Resozialisierung im Gefängnis: Das Gitter öffnen

Theater und Meditation in der Haft: Das ist kein Luxus, sondern kann Lichtblick und Therapie bedeuten. Eine Reise hinter Mauern.

Menschen in weißer Kleidung

Alles Theater: Probe der Gefangenentruppe von aufBruch in der Haftanstalt Berlin-Tegel Foto: Thomas Aurin

BUTZBACH/BERLIN/HOHENASPERG taz | Sven Regler ist ein schlauer Mann. Man kann sich gut vorstellen, wie er früher mit einem schicken Auto durch die Gegend fuhr, seine Kinder zum Sportverein oder in die Musikschule brachte und abends, nach der langen Arbeit, für seine Frau noch eine ausgesprochen gute Pasta kochte. Womöglich lebte er in einem Haus mit reichlich Platz, vielleicht hatte er einen Garten.

Regler war lange Zeit Angehöriger des Teil des Strafsystems, das von den 13,7 Milliarden Euro Gesamtausgaben im Jahr einen fetten Brocken abbekommt: 9,3 Milliarden für ordentliche Gerichte und Staatsanwaltschaften. 3 Milliarden fließen in die Haftanstalten. Doch Regler ist abgefallen. Von seinem hohen gesellschaftlichen Status mit Einfamilienhaus und Anzug bleibt eine steinige Zelle und eine rote Uniform. Regler ist nicht einer, der schnell wütend wird. Ihm gehört die Sprache. Eine Sprache, die ihm im Gefängnis wenig nützt. Einmal da drin, findet sie kaum Gehör. „Das Gefängnis ist ein Ort flanierender Gewalt“, sagt er.

Ein Riss zieht sich durch den Mann, der am Tisch sitzt und den Gesprächen eher lauscht, als zu intervenieren. Wenn Sven Regler etwas sagt, dann überlegt. Alle Männer am Tisch sind Langzeitgefangene der hessischen JVA Butzbach. Sie sind Teil eines evangelischen Gesprächskreises, den der Gefängnispfarrer, Kriminologe und promovierte Sozialwissenschaftler Tobias Müller-Monning leitet. Ein großer Mann mit warmen Augen, seine untere Gesichtshälfte ist bartverwachsen. In der Mitte des Tischs liegt ein gelbes Heft, das kurz zuvor herumgegangen ist: Die Gefängnisseelsorge hat 2017 ein Zukunftspapier veröffentlicht. Müller-Monning hat daran mitgearbeitet. Gefordert wird: ein Umdenken im Strafvollzug. Eine sozialpolitische Entwicklung, die die Haftpopulation senkt. Eine Reform der Strafgesetzgebung, beispielsweise durch die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe.

Von ihrer Identität bleibt den Männern am Tisch so viel wie vom Kuchen auf den Papptellern vor ihnen: Krümel. Die Aussortierung sitzt. Mindestens einmal in der Woche kommt es im knapp 800 Mann starken Gefängnis zu Ausschreitungen. „Kein Wunder an diesem Ort“, sagt einer der Gefangenen und wirft sich fünf Stücke Zucker in den Kaffee. Was einem im Gefängnis abhanden kommt, ist Ruhe. Stimmengewirr fegt dröhnend durch die Luft, es kommt von überall. Wenn eine der massiven Eisentüren schließt, fräst sich ein unerbittlicher Ton durch die Poren der dicken Wände durchs Gebäude. In der Zelle kann man kaum ganz die Hände ausstrecken, ohne auf Stein zu stoßen. Die kalte Wand starrt einen an, das Fenster verhöhnt mit seinem hohen, nicht erreichbaren Sitz. Es riecht nach altem Essen und abgestandenem Rauch.

Von ihrer Identität bleibt den Männern so viel wie vom Kuchen auf den Papptellern vor ihnen: Krümel. Mindestens einmal die Woche kommt es im Gefängnis zu Ausschreitungen

Sven Regler hat seine Frau umgebracht. Wenn er das sagt, hat man das Gefühl, ein Teil von ihm stirbt dabei mit. Es war keine kalkulierte Tat, sondern die Sicherung, die von der einen auf die andere Sekunde explodiert ist. Bei vielen Gefangenen seines Strafmaßes brennt sie langsam durch, es sind verschmorte Biografien mit vielen Haftaufenthalten. Geschichten vom stetigen Schrumpfen der Möglichkeiten bis zur totalen Gleichgültigkeit. Diese Geschichten treffen im Gefängnis aufeinander. Kriminelle Subkulturen bilden sich, Männerdominanz beherrscht die Begegnungen.

