Retrospektive in Kiel und Flensburg: Gründe für die Kunst

Die Konzeptkünstlerin Elsbeth Arlt verschenkt ihr Werk an Museen im Norden. Und eine Doppelausstellung zeigt jetzt, wieso die Literatur ein Fundament ihrer Kunst ist.

Reinen Tisch gemacht: Elsbeth Arlt hat ihr Atelier aufgelöst und ihre Arbeiten an Museen verschenkt. Bild: Marcus Dewanger

KIEL taz | Das große Bild hat sie hier einst eigenhändig den Berg hoch geschleppt: Format 206 mal 286 cm, einige Zeilen aus André Brétons Surrealistischem Manifest auf Leinwand gemalt, unterlegt mit einem weißen Feld, aus dem ein Pinsel aufrecht ragt: „Geschichte“, von 1992. Eine Arbeit für die Ausstellung „Flensburger Künstler“, oben auf dem Museumsberg. „Alle beteiligten Künstler haben sich damals in der Fußgängerzone bei McDonalds getroffen und sind dann gemeinsam die vielen Stufen hier rauf marschiert“, erzählt Elsbeth Arlt. Nun ist die „Geschichte“ wieder oben angekommen, in Arlts Ausstellung „mal Lust & MALGRÜNDE“.

Das mit dem „Malgrund“ ist natürlich ein Wortspiel: So wie ein Bild einen Grund braucht, auf den es gemalt wird, braucht ein Bild einen Grund, aus dem es gemalt wird. Ihre Malgründe sind: Grundierung – Geschichte – Leinwand – Farbe – Sprache – Kopf – Herz. Und neulich ist als achter Grund die Lust hinzugekommen: eine Anregung des Kieler Künstlers und Lyrikers Arne Rautenberg, dem schon zu manchem Arlt-Bild ein Gedicht in den Kopf gefallen ist.

Wegen einer Krankheit hat Elsbeth Arlt ihr Atelier aufgelöst und Häuser mit Schenkungen bedacht, die schon in den Jahrzehnten zuvor Werke von ihr gekauft haben: das Husumer Nissenhaus, die Kunsthalle und die Städtische Galerie in Kiel, die Hamburger Kunsthalle – und besonders den Flensburger Museumsberg. „Ich habe geschaut, wer was schon hat und wozu was passt“, sagt sie. Nun gibt es einen Überblick über ihr Schaffen: von der Malerei bis zur Zeichnung, von der Videoarbeit zur Kunstaktion, von der Kunst im öffentlichen Raum bis zur Sammlung.

Elsbeth Arlt wird 1948 in Kiel geboren und wächst auf einem Bauernhof auf.

Sie studiert zunächst an der Fachhochschule für Gestaltung in Kiel, wechselt dann im Jahr 1972 an die Hochschule für bildende Künste in Hamburg.

Den Förderpreis des Landes Schleswig-Holstein bekommt Elsbeth Arlt 1989.

In der Casa Baldi bei Rom verbringt sie 1993 einen Stipendienaufenthalt.

Den Kulturpreis der Stadt Kiel erhält sie im Jahr 2000.

Mit dem Kunstpreis Schleswig Holsteins, der wichtigsten Auszeichnung des Landes, wird Arlt 2013 geehrt.

Elsbeth Arlt wächst so richtig auf einem Bauernhof bei Kiel auf. Als es die Kunst sein soll, die ihr Leben bestimmt, wechselt sie wie so viele KielerInnen bald an die Hamburger Hochschule für bildende Künste. Sie will die Bildhauerklasse besuchen, doch die hat gerade Franz Ehrhardt Walter übernommen, der einen so ganz eigenen Begriff vom Plastischen hat, 1972 ist das. „Walter hat erstmal den ganzen Raum komplett leer geräumt, und das war sehr gut für das Denken“, sagt Arlt. Später kommt Bazon Brock hinzu. Von beiden lässt sie sich in die Konzeptkunst einführen, aber: „Nach dem Studium habe ich erstmal das gemacht, was ich im Studium so gar nicht gelernt habe: malen.“

Es ist schließlich die Zeit, als die Künstler nicht malen, und es wird noch dauern, bis die Jungen Wilden mit schlichter Dispersionsfarbe und Packpapier ein neues Kapitel aufschlagen. Elsbeth Arlt geht zurück aufs Land, geht ihren Weg: „Junge Kunst“ 1982 in Flensburg und „Frische Kunst hält gesund“ ein Jahr später in Kiel, bei beiden Gruppenausstellungen ist sie dabei.

