Repression in Russland: Journalisten, hört die Signale

US-Reporter Evan Gershkovich ist in Russland wegen angeblicher Spionage festgenommen worden. Dafür drohen ihm 20 Jahre Haft.

Portrait von Evan Gershkovich

Der Journalist Evan Gershkovich wurde in Jekaterinburg verhaftet. Ihm wird Spionage vorgeworfen Foto: reuters

Er war innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Mal nach Jekaterinburg gereist, an den Ural, die imaginäre Grenze zwischen Europa und Asien. Er wollte in der Region recherchieren, die als industrielle Wiege Russlands gilt und in der Rüstungsgüter produziert werden, offenbar zu der brutalen Privatarmee „Wagner“ des kremlloyalen Unternehmers Jewgeni Prigoschin und der Haltung der Menschen zu Putins „Spezialoperation“, wie Russland den Krieg in der Ukrai­ne offiziell bezeichnet.

Seit sechs Jahren lebt und arbeitet Evan Gershkovich als Journalist in Moskau, erst für die englischsprachige The Moscow Times, später für die französische Nachrichtenagentur AFP. Er schrieb als freier Journalist für die New York Times und war kurz vor dem Krieg zum Wall Street Journal gewechselt. Am Mittwochmittag Ortszeit war der 1991 geborene US-Amerikaner verschwunden. Zeugen in Jekaterinburg meldeten, er sei mit einem Pullover um den Kopf in einen Wagen gezerrt worden.

Einen Tag später präsentierte der russische Inlandsgeheimdienst FSB den Vorwurf gegen Gershkovich: Spionage. Darauf stehen in Russland bis zu 20 Jahre Haft. Der Journalist soll, so heißt es beim FSB, „auf Ersuchen der Vereinigten Staaten Informationen über ein Unternehmen des russischen militärisch-industriellen Komplexes gesammelt haben, die Staatsgeheimnisse darstellen“.

Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, schrieb, Gershkovich habe seine Akkreditierung als Journalist und sein Visum dazu „benutzt, Aktivitäten zu verschleiern, die kein Journalismus sind“. Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, Gershkovich sei „auf frischer Tat“ ertappt worden.

Von „Geiselnahme“ ist die Rede

Die nach Russlands „Spezialoperation“ geänderten Gesetze, die oft schwammig formuliert sind, erlauben es dem FSB, jegliches Interesse für die Themen „Krieg, Armee, Söldner“ schnell als Spionage zu werten. The Wall Street Journal schrieb, es sei „tief besorgt“ um die Sicherheit seines Reporters und forderte seine Freilassung. Russische Oppositionelle sprachen von einer „Geiselnahme“.

Es ist das erste Mal in Russland, dass ein westlicher Journalist der Spionage beschuldigt wird. Damit senden die russischen Behörden ein Signal an alle westlichen Journalist*innen, die in Russland arbeiten. Sie haben das Exempel statuiert, das in den Kreisen europäischer und US-amerikanischer Jour­na­lis­t*in­nen in Moskau lange befürchtet worden war. Das Arbeiten – gerade auch zu heiklen Themen – wird so weiter erschwert.

Nach der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 und den daraufhin verschärften Gesetzen im März hatten viele westliche Jour­na­lis­t*in­nen das Land verlassen. Vor allem englischsprachige Medienschaffende arbeiten seitdem vielfach aus anderen Ländern zu Russland. Gershkovich war geblieben – und tat, was auch andere Jour­na­lis­t*in­nen in Russland tun.

Sie beobachten, sie sprechen mit Menschen, sie beschreiben die Lage im Land, in dem viele die Augen vor den Verheerungen des Kriegs verschließen, der in ihrem Namen geführt wird. Sie führen Interviews, schreiben Reportagen und Analysen, produzieren TV-Beiträge über ein Leben, das viele ihrer Ge­sprächs­part­ne­r*in­nen als angespannt und gefährlich bezeichnen.

Back to his roots

Die Anspannung spüren auch die Jour­na­lis­t*in­nen selbst, deren Arbeit der Staat und seine Pro­pa­gan­dis­t*in­nen immer stärker zu behindern wissen. In Jekaterinburg wurden westliche Jour­na­lis­t*in­nen in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder Ziele der russischen Sicherheitsbehörden. Sie wurden verfolgt und befragt. Ihre Telefonnummern wurden in ultrapatriotischen Telegram-Kanälen veröffentlicht, was hetzerische Kommentare gegen sie und ihre Arbeit nach sich zog.

Gershkovichs Eltern hatten einst ihre sowjetische Heimat gen Amerika verlassen. Die Kinder sollten es besser haben, wie exilierte Eltern ihren Kindern gern sagen. Sie hätten ihn wohl gern Iwan genannt, erzählte der Reporter einst, Evan habe für sie ähnlich geklungen, aber eben nicht russisch.

Gershkovich zog es dennoch nach Russland, er wollte das Land seiner Vorfahren kennenlernen, wollte es als Journalist seinen Le­se­r*in­nen vermitteln. Bald dürfte er vor einem russischen Gericht stehen, dort, wovor seine Eltern ihn stets bewahren wollten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.