Realität entspricht nicht dem Strafvollzugsgesetz

Das Strafvollzugsgesetz formuliert in Paragraf 2 die Vollzugsziele: Neben dem Schutz vor der Allgemeinheit soll der Straftäter befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein straffreies Leben zu führen. Das gilt von der Jugendstrafe bis hin zur Sicherungsverwahrung. Doch fast jeder zweite Inhaftierte wird nach seiner Entlassung wieder straffällig. Dann soll Freiheit durch Freiheitsentzug eingeübt und beschädigte Beziehungen sollen durch Ausschluss aus der Gesellschaft geheilt werden. Ein Paradox.

Sven Regler ist schuldig. Er wurde verurteilt, er sitzt dafür. Wird dadurch das Gleichgewicht, das er durch seine Tat zerstörte, wiederhergestellt? Sven Reglers Kinder sprechen noch mit ihrem Vater. Sie kommen ihn regelmäßig besuchen. Auch mit seiner Schwiegermutter ist er in Kontakt. Sein Gefängnisgehalt, ungefähr 200 Euro im Monat für eine Fünftagewoche, behält er nicht für sich. Er teilt es und überweist es an seine Kinder. „Da bleibt nicht mehr als ein Taschengeld“, sagt er bitter. Er kann seine Schuld nicht in produktive Anteilnahme ummünzen, die Strafe weitet sich auf das gesamte Familiensystem aus.

Kann man etwas tun, um die Gefangenen aus ihrem abgeschlossenen Alltag herauszuholen? Welche Möglichkeiten gibt es, damit diese sich mit ihrer Tat auch auseinandersetzen anstatt diese nur zu verdrängen?

Wie geschlossen das System nach außen hin ist, weiß Sibylle Arndt vom Gefängnistheater aufBruch in Berlin. Die Produktionsleiterin ist seit Gründungstagen bei der Initiative dabei. An einem Abend im März 2018 stehen kleine Menschenknäuel vor dem Eingang eines stillgelegten Trakts der JVA Tegel und warten darauf, hineingelassen zu werden. Es ist gerade noch hell, Arndt koordiniert den Einlass. Sie hat die Namen und Anschriften aller Besucher*innen auf einem ausgedruckten Papier vor sich liegen und streicht die Ankommenden gewissenhaft durch. Das Publikum des Abends ist durchmischt, ein paar englische oder spanische Wortfetzen, manche erkundigen sich nach dem Probenprozess. Einer der Besucher sagt, man gehe später noch in den Dorfkrug, eine Kneipe nebenan. Die Stimmung ist heiter und gespannt, ein paar Nachzügler kommen hastigen Schrittes angelaufen. Persönlichen Gegenstände werden in Schließfächern vor der Tür weggesperrt.

In Begleitung von Personal geht es durch einen Hof in kleinen Gruppen zum Aufführungsort. Vorlage des Abend ist der berühmte Versroman „Parzifal“ von Wolfram von Eschenbach, den Richard Wagner später musikalisch unterlegte: Gralskönig Amfortas hat das strenge Regelwerk seines Landes verraten und windet sich körperlich und seelisch verletzt in Reue und Scham um den verlorenen Gral. Der ritterlichen Gemeinschaft fällt er zur Last, ein Anführer ist er fortan nur gewesen. Da erscheint Parsifal, ein reiner Tor. Gewillt, den verlorenen Gral aufzutreiben. Er gerät dabei in extreme persönliche Konfliktsituationen und wird immer wieder selbst schuldig.

