Relativitätstheorie in Frage gestellt: Neutrinos schneller als das Licht

Eine verblüffende Entdeckung am Schweizer Forschungszentrum CERN könnte eine der Grundsäulen der Physik ins Wanken bringen. Physiker reagieren skeptisch.

Die Messergebnisse vom CERN in Genf sollen jetzt erst einmal von anderen Physikern überprüft werden. Bild: dpa

GENF dpa/dpad | Scheinbar überlichtschnelle Teilchen verblüffen derzeit die Physiker am europäischen Teilchenforschungszentrum Cern bei Genf. Sogenannte Neutrinos, ultraleichte Elementarteilchen, scheinen in einem Experiment rund 0,025 Promille schneller zu fliegen als das Licht, wie das Cern am Freitag mitteilte.

Die Lichtgeschwindigkeit gilt nach Albert Einstein als die oberste Geschwindigkeitsgrenze im Universum und ist bislang in keinem Experiment der Welt durchbrochen worden. Ein Überschreiten dieser Grenze hätte gravierende Konsequenzen.

"Falls diese Messungen bestätigt werden, könnten sie unsere Sicht auf die Physik verändern", erläuterte Cern-Forschungsdirektor Sergio Bertolucci in der Mitteilung. "Aber wir müssen sicher sein, dass es keine anderen, banaleren Erklärungen gibt. Das erfordert unabhängige Messungen."

Nur zwei Labors sind in der Lage, die Tests aus dem größten Physiklabor der Welt - dem CERN - zu wiederholen und damit die Ergebnisse möglicherweise zu bestätigen. Eines ist das Fermilab außerhalb von Chicago, das zweite in Japan ist wegen des Tsunamis und des Erdbebens im März im Moment nicht in Betrieb.

Bereits kurz nach der Bekanntgabe der Ergebnisse durch die Forscher in der Schweiz am Donnerstag versammelten sich Wissenschaftler im Fermilab, um die Ergebnisse der europäischen Studie zu überprüfen. Das Problem ist allerdings, dass die Messsysteme dort nicht annähernd so präzise sind wie im CERN.

Dies sei jedenfalls so wichtig, dass jeder Wissenschaftler jedes Bruchstück an Information genau untersuchen werde, sagte Fermilab-Sprecher Rob Plunkett. Er selbst wolle sich nicht festlegen, ob nun Einstein oder das CERN am Ende recht behalten werde, aber: "Es ist gefährlich, Wetten gegen Einstein abzugeben. Einstein ist immer und immer wieder auf die Probe gestellt worden."

Die Skepsis in der Physik-Welt ist groß, denn die Lichtgeschwindigkeit von 299.792.458 Metern pro Sekunde galt lange als kosmische Geschwindigkeitsbegrenzung. Festgelegt ist das in Einsteins Spezieller Relativitätstheorie, deren Formel E=mc² weit über die Physik-Welt hinaus Bekanntheit erlangte.

"Das Gefühl, das die meisten Leute haben, ist, dass das nicht richtig, nicht real sein kann", sagt CERN-Sprecher James Giles zu den Ergebnissen der dortigen Forscher.

Schneller als Licht

Das CERN stellte den Teilchenbeschleuniger zur Verfügung, mit dem die Neutrinos unterirdisch von Genf in ein italienisches Labor in 730 Kilometer Entfernung geschossen wurden. Und dabei - so die Forscher - 60 Nanosekunden schneller waren als das Licht, bei einer Messabweichung von nur zehn Nanosekunden.

Auch das Fermilab-Team in Chicago erzielte 2007 ähnliche Ergebnisse, allerdings mit einer weit höheren Messungenauigkeit. Die Forscher am CERN überprüften diese unglaubliche Entdeckung mehrere Monate lang immer wieder. Nun wollen sie die breite Physik-Gemeinschaft einladen, um die Ergebnisse bis ins kleinste Detail zu untersuchen, sagt CERN-Sprecher Giles.

Sollte etwas Einsteins Theorien infrage stellen können, dann wären es wahrscheinlich am ehesten die Neutrinos, die Physiker seit 80 Jahren erstaunen. Diese Elementarteilchen haben fast keine Masse und existieren in drei verschiedenen Arten.

"Fliegender Teppich"

Ein Neutrino kann sein eigenes Antiteilchen haben und wurde sogar schon dabei beobachtet, wie es von einem der drei möglichen Zustände in einen anderen übergeht, während es von der Sonne wegrast, erklärt Physiker Phillip Schewe vom Joint Quantum Institute in Maryland.

Doch solange die Ergebnisse nicht von einer zweiten Gruppe bestätigt sind, will niemand in der Physik-Welt von einer Revolution sprechen. Im Gegenteil: Jenny Thomas vom Fermilab, das die Tests überprüfen soll, sagte, es müsse eine "banalere Erklärung" für die Ergebnisse geben. Es sei sehr schwer, die Distanz, Zeit und Winkel für eine solche Behauptung zu messen.

Auch der Vorsitzende des Physik-Instituts an der Universität von Maryland, Drew Baden, hält Messfehler für die wahrscheinlichste Erklärung. "Es ist lächerlich, was die veröffentlichen", sagt Baden: als ob man einen fliegenden Teppich erfinden und danach herausfinden würde, dass es beim Experiment einen Fehler gegeben habe. "Bis es durch eine andere Gruppe bestätigt ist, ist das ein fliegender Teppich."

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