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Repression gegen Dissidenten im AuslandPlant Vietnam die nächste Entführung in Deutschland?

2017 verschleppte der vietnamesische Geheimdienst einen abtrünnigen Funktionär aus Berlin. Nun gibt es Indizien, dass einem Exiljournalisten das Gleiche drohen könnte.

Der lange Arm des vietnamesischen Geheimdienstes reicht bis nach Berlin, vermutlich auch in die Botschaft Foto: Paul Zinken/dpa

Entführt der vietnamesische Geheimdienst zum zweiten Mal nach 2017 einen Regimegegner aus Deutschland? Die Anzeichen verdichten sich, dass Hanoi genau das plant.

So erfuhr die taz aus zuverlässigen Regierungskreisen in Hanoi, dass es kürzlich ein Treffen des vietnamesischen Ministers für öffentliche Sicherheit, Luong Tam Quang, mit dem belarussischen Staatssekretär des Sicherheitsrates, Alexander Wolfowitsch, gab. Neben den Politikern nahmen auch zahlreiche Mitarbeiter daran teil. Laut internen Quellen, die der Informant der taz einsehen konnte, soll es dort auch um die „Ausarbeitung eines Plans zur Entführung des Journalisten Trung Khoa Le über Belarus nach Vietnam“ gegangen sein.

Le lebt seit 1993 in Deutschland und entwickelte sich hier mit seinem Medium Thoibao.de zu einem der einflussreichsten Exiljournalisten in vietnamesischer Sprache. Er steht seit 2018 unter Personenschutz des LKA Berlin, weil es mehrfach Morddrohungen gegen ihn gab. Vietnam hat ihn im November wegen seiner journalistischen Tätigkeit angeklagt oder wie es in Hanoi heißt, wegen „Herstellung, Speicherung, Verbreitung oder Weitergabe von Informationen, Dokumenten und Gegenständen gegen die Sozialistische Republik Vietnam“.

Am 31. Dezember beginnt vor dem Hanoier Volksgericht ein Prozess gegen ihn in Abwesenheit sowie gegen drei inhaftierte Männer, in denen Hanoi seine Mitarbeiter sieht. Le sagt der taz allerdings, dass nur einer der drei Männer tatsächlich als Journalist für sein Internetmedium Thoibao.de tätig war. Einen der Angeklagten kenne er nicht einmal. Den dritten kenne er zwar, aber der hätte mit journalistischer Tätigkeit nichts zu tun.

Ein Schauprozess ist wahrscheinlich

Es ist mit einem Schauprozess zu rechnen und Hanoi will den Hauptangeklagten unbedingt dabeihaben. Bei einer Verurteilung drohen jedem der Männer bis zu 20 Jahren Haft. Und alles andere, als dass die Regierung von der in Vietnam nicht unabhängigen Justiz die Verurteilung bereits eingefordert hat, wäre ein Wunder.

Das Datum des 31. Dezembers ist mit Bedacht gewählt. Erstens, weil da westliche Diplomaten, die als Prozessbeobachter infrage kämen, im Urlaub sind. Und zweitens, weil im Januar in Vietnam der wichtige Parteitag der Kommunistischen Partei stattfindet und Parteichef To Lam für seine nicht sichere Wiederwahl Punkte sammeln muss. Ein Strafprozess ist in Vietnam meist mit zwei Verhandlungstagen abgetan. Eine Verteidigung, die diesen Namen verdient, gibt es sehr selten. Auch gegen den in Deutschland lebenden Menschenrechtsanwalt Nguyen Van Dai beginnt ein separater Prozess in Abwesenheit am 31. Dezember vor dem Volksgericht Hanoi.

Aus der Kooperation zwischen Vietnam und Belarus im Sicherheitsbereich machen weder vietnamesische noch belarussische Medien ein Geheimnis. 2024 und 2025 gab es gegenseitige Ministerbesuche. Memoranden über Zusammenarbeit wurden unterzeichnet, eine dauerhafte gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet. Vietnams Medien ließen sogar wissen, dass beide Staaten „bei der Überprüfung, Festnahme und Auslieferung von Straftätern“ kooperieren würden.

Regierungskritische Äußerungen im Internet und regierungskritische journalistische Tätigkeit sind in den Augen beider Geheimdienste schwere Straftaten. Und beide Geheimdienste sind bereit, auch im Ausland gegen Dissidenten vorzugehen.

Weltweites Netz an Geheimdienstagenten

So ließ Vietnam 2017 den abtrünnigen Wirtschaftsfunktionär Trinh Xuan Thanh von Berlin über Bratislava und Moskau nach Hanoi entführen. Dort sitzt das Entführungsopfer noch immer in Haft. Dafür sprechen aber auch ähnliche Entführungen von Dissidenten, Journalisten und abtrünnigen Funktionären aus Thailand und Kambodscha nach Vietnam. Und dafür spricht ebenfalls, dass Vietnam in der Diaspora ein weltweites Netz an Geheimdienstagenten aufgebaut hat.

