Repressionen in der Türkei: Erneute Festnahmen von Oppositionellen
In Istanbul wurde der Bezirksbürgermeister İnan Güney verhaftet. Ihm und weiteren CHP-Politikern wird Korruption vorgeworfen. Doch Beweise liegen nicht vor.

Bis auf den Bürgermeister von Adıyaman, der kürzlich freigelassen wurde, sitzen die anderen in Haft. Vorgeworfen wird allen unisono Korruption im weitesten Sinne, ohne dass die Staatsanwaltschaft in nur einem Fall stichhaltige Beweise dafür vorlegte.
Ausgangspunkt der Verhaftungen sind die landesweiten Kommunalwahlen im März letzten Jahres, bei denen die Opposition erstmals nach mehr als 20 Jahren die regierende AKP deutlich schlagen konnte. Die CHP gewann in allen Metropolen des Landes, einschließlich Istanbul, Ankara, Izmir und weiteren 10 Großstädten. Besonders alarmiert sind die AKP und Präsident Recep Tayyip Erdoğan, weil die CHP auch in vielen Städten und Gemeinden gewann, die jahrzehntelang Hochburgen der AKP waren.
Nachdem die AKP ein Jahr lang gewartet hatte, ob die Opposition sich selbst zerlegt, versucht sie nun mithilfe der Justiz die Wahlniederlage von 2024 zu korrigieren. Insgesamt wurden rund 500 Leute in dieser bislang für die Türkei beispiellosen Repressionswelle gegen die größte Oppositionspartei des Landes verhaftet. Neben CHP-Mitgliedern zählen dazu auch Künstler, Aktivisten und Journalisten, die sich gegen die Verfolgung der Opposition ausgesprochen haben.
Staatsanwaltschaft versucht Beweise zu fabrizieren
Da es der politisch gelenkten Staatsanwaltschaft schwerfällt, auch nur den Schein einer Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten, versucht sie offenbar nun mit allen Mitteln, irgendwie Beweise zu fabrizieren, die ihre Ermittlungen untermauern sollen.
Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel berichtete schon vor Wochen, dass einem verhafteten engen Mitarbeiter von Ekrem İmamoğlu gedroht worden sei. Wenn er İmamoğlu nicht belaste, würde auch sein Sohn festgenommen. Am Dienstag präsentierte Özel dann ein Papier, in dem ein hoher AKP-Politiker einem verhafteten Geschäftsmann anbietet, er würde freigelassen, wenn er zwei Millionen Dollar zahlen und eine Falschaussage gegen İmamoğlu unterschreiben würde.
Vor wenigen Tagen trat die CHP-Bürgermeisterin der Großstadt Aydın in die AKP über, angeblich wegen Differenzen mit der Führung der CHP. Tatsächlich, sagte Özgür Özel, weil ihr mit Verhaftung gedroht worden sei, wenn sie nicht die Partei wechsele. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft nun auch ein Ermittlungsverfahren gegen den CHP-Vorsitzenden eingeleitet, wegen angeblicher Falschaussage. Außerdem versucht die AKP den CHP-Vorsitz Özels gerichtlich anzufechten. Er sei durch Stimmenkauf gewählt worden.
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