Es fällt mir eher schwer, Entscheidungen zu treffen, die den Spielerinnen wehtun könnten. Wenn ich zum Beispiel einen Vertrag nicht verlängere. Und in meiner neuen Position kann ich nicht mehr kontrollieren, was auf dem Rasen passiert. Für mich ist es sehr emotional, die Spiele zu schauen, und manchmal stressig.

Für den Film „Football for Better or Worse“ wurden Sie und der Verein im Alltag begleitet. Wie war das für Sie?

Am Anfang war es schwer, ich selbst zu sein. Ich hatte eine Kamera vor dem Gesicht und eine ganze Filmcrew um mich herum, und ich musste sie näher an mich ran lassen, als ich das jemals in diesem Kontext getan habe. Aber ich glaube, es kam gut rüber. Sehr emotional, und der Film hat gezeigt, wie es ist, Profispielerin zu sein.

st Rekordnationalspielerin Schwedens und Europas (gemeinsam mit Birgit Prinz) und Managerin des schwedischen Erstligaklubs FC Rosengård.

Filme über Frauenfußball konzentrieren sich oft auf Themen wie Diskriminierung, fehlendes Geld oder Spielverbote. Ist das ein Fehler?

Warum?

Weil es zu wenig über den Sport an sich erzählt?

Nein, ich glaube, es zeigt nur die Realität. Wir kämpfen jeden Tag für Gleichberechtigung, und wir müssen die Grenzen verschieben. Wir müssen zeigen, wie die Lage im Fußball wirklich ist. Wir sind stolz auf das, was wir haben, aber der Unterschied zwischen Frauen- und Männerfußball im Moment ist nicht in Ordnung. Wir fordern kein 50:50, wir verstehen, dass der Männerfußball mehr Gelder generiert. Aber so, wie es aktuell ist, ist es nicht okay. Wir müssen die großen Verbände unter Druck setzen, die Fifa, die Uefa und auch den schwedischen Verband.

Die US-Amerikanerinnen haben gerade wieder ihren Verband wegen Diskriminierung verklagt. Warum tut das eigentlich in Europa niemand?

Ich weiß nicht. Die US-Amerikanerinnen machen mehr Geld als die Männer, sie sind besser als die Männer, also haben sie mehr Grund und Boden, auf dem sie agieren können. In Schweden gibt es auch eine Equal-Pay-Absprache im Nationalteam. Und in Deutschland haben die Frauen gut dotierte Verträge, also bewegt sich was. Aber in Europa haben wir es schwerer, weil die Männerteams so erfolgreich sind.

Aber fehlt es den Frauen nicht auch an Selbstbewusstsein? In Deutschland fordert kaum eine Spielerin bessere Bezahlung.

Ja, ich weiß. Ich glaube, die deutsche Liga erlebt aktuell einen Stillstand im Vergleich zu England, Frankreich oder Spanien. Der deutsche Frauenfußball war so gut. Jetzt müssen sie aufpassen, dass sie nicht den Anschluss an andere Länder verlieren.

Haben Pionierländer wie Deutschland und Schweden eine Entwicklung verschlafen?

Was Schweden angeht, ist der große Faktor das Geld. Für eine gute Spielerin gibt es in Schweden ein Jahresgehalt von vielleicht 25.000 Euro; in Frankreich kann sie dreimal so viel verdienen, auch in Deutschland oder England. Das Geld entscheidet natürlich viel. Aber ich habe das Gefühl, die Deutschen sind einfach zu zufrieden mit sich selbst geworden. Genug Geld ist ja da. Wenn sie den Anschluss verlieren, müssen sie die Schuld bei sich selbst suchen.

Die WSL in England hat sich professionalisiert, Klubs in Frankreich, Spanien, Italien investieren zunehmend in Frauenfußball. Was bedeutet das für Ihre Arbeit in Schweden?