Mit Dürrenmatt und Kinski Persönlichkeit entfalten

Der Stoff wird angereichert mit Textauszügen aus der orwellschen Überwachungsdystopie „1984“, Friedrich Dürrenmatts „Wiedertäufern“ und Klaus Kinskis „Jesus Christus Erlöser“. Das Publikum wird auf seinen Platz geführt: eine kleine Tribüne, von der man in einen weitläufigen Gang schaut. Dazwischen eine massive Gittertür, die während des Spiels immer wieder geöffnet und geschlossen wird. Symbolisierung der Grenze, die zwischen Besucher*innen und Gefangenen existiert. Heute spielt das Ensemble das Stück zum letzten Mal.

Begleitet wird es von Musiker*innen der Musikhochschule Hanns Eisler Berlin, realisiert in Kooperation mit den Berliner Philharmonikern. Teilnehmende des Erasmus-Projekts Skills4Freedom sind anwesend, das sich für die Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten von Exgefangenen und externe Beschäftigungsangebote im Vollzug einsetzt. Seit 2018 werden kreative Projekte wie aufBruch aus dem Justizhaushalt in Berlin gefördert. 20 Jahre hat das gedauert, so lange gibt es das Gefängnistheater schon. Die Realisation externer Projekte im Gefängnis ist mühsam, es braucht die Bereitschaft der JVAs, Bedienstete müssen die Gefangenen aus den Zellen holen, bei Proben anwesend sein, die Aufführung koordinieren, die Besucher*innen kontrollieren. Häufig scheitert die Umsetzung am Personalmangel.

Als das Licht ausgeht, beginnt ein zartes Bestreichen der Instrumente. Schwache Strahler werfen bunte Flecken auf die grauen Gefängniswände. Nach oben hin ist der Raum offen. Wie über Balkone gelangt man zu den Zellen in den höheren Stockwerken. Erster Auftritt im zweiten Stock. Ein Spieler öffnet die Arme zur leidenschaftlichen Symbolisierung der Pein und sinniert über Versuchung. „Das ist Disziplin“, sagt Sibylle Arndt vom Gefängnistheater. Es brauche Training, Ausdauer und Geduld für das Endprodukt. Zehn Wochen lang haben die Musiker*innen, das aufBruch-Team und die Gefangenen täglich von 16 bis 20.30 Uhr geprobt – neben der gewöhnlichen Arbeit. Der allmorgendliche Haftalltag beginnt um 6.30 Uhr. „Klar gibt es Impulsschwächen. Aber wenn mal ein Spieler rumbrüllt, bleibt die Gruppe gelassen. Weil sie weiß, dass die Person für das Ensemble wichtig ist. Das wirkt dann auf die gesamte Gruppe deeskalierend.“

Eine Stunde später, ein neuer Spielort. Im Duschraum auf Bierzeltgarnituren sitzen die Besucher*innen an den Rändern des Raums eng aneinandergedrängt. Selbstvergessen ist all ihre Aufmerksamkeit auf eine Szene bei der Badewanne gerichtet. Es geht um Macht und deren Stabilisierung. „Seit Beginn der geschichtlichen Überlieferung, und vermutlich seit dem Ende des Steinzeitalters, gab es auf der Welt drei Menschengattungen“ heißt es, „die Ober-, die Mittel-, und die Unterschicht. Da kommt nix zusammen.“

AufBruch interessiert das künstlerische Endprodukt. Persönliche Geschichten der Spieler können zwar Emotionen wecken, doch durch die Verallgemeinerung eines literarischen Texts bekommt der Abend eine gesellschaftspolitische Dringlichkeit. Um die direkte Repräsentation von Gefangenschaft vor der Gesellschaft geht es nicht, sondern um die Gleichstellung mit ihr durch das Medium Theater. „So begegnen wir ihnen auch. Auf Augenhöhe.“ Sibylle Arndt betont, dass die Spieler mit der Presse nicht über ihre Taten reden müssen. Es geht um sie als Schauspieler und nicht als Gefangene. Die Aussortierung wird aufgehoben, zumindest an diesen Abend.

Am Ende der Aufführung großer Beifall für das Ensemble. Alle Beteiligten werden auf die Bühnenfläche geholt. Einer der Spieler kramt einen Zettel hervor und seine raue Stimme dringt durchs Chaos: Bedanken wolle man sich. Beim gesamten Team, für die Möglichkeiten, sich zu entfalten. Die Zeit habe alle geprägt und hinterlasse Spuren. Die Regieassistentin wird hervorgehoben, die Menschen im Hintergrund. Den Regisseur packt man auf einen Stuhl und wirft ihn zwanzigmal in die Luft. Dann kehrt Ruhe ein.