Sie hält den Kontakt nach Hamburg. Zeitweise gehört sie zum Umfeld von Hilka Nordhausen und ihrer wilden Truppe, bleibt aber in Schleswig-Holstein wohnhaft und verankert, so inspirierend die Ausflüge in die große Stadt auch sein mochten: „Ich hatte schon Kinder, ich habe weder getrunken noch gekifft; es war immer ganz aufregend, wenn ich in Hamburg war, es gab auch viele gute Leute, aber es war auch gut, das ich nach zwei Tagen wieder fahren konnte.“

Weiter weg führt sie ein Stipendium in der Villa Baldi in der Nähe von Rom. „Ach, eine internationale Karriere wäre schon möglich gewesen“, erinnert sie sich. „Aber ich fühlte mich nicht stark genug.“ Und so bleibt sie im Lande, switcht behende zwischen den Genres, wobei die Vorstellung von einem Weg vom Anfang zu einem Ende eine tragende und verbindende bleibt. Immer mit dabei aber auch ein grundsolider, auf den ersten Blick vielleicht ein wenig spröder Humor: Als etwa das heute legendäre Elektrokaufhaus Brinkmann auch in Flensburg schließt und die Stadtväter wie besoffen davon träumen, an seiner Stelle ein Mega-Mega-Kaufhaus zu errichten, benennt Arlt den einstigen Brinkmann-Parkplatz in Rolf-Dieter-Brinkmann-Platz um. Ein Jahr lang macht sie jeden Tag ein Foto, das dokumentiert, was hier passiert: „parkingplace“, 365 Farbfotos, Format DIN A 6.

Überhaupt ist die Literatur ein Fundament ihrer Kunst. Immer wieder macht sie Buchprojekte, Buchinszenierungen, Buchaktionen: In der Lübecker Petrikirche lässt sie 400 Bücher aufeinander losmarschieren. In der Videoarbeit „Bücherkapelle“ sitzt sie auf dem Boden einer ehemaligen Kapelle, in der nun die örtliche Leihbücherei untergebracht ist, und löst Bücher, die aus dem Bestand genommen wurden, sehr sorgsam Seite für Seite auf.

Komisch und zugleich sehr berührend ist ihre Arbeit „Pflegenotstand“, die aus 47 Wägelchen besteht, auf jedem liegen eingeschnürt 47 Bücher, die ebenfalls zuvor aus dem Bestand genommen und somit gelöscht wurden. 47 wegen – na klar – der Gruppe 47. „Im Katalog dazu gibt es auch einen sehr guten Text von Elsbeth Arlt“, sagt Elsbeth Arlt. Und gibt sich große Mühe jetzt nicht zu grinsen.

Die Schau auf dem Flensburger Museumsberg ist nur der eine Teil ihrer Retrospektive. Der zweite, kleinere findet sich im Kieler Landtag: Hier ist ihre Arbeit „Berlinchemie“ ausgestellt, und zwar komplett. Arlt war vom 1. Dezember 1996 bis zum 28. Februar 1997 in Berlin und hat an jedem Tag auf aus Büchern entnommenem Vorsatzpapier je eine Zeichnung und einen kleinen Text gefertigt. Die Bilder sind mit leichter Hand getuschte Aquarelle, dazu wunderbar knappe wie präzise Betrachtungen, Beobachtungen, auch Wortspiele, die ihre Zuneigung zur Konkreten Poesie offenbaren.

Die 180 Blätter sind nicht irgendwie halbherzig über die Wände verteilt, sondern sehr komprimiert auf eine Wand gesetzt. Die steht quer im Raum, und es ist sehr schön zu sehen, wie all die Abgeordneten, ihre Referenten, ihre Mitarbeiter und deren Praktikanten mit ihren Mappen und manchmal auch nur Mäppchen unterm Arm darum herum wuseln und in ihrem bestimmt sehr wichtigem Tun für einen klitzekleinen Moment unterbrochen werden. Und dann tritt man wieder an die gerahmten Berliner Tagebuchnotizen und liest so hübsche kluge Zeilen wie: „In Kunstbuchhandlungen/ suche ich nach Büchern mit/ wenig Bildern und viel/ Text. In diesen Büchern/ schaue ich mir dann/ die Bilder an.“

Flensburg Museumsberg: Ausstellung bis zum 12. Januar 2014; „Das Glück der Unerreichbarkeit“ – Arne Rautenberg liest Gedichte zu Kunstwerken von Elsbeth Arlt: 10. Oktober, 18 Uhr Landeshaus Kiel: „Berlinchemie“ bis 17. September. Bitte einen Personalausweis mitführen
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.