Wir müssen uns unserer Position in der Nahrungskette bewusst sein. Wir waren lange Zeit eine der besten Ligen der Welt, aber mit den Geldern in anderen Ländern können wir nicht mithalten. Es ist wirklich cool, was in Europa passiert, aber wir in Schweden müssen jetzt reagieren. Wir müssen mehr Geld in unsere Jugend stecken, um mehr Jugendspielerinnen aus unseren eigenen Akademien in die erste Mannschaft zu bringen. Denn die großen Stars werden wir nicht mehr bekommen.

Was ist aktuell die beste Liga?

Immer noch die deutsche Liga, finde ich. Frankreich und England sind dabei, etwas aufzubauen, aber die kleineren Teams sind da noch nicht gut genug. Die deutsche Liga ist ausgeglichener. Aber wenn Deutschland jetzt nichts tut, werden Frankreich und England bald vorbei­ziehen.

Kürzlich hat die spanische Liga einen Zuschauerrekord mit rund 60.000 Menschen aufgestellt. Können Sie etwas von Spanien für Schweden lernen?

Ich fand das so cool. In Spanien geht man Fußball gucken, weil das dein Klub ist, Atlético oder Barcelona. Es interessiert die Leute nicht, ob das Frauen- oder Männerfußball ist. Da können wir sehr viel lernen. Denn die besten Männer-Klubs in Schweden haben überhaupt keine Frauenteams. In Europa ziehen alle Großen gerade nach, in Schweden funktioniert das momentan nicht.

Warum nicht? Setzt der Verband die Männerklubs zu wenig unter Druck?

Sie könnten da viel mehr machen. Sie könnten ins Lizenzsystem schreiben: Wenn du einen Männerklub in der ersten Liga haben willst, musst du auch ein Frauenteam haben. Das wäre so leicht. Warum macht der Verband das nicht? Die Frauen müssten ja nicht direkt in der ersten Liga anfangen, sie könnten weiter unten in der Pyramide anfangen.

Sie haben fast Ihre gesamte Karriere in Schweden verbracht. Bereuen Sie es, nicht im europäischen Ausland gespielt zu haben?

Als ich gespielt habe, war die schwedische Liga die beste Liga der Welt. Wir hatten alle Spitzenspielerinnen, also hatte ich nicht das Gefühl, dass ich ins Ausland gehen müsste. Ich hatte ein Angebot in Europa, aber da war ich schon 35, und ich dachte mir: Warum umziehen? Heute würde ich das gern machen. Wenn ich jetzt jünger wäre, würde ich bei Manchester United spielen, das ist mein Lieblingsklub. Aber leider bin ich zu alt.

Vielleicht suchen sie eines Tages eine Sportdirektorin.

Dann würde ich mich sofort bewerben.

In wenigen Wochen geht die neue Saison los. Welche Ziele haben Sie mit Rosengård?

Wir haben jetzt drei Jahre hintereinander nicht die Liga gewonnen, also wollen wir natürlich zurück an die Spitze. Aber wir haben ein junges Team, das sich finden muss.

Wo soll der FC Rosengård denn langfristig hin?

Wir schauen jetzt sehr viel auf unsere Jugend. Aber das ist schwer, weil wir immer Champions League spielen wollen. Das Scouting wird viel wichtiger werden im Frauenfußball. Wir können keine Stars mehr kaufen, deshalb müssen wir eine neue Marta scouten, und das braucht Arbeit.

Wie kann man sich Scouting im Frauenfußball derzeit vorstellen?

Ich arbeite mit verschiedenen Scouts, die aber nicht nur für Rosengård tätig sind, sondern auch für andere Vereine. Wenn sie eine Spielerin entdecken, kontaktieren sie uns. Dann reisen wir vor Ort und schauen die Spielerin an. Ich glaube, es ändert sich gerade viel im Frauenfußball. Die jungen Spielerinnen werden jetzt schon mit 16 angesprochen. Frauenfußball ist noch so jung. Es wird noch so viel passieren, und wir müssen vorbereitet sein.

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