Die Teilnehmer äußern sich positiv

Eng beieinander stehen Spieler und Zuschauende im hellhörigen Trakt und unterhalten sich. Ein Spieler mit eine Zigarette lehnt auf der Zuschauertribüne an einem Gitter. Dicke, grau werdende Haare. Mütze. „Es macht Spaß“, sagt er. „Ich mach das seit vielen Jahren. Es ist immer etwas Besonderes.“ Ein anderer hockt daneben, die Beine freigiebig von sich gestreckt. Er nimmt sich eine Zigarette vom anderen. Seine Sprache habe er verbessert. „Mein Deutsch war nicht so gut davor.“ Dann ist Einschluss. Die Besucher*innen werden von den Bediensteten aus dem Gebäude gebeten. Mittlerweile ist es dunkel draußen. Einige Laternen werfen grelles Licht an die Backsteinfassaden. Das aufBruch-Team und die Musiker*innen gehen in den Dorfkrug, die Spieler zurück in ihre Zellen.

Solche Projekte, betont Sibylle Arndt, seien nur möglich mit geringer Teilnehmerzahl. AufBruch habe in der Vergangenheit auch schon Stücke mit 28 Gefangenen gemacht, das war bisher das Maximum. „Irgendwann werden es zu viele, da fällt die Gruppe auseinander.“ Dann verwalte man bloß Masse. „Das ist der Alltag für die Justizvollzugsbeamten“, sagt sie. Auf überschaubare Gruppen hingegen könne man großen Einfluss nehmen.

Kleinteilig, mit engem Kontakt zwischen Bediensteten, Sozialarbeiter*innen, Thera­peu­t*in­nen und Gefangenen, geht es auch in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hohenasperg in Baden-Württemberg zu. Auf einem buckligen Hügel thront sie über den versprenkelten Kleinstädten im flachen Land. An diesem Frühlingsmorgen schwingt sich die milde Sonne mühelos über das steinige Gemäuer in den Innenhof. Eine Gruppe Gefangener geht gemächlich in Begleitung zweier Frauen und verschwindet in einem der Gebäude. Darin, im zweiten Stockwerk, ein Kirchenraum. Kaum Anzeichen institutionalisierter Religiosität. Bloß ein lichtdurchfluteter, leerer Saal. Die Gruppe nimmt sich Sitzkissen und ordnet sie in einen Kreis. Sie setzt sich. Augen zu. Dann ist lange Zeit absolute Stille.

Die Forschung hat gezeigt, wie sich Meditation auf das Gehirn auswirkt: weniger Dichte der grauen Substanz an der Amygdala. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen. War ein Ereignis mit Schmerz behaftet, können als ähnlich erachtete Situationen zu einer starken somatischen Situation, wie Panik oder Ohnmacht, führen. Mehr Dichte produziert die Meditation dagegen im Hippocampus und in Regionen, die für Selbstwahrnehmung und Mitgefühl zuständig sind.

Bei der Meditation geht es um Ressourcen anstatt um Defizite, wie es ansonsten üblich ist in der Sozialtherapie. Ziel ist die Wiederherstellung und Bewusstmachung vorhandener Fähigkeiten. Um die Verbindung der Männer mit ihren intakten Räumen im Inneren, sagt Christine Ermer, die Leiterin der Sozialtherapeutischen Anstalt. „Und es ist etwas Besonderes, wenn du als Gefangener von der Anstaltsleitung hörst, du seist intakt“, sagt Henrike Schmidt, die zusammen mit Ermer die wöchentliche Meditation leitet.

Mit Stille ein Nachdenken über die Tat auslösen

Nach Hohenasperg zur Therapie kommen hauptsächlich Sexual- und Gewaltstraftäter. Es sind jene mit besonderem therapeutischen Behandlungsbedarf, mit den langjährigen kriminellen Biografien, einer Laufbahn durch überfüllte Gefängnisse dieses Landes. „Es hat einen Grund, dass sie weggesperrt sind“, sagt Ermer. Doch in der Regel leiste sich das System drei bis vier weitere Opfer, bevor sie überhaupt therapiert würden.