Darauf konnte der Geheimdienst auch bei der Entführung von Trinh Xuan Thanh zurückgreifen. Laut Informationen der taz gibt es sogar einen Plan des vietnamesischen Sicherheitsministeriums, wonach drei Prozent aller nach Deutschland zum Studium und zur Ausbildung geschickten Vietnamesen Mitarbeiter des Geheimdienstes sein müssen.

Per Steckbrief gesucht

Zurück zu dem Journalisten Le: Die Regierung und die Staatsanwaltschaft Hanoi suchen ihn sowie Menschenrechtsanwalt Nguyen Van Dai mit Steckbriefen. Darin heißt es, obwohl Hanois Behörden ganz genau wissen, dass beide Männer in Deutschland leben: „Wer den Aufenthaltsort der Beschuldigten Nguyen Van Dai oder Trung Khoa Le ermittelt, ist berechtigt, diese unverzüglich festzunehmen und zur nächsten Polizeistation, Staatsanwaltschaft oder zum Volkskomitee zu bringen.“

In sozialen Netzwerken in vietnamesischer Sprache wird bereits darüber spekuliert, wie viel Belohnung man wohl bekommt, wenn man die beiden zum Flughafen verfrachtet und in ein Flugzeug nach Vietnam setzt. Oder auch in ein Flugzeug nach Belarus. Nguyen Van Dai sagt, er habe in jüngster Zeit zahlreiche Drohungen von in Deutschland lebenden Vietnamesen erhalten.

„Berliner Wolfsjagd-Operation“

Das ist noch nicht alles: Am Freitag publizierte eine anonyme Frau auf Facebook einen Warnhinweis an Le: „Warnung: Die Berliner Wolfsjagd-Operation unter der Leitung von Oberst Doan Thanh Thuy A02, hat in Zusammenarbeit mit Agenten in Deutschland und der Tschechoslowakei Stellung bezogen. Seien Sie vorsichtig. Viel Glück.“ A02 ist eine Abteilung im Sicherheitsministerium in Hanoi. Die Tschechoslowakei gibt es zwar längst nicht mehr. Aber für die Entführung von Trinh Xuan Thanh 2017 wurden vor allem Vietnamesen aus Tschechien rekrutiert.

Der Beitrag wird auf Facebook zahlreich geteilt und kommentiert. Die Kommentare reichen von Ungläubigkeit, dass Vietnam es wagen könnte, zum zweiten Mal einen Menschen aus Deutschland zu entführen über Sorge um den Journalisten bis hin zu Verständnis für eine solche Absicht. Aus Kreisen des Auswärtigen Amts in Berlin heißt es dazu, man kenne die Berichterstattung dazu. Die Presse- und Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut, dies verdeutliche man auch gegenüber der vietnamesischen Seite.

Ein Mitarbeiter einer Bundesbehörde, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagt der taz: „Wir sind alarmiert und nicht untätig.“ Le und Dai stehen ohnehin unter Personenschutz. Beide berichten der taz, die Sicherheitsvorkehrungen seien von den Behörden seit Ende November intensiviert worden.

Entführung nur durch Zufall vereitelt?

Und auch in einem weiteren Fall droht wohl eine Entführung durch vietnamesische Stellen. Es geht um die Außenhandelskauffrau und Waffenhändlerin Nguyen Thi Thanh Nhan, die 2023 nach Deutschland floh, hier vom BND versteckt wird und als Gegenleistung ihr Insiderwissen zum internationalen Waffenhandel den deutschen Behörden preisgeben soll.

Nhan wurde in Vietnam in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von 87 Jahren verurteilt. Ihr werden Wirtschaftsbetrugsdelikte vorgeworfen. Doch es spricht viel dafür, dass es um etwas anderes geht: Sie galt als langjährige Geliebte des vietnamesischen Premierministers und dass ihre Tochter von ihm abzustammen solle. Seine parteipolitischen Widersacher können ihm direkt zwar nichts anhaben, verfolgen aber seine Geliebte, um ihm zu schaden. Seit die taz 2023 erstmals über diesen Fall berichtet hatte, ist die taz-Website in Vietnam gesperrt.

Vor gut einer Woche wurde in einer vietnamesischen Lokalzeitung behauptet, ein Entführungsversuch gegen diese Frau sei am 6. Dezember im Raum Nürnberg nur durch Zufall vereitelt worden. Der Artikel wurde kurz darauf gelöscht, doch da hatte er sich längst auf Facebook verbreitet. Die Regierung in Hanoi dementiert die Berichte nicht. Sie erklärte lediglich, dass die Strafverfolgung der Frau in Vietnam nichts mit Machtkämpfen innerhalb der Partei zu tun habe. Denn interne Flügelkämpfe gebe es in der Kommunistischen Partei überhaupt nicht.

Deutsche Behörden bestätigten die Berichte bislang nicht.

Transparenzhinweis: Die Autorin arbeitet auch für das Medium „Thoibao.de“, dessen Chefredakteur Trung Khoa Le ist.

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