In der alten Festung wohnen sie in Wohngruppen von bis zu zwölf Leuten. Es wird zusammen gekocht und gearbeitet, dazwischen ist Therapie. Sozialtherapie senkt die Rückfallquote von Strafgefangenen um 20 Prozent. Das verringert die Opferzahl. „Doch Erfolgs- und Misserfolgsquoten interessieren wenig im gesellschaftlichen und medialen Diskurs“, sagt Bernd Maelicke, Jurist und Sozialwissenschaftler.

Wenn Eierdiebe und Schwarzfahrer weggesperrt würden, dann gehe es darum, zu zeigen, dass der Rechtsstaat handlungsfähig sei, sagt er. Das gegenwärtige Gefangenensystem habe vor allem eine symbolische Wirkung. „Geschlossenen Vollzug brauchen wir nur für gefährliche Täter, aber nicht in Gefängnissen aus Kaisers Zeiten. Und die beste Resozialisierung sorgt für stabile soziale Beziehungen, die können die Subkulturen in den Anstalten nicht bieten, ganz im Gegenteil dominiert dort die gewaltbereite Kultur junger Männer.“ Maelicke ist seit Jahren Verteidiger ambulanter Maßnahmen der Bewährungshilfe und von freien Trägern der Straffälligenhilfe, 2005 erhielt er für seine Arbeit das Bundesverdienstkreuz. „Wir brauchen gar nicht mehr Geld im System“, sagt er. „Es geht lediglich um die Umverteilung von Ressourcen.“

Zusammen sitzen Ermer, ihre Kollegin Schmidt und die Männer nach der Meditation im Kirchenraum an einer Tafel und essen Brezeln aus einem großen Holzkorb. Das warme Sonnenlicht fällt vereinzelt auf ihre Gesichter, von draußen hört man aus der Ferne Unterhaltungen. Mit Plastikbesteck trennen sie beharrlich kleine Stücke von der harten Butter. Neben der wöchentlichen Meditation veranstalten die zwei Frauen einmal im Jahr eine dreitägiges Rückzugsseminar „Übung der Stille“.

Ein großer Mann mit Kappe und unebenem Gesicht bricht seine Brezel auf. Er steckt sich ein Stück in den Mund. Auffällig kaut er darauf herum. Er schluckt, dann sagt er: „Ich kann beim Einklang den Höhlenmenschen draußen lassen. Die Maske ablegen.“ In den Tagen des Einklangs entwickle sich spürbar eine Gemeinschaft, mit einem Grundwohlwollen füreinander, bestätigt Ermer. Ein sehr stiller, kindlich wirkender junger Mann sagt, durch die Meditation erkenne er seine Bedürfnisse. „Ich kann besser auf mich hören. Wenn alles zu viel wird, kann ich dann sagen: Ich brauche meine Ruhe.“

Gefangener nach der Meditation

„Ich habe meine Tat gesehen. Und habe mich hilflos gegenüber meinem Opfer gefühlt.“

Doch so harmlos und friedlich, wie sie klingt, ist die Meditation nicht. Die kontemplative Methode provoziert eine radikale Auseinandersetzung mit der Tat. Was unter ablenkenden Bedingungen im üblichen Haftalltag leichthin weggeschoben werden kann, kommt durch den unkontrollierten Fluss der Gedanken wieder zum Vorschein. Abwehrmechanismen treten in den Hintergrund, die weggesperrten Bilder und verdrängten Gefühle schaffen den Sprung ins Bewusstsein. Ein Mann mit Ziegenbart, der sich immer wieder über die Finger streicht, berichtet stellvertretend für die anderen über den Effekt der Einkehrtage. „Ich habe meine Tat gesehen. Und habe mich hilflos gegenüber meinem Opfer gefühlt.“ Sie holen den Schmerz zurück ins Bild. „Man muss sich eingestehen, krank zu sein“, sagt der Mann mit den Unebenheiten im Gesicht. „Nur ich kann mich verändern. Ich muss mich verändern“, ein anderer.

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